„Der Rest ist Mut“ lautet der Titel des dritten Buches des Liedermachers Manfred Maurenbrecher. Eine Lebensabschnittsbiografie über 10 Jahre in der 1. Person singular mit dem Untertitel „Vom Liedermachen in den Achtzigern“ und eine Innenansicht der deutschen Rock- und Popszene 1980-89 wie auch des Autors himself. Ebenfalls erschienen: Ein Rockpalast-Konzert von Maurenbrecher und Band 1985 (DVD), als der unkonventionelle Songschreiber sich noch auf dem heiklen Boden des professionellen Pop versuchte.
Markthalle Hamburg, Februar '85
Auf der Bühne eine formidable Band aus erfahrenen, wachen Musikern in Karottenjeans, Stirnband und weißen Turnschuhen - „sneaker“ sagte man damals noch nicht - mit u. a. ex-Kraan-Schlagzeuger Udo Dahmen (heute Leiter der Popakademie Baden-Württemberg) und Keyboarder George Kochbeck (Film-/TV-Komponist), die mit Einflüssen aus Fusion-Jazz, Wave, Weill und bisschen Rock einen akzentuierten, elastischen Soundtrack in die Songgewebe des Sängers stellt. Manfred Maurenbrecher, Mittdreißiger damals, Liedermacher der Generation 2 nach Wader, Wecker, Degenhardt. Pianist, Komponist, Texter. Frontmann in Trenchcoat, flächiger Pilotenbrille und kariertem Kaufhaushemd. Alltagscouture aus der Fußgängerzone, exzentrisch auf der Bühne. Ja. Die Achtziger hatten viele Gesichter.
Bis heute oft herabgesetzt auf immergleiche Plattitüden wie Schulterpolster, „Too Shy Shy hush hush“, Milli Vanilli u. a. (das mitunter auch Spaß machte), zählt das Jahrzehnt zu den fruchtbarsten, ereignisreichsten Phasen der Popkultur seit Sinatra, Elvis und den Beatles. Post-Punk, Noiserock und Elektro-Pop rissen Türen auf und gingen durch, Folk und Ska waren erfrischt zurück aus den Nischen, die World Music internationalisierte sich, während Jazz und Funk neue Zutaten verstoffwechselten, Rap auf Tonträger ging und der Mainstream sich dynamisch transfomierte.
So auch in D'land, wo überdies eine gegenwartsrelevante, radiotaugliche Liedkultur mit ansprechenden deutschen Texten an Profil und Öffentlichkeit gewann, wie es in diesem Umfang und dieser Selbstverständnis neu war in der hiesigen Popgeschichte. Zunächst passierte Nina Hagen, die 1978 mit Stimme, Präsenz, angstlosem Vokabular und einer spektakulären Rockband aus dem Stand den Mainstream aufbrach. Eine Frischzellenkur für die deutsche Sprache im Pop-Kontext und ein sensationeller Erfolg. Die Stücke des Debütalbums waren über Wochen praktisch zu jeder Sendezeit irgendwo zu hören. Alles war jetzt anders.
Als dann anfang der '80er die Neue Deutsche Welle erste und zweite Pop-Qualitäten aus Punk und Avantgarde extrahierte und vereinflusste, standen Ideal, Trio, Grauzone, Extrabreit und die Fehlfarben mit eben noch disparaten Liedkünstlern „mit fließendem Übergang zum Deutschrock“ (Wikipedia) – Rio Reiser, Ulla Meinecke, Nena, Lindenberg, Reinhard Mey, Kunze, Grönemeyer ... – nebeneinander in den Medien und der Gunst der Fans. Alles war jetzt anders.
Manfred Maurenbrecher, kaum kompromissbar, schwer zu vermarkten, undurchschnittlich, war ein eigener Kopf auch innerhalb dieser gefühlt libertären Szene. „Unberechenbar, kein Wort zu viel und, wenn 's geht, mich selbst überraschend“, will der entscheidend von Leonard Cohen, Randy Newman und Franz-Josef Degenhardt motivierte Maurenbrecher seine rauen, emotional intakten Songsubstrate, „weiser als der Mann, der sie geschrieben hat.“ Schon seit '73, noch Germanistik-Student, trat der Pianist und Sänger (*'50 in B/West) unregelmäßig in kleinen und kleinsten Läden auf und fühlte sich ganz wohl auf der Bühne. Allein der Publikumsgeschmack irritierte den jungen Mann: „Stieß eins meiner Lieder auf zu große Resonanz, wurde es mir verdächtig.“
Unter Kolleg*nnen schon früh bekannt als die Ausnahme von der Regelmäßigkeit, schrieb er für u.a. Herman van Veen, Veronika Fischer, Katja Ebstein und Spliff (die ex-Nina Hagen Band). Deren Drummer, Herwig Mitteregger, holte den knorrigen Songmann '82 nach Studiumsende ins Studio und produzierte sein erstes Album, „MaurenBrecher“. Ein subtiler, gewagter Balanceakt aus persönlichem Lied, State-of-the art-Studiotechnik mit Band und atmungsfähiger Orchestrierung, der gelang.
