Neue Büchertipps
Ohne Krimi geht die Mimi ...

Lesen im geschützten heimischen Umfeld gehört noch immer zu den schönsten Zeitvertreiben, die man in diesen kulturarmen Corona-Zeiten wärmsten empfehlen kann. Also mein Tipp: schön zu Hause bleiben und ein gutes Buch lesen.

Diesmal habe ich für den geneigten Leser zwei Krimis ausgewählt. Der erste stammt aus Israel und erzählt von der Gefährlichkeit der Sehnsucht nach Liebe, und der zweite ist eine Wiederentdeckung aus dem Jahre 2003, spannend und voller Rock´n´Roll.

Der israelische Schriftsteller Dror Mishani ist in seinem Heimatland seit Jahren vor allem durch seine Krimi-Trilogie um den depressiven Kommissar Avi Avraham als Bestsellerautor bekannt. Nun hat der 1975 in einer Vorstadt von Tel Aviv als Misrachi, einer in Israel eher diskriminierten Bevölkerungsgruppe von Juden aus Nordafrika, seinen neuen Roman "Drei" vorgelegt, dessen unterschwelliges Grauen sich ganz langsam entwickelt.

Es geht um drei Frauen, die auf der Suche nach Nähe, Liebe, ein wenig Trost oder ein neues Zuhause sind, auf denselben Mann treffen. Aus der Perspektive der Frauen erzählt, erfährt der Leser viel über die jeweiligen, teils dramatischen Lebensgeschichten, feinfühlig und lebensnah beschrieben. Durch die Dialogform des Buches wachsen einem die Protagonistinnen förmlich ans Herz. Lange bleibt unklar, was uns dieser Roman über Verführung, Vertrauen und den Verlust aller Sicherheiten am Beispiel dieser aufgeklärten, unabhängigen Frauen als urbanes Abbild der israelischen Gesellschaft eigentlich erzählen will.

Zunächst erscheint der Roman wie eine Romanze, die auf einem Dating-Portal beginnt. Eine Frau sucht ein wenig Trost, nachdem ihr Mann sie und ihren Sohn verlassen hat. Doch dann kippt die Geschichte. "Nachum starb am fünfundzwanzigsten Dezember, am Geburtstag von Gottes Sohn", eröffnet den zweiten Teil des Buches, in dem Gil, der männliche Protagonist des Krimis die zweite Frau kennenlernt.

Die Frau ist Krankenpflegerin, illegal im Land und kümmert sich um den Großvater von Gil, den sie wie zufällig trifft. Und sofort fragt sich der Leser, ob sich auch ihr Schicksal ähnlich verhält wie bei der ersten Frau. Mit sicherem Gespür für die kleinen Alltagsdramen und menschlichen Sehnsüchte seiner Figuren lässt der Autor die Frauen unaufhaltbar in ihr Verderben stolpern und hält dabei den Leser in ständiger Alarmbereitschaft. Als der Großvater stirbt, wird Emilia, die Pflegerin nicht mehr gebraucht. Sofort wird sie aussortiert und zur Unperson, die besonders hilflos ist. Diese Situation nutzt Gil mit Lügen und Versprechungen aus.

Und ganz unterschwellig erzählt der Roman, wie Gewalt und Verbitterung ein ständiger Begleiter der israelischen Gesellschaft ist, so dass eine ständige Anspannung in der Luft liegt. Das alles spiegelt der Krimi in einer präzisen Sprache über Ausgrenzung, alltäglichen Rassismus und Diskriminierung als Nährboden des Bösen hinter den erstarrten Bürgerfassaden. Insofern betrachtet der Autor Mishani sein Werk auch als Kampfansage gegen die Normalisierung von Gewalt.

Bis zum Ende hält der Schriftsteller dieses atemberaubenden Krimis über die drei unvergesslichen Frauen, die auf der Suche nach Liebe und Sicherheit einen Mann, den sie besser nicht kennengelernt hätten, die Spannung hoch. Ein Meisterwerk der Krimi-Literatur, der jetzt schon für eine Verfilmung eingeplant ist.

