Melissa Müller und Reinhard Piechocki
Alice Herz-Sommer „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“

Musik ermöglicht Überleben - heute wie auch schon vor 75 Jahren. Solange ist es her, dass die jüdische Konzertpianistin Alice Herz-Sommer aus dem KZ Theresienstadt befreit wurde.

Ihren Lebensweg und ihren Mut in der Zeit des Faschismus, aber auch ihr Kampf nach Verfolgung und Todeslager beschreiben Melissa Müller und Reinhard Piechocki in eindrücklicher Weise. 1903 wird Alice als 5. Kind einer angesehenen Prager Fabrikantenfamilie geboren. Schon sehr jung entdeckt sie ihre Liebe zur Musik und beginnt mit dem Klavierspiel. Gemeinsam musiziert sie mit Familienangehörigen und Freunden.

In ihrem Elternhaus verkehren bekannte Wissenschaftler und Künstler, die auch das Denken und Fühlen der jungen Alice deutlich prägen. Franz Kafka, Franz Werfel, Max Brod gehören zum engen Freundeskreis der Familie. Mit 16 Jahren wird sie jüngstes Mitglied der Meisterklasse von Conrad Ansorge der Deutschen Musikakademie in Prag und wenige Jahre später eine der berühmtesten Konzertpianistinnen der Stadt und in Europa.

1931 heiratet sie den Geiger Leopold Sommer, 1937 wird ihr Sohn Stephan/Raphael geboren. Als 1939 die deutsche Wehrmacht Prag besetzt, können ihre Schwestern Irma und Marianne mit ihren Familien noch nach Israel fliehen. Sie selbst erhält öffentliches Auftrittsverbot. In ihrer Not entwickelt sich ein reges Hausmusikleben und viele jüdische Künstler treffen sich regelmäßig zum Musizieren und geistigen Austausch. Ihren Lebensunterhalt verdient sich Alice durch Klavierunterricht .

1942 wird ihre kranke 72 jährige Mutter deportiert und sie fällt in eine schwere Depression, in der sie sich aller Lebensziele beraubt sieht. Wieder ist es die Musik, die ihr hilft, neuen Mut zu fassen. Wie zum Trotz nimmt sie sich vor, die für jeden Konzertpianisten technisch schwierigsten 24 Etüden von Frédéric Chopin einzustudieren und zur Konzertreife zu bringen. Die Musik rettet ihre Seele. Als sie als Familie ein Jahr später nach Theresienstadt deportiert werden, kann sie durch ihre Musik Trost und Mut weitergeben. Auch wenn die Nazis durch ein organisiertes Kulturleben im Lager Normalität vortäuschen wollen, so sind doch ihre Konzerte und die Auswahl der Stücke für viele Hoffnung und Glück.

Nach der Befreiung aus dem KZ kehrt sie zurück in ihre Heimatstadt Prag. Sehr bald erlebt sie unsagbaren Hass und Antisemitismus, der durch den herrschenden Stalinismus geschürt und gefördert wird, so dass sie 1947 Europa den Rücken kehrt und nach Israel auswandert. Sie unterrichtet am Konservatorium in Jerusalem und wird Gründungsmitglied der Akademie in Jerusalem. Israel wird ihr zur echten Heimat.

Trotzdem begibt sie sich 1986 nochmals auf den Weg in ein neues Land. Ihr Sohn Stephan Raphael Sommer ist Cellist in England. Ihre Familie in Israel (Geschwister und Schwager) sind verstorben und sie sucht die Nähe ihres Sohnes und seiner Familie, denn die Zeit in Theresienstadt hat eine besondere Bindung zueinander entstehen lassen.

Nie mehr möchte sie ohne die Familie leben. Bis zu ihrem Tod bestimmt die Musik ihr Leben und gibt ihr Kraft, schwierige Situationen durchzustehen. Das Leben der Alice Herz-Sommer erinnert uns einerseits an die Schuld, die durch den Nationalsozialismus entstanden ist, zeigt aber auch, welche Kraft in der Musik liegt und mit welcher Größe jüdische Mitbürger neu zu leben beginnen. Es ist ein Buch, das aus meiner Sicht unbedingt gelesen werden sollte.

Melissa Müller und Reinhard Piechocki: Alice Herz-Sommer „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“, Droemer Knaur, 2006, 432 Seiten, Amazon.

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.


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