Romantische Professoren
Maurenbrecher-Songs sind komplexe Bauten, ohne in eitel-geschäftiger Kunstfertigkeit zu verschwurbeln. Vielschichtig, manchmal schroff, können sie im nächsten Moment zärtlich mit großer Selbstverständlichkeit die Seele des Hörers tangieren. Nichts ist inszeniert und einer eitlen Autorenschaft verpflichtet. Maurenbrechers Sprache besitzt eine außen kaum identifizierbare innere Virtuosität, eine körnige, rieselnde Direktheit, die ungehindert Zugang zum Hörer resp. Leser findet. „Unsere Liebe zueinander hatte vorsichtig begonnen, und mit gegenseitigem Befragen bremsten wir sie immer wieder ab“, schreibt Maurenbrecher in seinem bereits im April erschienenen letzten Buch „Der Rest ist Mut“. „Jedes mal, wenn wir ohne Ablenkung füreinander da sein könnten, wurde eine große Leidenschaft daraus, und wir wuchsen zu etwas Anderem, Neuen zusammen.“
Dass Maurenbrecher mit solchen Betrachtungen nicht ins Essay läuft, liegt daran, dass seine Prosa-Texte substanziell Halt im Poetischen finden, so, wie seine Songpoesie nie ihren Gegenstand verunschärft, egal, ob es um Flüchtlingspolitik, die Liebe oder ein Fahrrad geht. Mit Abstand und Tiefenschärfe erkennt er deutlich, was ihn umtreibt, etwa beim Erleben einer ganz und gar gegenwärtigen, selbstverständlich funktionierenden Volksmusiktradition in einem Pub in Irland und hält inne: „Der ewige Verweis auf die Nazizeit, die das deutsche Volkslied kaputtmarschiert hatte, ist nicht ausreichend. Ähnlich verheerend haben wohl auch die romantischen Professoren, die Grimms und von Arnims schon gewirkt, indem sie die Gesänge zusammenkürzten und 'dem Volk' eine 'Seele' einimpfen wollten – in Anführungszeichen, denn was hat das mit den Menschen, die tagsüber ihrer Arbeit nachgehen und abends erzählen und singen, zu tun?!“
Enstprechend liest sich „Der Rest ist Mut“ wie von selbst, berichtet von Reisen, vom (bundes-) deutschem Pop-life, funkelnder Verantwortungslosigkeit und echter, tiefer Liebe. Schildert verstörende Erlebnisse im Zwielicht von Politik und den Musikwelt-Milieus und die Gehässigkeit eines neuen Zeitgeist-Journalismus'. Erlebt Mauerfall, Hausbesetzerszene und musikalische Brückenbauten in Berlin, Dresden und Karl-Marx-Stadt „noch vor der Übernahme durch die BRD“. Erzählt von Begegnungen mit Zelebritäten wie etwa Grünen-Politikerin Claudia Roth (früher Ton Steine Scherben-Managerin), Can-Musiker Irmin Schmidt und einem wunderbar leichten Treffen mit Idol Leonard Cohen. Und schließlich, weshalb aus Manfred Maurenbrecher kein Popstar wurde, obwohl es mal wahrscheinlich schien.
Zurück in der Markthalle
26 Live- bzw. Studioalben hat Maurenbrecher bis heute veröffentlicht, solo, im Duo oder mit Band, und diverse, teils legendäre Live-Zeugnisse existieren im nationalen Mediengedächtnis, darunter das Konzert in der Markthalle HH auf DVD. Der Mann im Trenchcoat brennt und legt den Mantel ab, gibt, was er hat und ist, bis er mit Texten unter dem Arm und Lächeln im Knopfloch die Bretter verlässt. Bis er das auch im übertragenen Sinn tut, den Planten Pop hinter sich lässt und zum „Geheimtipp auf Lebenszeit“ (FAZ '92) wird, als den Kollegen und Anhänger ihn schätzen und verehren, sollten weitere 5 Jahre vergehen.
Der Titel dieses auf ungefähr lapidare Weise großartigen Buches erschließt sich mit seinem berührenden, angemessen kurzen Schlusssatz über einen Augenblick der Erkenntnis, des Erkennens. Und klärt schließlich, weshalb aus Manfred Maurenbrecher kein Popstar wurde, obwohl es mal so aussah.
Manfred Maurenbrecher:
„Der Rest ist Mut – Vom Liedermachen in den Achtzigern“, April 2021, Bebra Verlag, 273 Seiten, Amazon.
„Live at Rockpalast“ (DVD/CD-Set), Mig-Music/ Indigo, Amazon.
Das Buch und die DVD/CD sind in den inhabergeführten Buchhandlungen Belling, Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.
Manfred Maurenbrecher & Band: Flüchtige Begegnungen mit der Welt