Dror Mishani: Drei, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 330 Seiten, Amazon.

Krimi-Tipp zwei ist eine brilliante Wiederentdeckung aus dem Jahr 2003, welches der Ariadne Verlag dankenswerter Weise neu aufgelegt hat. "Gimme more" von Liza Cody, in der grandiosen Übersetzung von Pieke Biermann ist ein zeitloser Krimi der Frauenliteratur voller scharfsinnigem Humor und Schnodderigkeit, der außerordentlich amüsiert und an das Schicksal berühmter Starwitwen wie Yoko Ono oder Courtney Love erinnert.

Es geht um die alternde Birdie Walker, einst Groupie und Teil des berühmtesten Glammer-Paares der Rockgeschichte: Jack und Birdie. Die hinreißende Heldin dieses genialen Stücks Pop-Literatur ist zwar schon ein bisschen verbraucht, aber immer noch attraktiv, etwas hinterhältig, aber gesegnet mit einem großen Herz, vom Leben gebeutelt und von den Männern übers Ohr und diverse Bettkanten gehauen, trotzdem voller Kampfeswillen bis in die Spitzen ihrer Pumps.

Als die Rocklegende Jack auf dem Höhepunkt seiner Karriere unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, schien auch das glamouröse Leben von Birdie beendet zu sein. Doch die halb vergessene Witwe der Rocklegende ist auch Jahre später immer noch ein Freigeist der Sechziger und eine Rebellin, die sich so leicht nicht unterkriegen lässt.

Als verschiedene Plattenfirmen zum 20. Todestag von Jack das große Geschäft durch ein Revival von verschollenem Song- und Filmmaterial profitieren wollen, sieht Birdie ihre große Chance auf reichlich Reibach und Rache gekommen. Anscheinend ist sie im Besitz der legendären Antigua-Sessions und unveröffentlichter Songs. Keiner ahnt bis heute, dass Birdie eigentlich meistens der Kopf der erfolgreichen Band war und sowohl Texte und Musik von Jack unter ihrer Beihilfe entstanden waren. Noch immer wird sie von allen unterschätzt.

Aber Birdie weiß sich zu wehren, als man sie wieder über den Tisch ziehen will. Mit ihren Waffen: Intelligenz, Raffinesse, Scharfsinnigkeit und einer gehörigen Portion Sexyness tritt sie gegen die versammelte gierige Mannschaft der Musik-Industrie an. Hartgesotten, kühn und mutig blufft Birdie die Abzocker und spielt sie alle lächelnd gegeneinander aus.

Die Autorin Liza Cody beweist einerseits Kenntnisreichtum der Musikgeschichte der 60er Jahre durch diverse Anspielungen an berühmte Protagonisten der Zeit, als auch durch präzise Einblicke in die konkreten Sachverhalte von Nachwuchs-Bands und ihrer Ausgeliefertheit durch schmierige Manager und fiese Plattenfirmen. Schließlich war sie selbst eine zeitlang Roadie "für eine der schlechtesten Bands von London". Gleichzeitig erzählt sie das komplizierte Manöver von Birdie so souverän und spannend, dass die Geschichte bis zum frechen und überraschenden Schluss für den Leser nie absehbar wird.

Birdie Walker mit ihrer liebenswerten Kodderschnauze wächst einem sofort ans Herz, auch wenn sie eigentlich die Mutter aller Zicken ist. Der Leser hofft und bangt mit der scharfsinnigen Heldin in ihrem ungleichen Kampf gegen die Musikmafia und ihre schmutzigen Geschäfte. Ein zynisch-schöner Roman, wuchtig und vielschichtig wie ein genialer Rocksong. Nicht nur was für Musik-Liebhaber.

Liza Cody: Gimme More, Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg 2020, 398 Seiten, Amazon.

Holger Kistenmacher wünscht spannende Unterhaltung und immer schön gesund bleiben!!!

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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