He ! - Leute – was ist denn hier los? oder: für eine neue Form von Ausstellungseröffnungen?
Große Kunst in St. Petri zu Lübeck, etwas kleiner bei Overbeck – wunderbar beworben, wurde ich auf die angekündigte Performance aufmerksam – und ging mal hin.
Lebenslanges Lernen ist seit Jahren ein Begriff und nun machen die Jugendlichen, angeregt durch ein Projekt der Overbeck-Gesellschaft und Haukohl-Stiftung es den „Erwachsenen“ vor – siehe LN vom 21. Februar 2023.
Was ist denn da los? Schülerinnen und Schüler der Lübecker Geschwister-Prenski Schule besuchten die Ausstellung Enfleshing von El-Sayegh in der Overbeck-Gesellschaft. Sie diskutierten über das, was sie dort erlebten – ihre Assoziationen und durch die Kunst ausgelöste Gefühle.
Zitat: „So kommt Austausch in Gang. So versteht man die Kunst.“ (Lisa Marie Peters / Geschwister-Prenski-Schule).
Und die „Erwachsenen“? - Sie sitzen brav auf den vorbereiteten Hockern und harren der Eröffnungsreden.
Dann, endlich, ging es los. . . aber das mal der Reihe nach.
„Enfleshing“ - das Wort, für mich nicht (un-)missverständlich, machte mich neugierig. Die gedanklichen und gefühlsmäßigen Verknüpfungen erzeugten bei mir eine recht große Flut an verschiedenen Bildern.
Alle hatten in verschiedenen Weisen mit „Fleisch“ und „Haut“ zu tun.
Ein umfangreiches Thema, teilweise mit fragwürdigen Inhalten wie den Perversionen der Inge Koch oder der Kunst von Wim Delvoye, den zum kollektiven Bewusstsein gehörenden Bildern der flüchtenden Kinder vor den Napalmbomben etc., aber auch mit den vielen schönen, zarten, aber auch leicht verletzlichen Körper-umspannenden Häuten, das vielfach in der Kunst bearbeitet wurde.
Die Vorstellung von Mandy El-Sayegh auf der Website des Galeristen Thaddaeus Ropac liefert vorab eine wörtliche Aussage der Künstlerin: "I'm interested in the idea of artefacts not as ethnographic evidence but as a portable ecology - they move, they travel, they contribute to cultural hybridity rather than cultural homogeny. All these elements are constantly remapping how we read history and how we consume the present." In Ordnung – denke ich – das bringt mich schon mal ein kleines Stück weiter, aber, was ist denn nun „Enfleshing“?
Deshalb habe ich mal die große „G“-Suchmaschine nach einer Übersetzung befragt, bei 7 unterschiedlichen Anbietern auch diverse unterschiedliche Bedeutungen zu „fleshing“ und „enfleshing“ erhalten – welche also wählen? (Zur eigenen Erfahrung – einfach mal nachmachen und staunen).
Also: auf Mandy El-Sayeghs Website geschaut: "You will have excellent communication and presentation skills...", ist auf einem dem ersten Ihrer Bilder dort zu lesen. Eine spannende Seite, die ausschließlich aus Photographien besteht. Bilder von Ihren Arbeiten sowie Ausstellungsansichten. Einige der Arbeiten stellen eine Verbindung zu den von dem Namen „Enfleshing“ bei mir anfangs assoziierten inneren Bildern her – verbrannte Haut.
Endlich vor St. Petri. Auf der Treppe vor der Kirche begegnet mir eine lächelnde und fröhlich singende Frau. So ziemlich alle anderen Besucherinnen und Besucher schauen ernst – Kunst ist also wenig fröhlich. In der Kirche viele Menschen. Zwischen den ersten drei Säulen hängen auf beiden Seiten ca. 3m hohe Bilder, ebenso zwischen den Säulen vor der Treppe zum Altarraum, auf der ein Video projiziert wird. Etwa der halbe Raum ist mit Hockern bestuhlt, dahinter die Stehplätze. Die Besucherinnen und Besucher warten gespannt . . . worauf?
Der Boden der Kirche ist vom Eingang her mit einer aus Latex bestehenden Haut überzogen (die angefasst, ja - sogar betreten werden darf) und sieht auf den ersten Blick etwas rutschig aus. Alle Plätze besetzt, wohin mit mir? Ich ging um die Installation herum, betrachtete sie genau, schnupperte mal daran, das Anfassen wurde ja durch Schilder untersagt. Sehr interessant die Arbeit, Kopien von Geldscheinen, Zeitungsausschnitten, ein Unterhemd und netzartige Gitterstrukturen, alles auf verschiedene Stoffe aufgebracht und durch Latex fixiert. Hier und da ein Loch in dem Bild oder abgewetztes Latex, so dass ich dort etwas hindurch schauen und photographieren konnte.
Seltsame Klänge aus Lautsprechern mischten sich mit dem Gemurmel der Gäste, das verstummte als Bernd Schwarze (St. Petri) und Oliver Zybok (Overbeck-Gesellschaft) ihre vorbereiteten Reden zur Eröffnung hielten.
Die Besucher horchten aufmerksam den Worten, die ich allerdings nicht verstanden habe. Mehrfach sträubte es sich in mir als seltsame Formulierungen gewählt wurden, um - ja, um was denn eigentlich - zum Ausdruck zu bringen. Es ist ein Vorteil, das die Reden oder zumindest einige Versuche der Erklärung zu Mandys Werk auf 3 Seiten beschrieben wurden und diese zum Mitnehmen auslagen. Daheim versteht Mensch sie aber auch nicht besser.
Die Tänzerinnen erschienen, von den Stehplätzen aus hatte ich keine gute Sicht, also nutzte ich die vorhandenen Löcher und abgeschubberten Stellen der Bilder, um hindurch zu schauen. Die entstandenen Photographien haben dadurch einen Effekt wie er Ende der 70er Jahre in der Photographie aufkam.
Nun – es ist ja wie immer die Sache der eigenen Interpretation, der inneren Gefühle und Bilder, die solche Ereignisse spannend machen und diese Ausstellung ist es Wert von vielen Menschen beachtet zu werden.
Und eben genau hier stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, mal eine Abkehr zu halten von den ritualisierten Ausstellungseröffnungen? Wird durch die Reden zur Eröffnung nicht eher etwas verschlossen – nämlich die Möglichkeit der freien Empfindung? Wird diese durch die Deutung der Redner und / oder Kritiker - sofern das, was erzählt wird, auch verstanden werden kann und das ohne Latinum oder akademische Bildung - nicht vorab in eine Richtung gebracht, welche das freie Empfinden einschränkt?
Vielleicht sollte es mal komplett entgegengesetzt ausprobiert werden: Ausstellung, alle gehen hin, schauen, fühlen, hören, riechen, schmecken und sehen dann die Performance, um sich hinterher mal intensiv untereinander darüber auszutauschen? Vielleicht auch von der Künstlerin moderiert? Mir erscheint es als wichtig, hier mal von den jungen Menschen zu lernen und einen gemeinsamen Diskurs mit anderen Besuchern zu führen.
Ein Teil der Reden ist hier: www.unser-luebeck.de zu lesen, der weitere Text nur noch an den Ausstellungsorten verfügbar – aber wenig erhellend. Leider traf ich während weiterer Besuche bei Overbeck niemanden und auch in St. Petri nur sehr wenige Besucherinnen und Besucher an, die die Ausstellung sehen wollten. Eher waren es Zufallsgäste, die nach der Kirchturmbesichtigung noch mal einen Blick in die Kirche werfen wollten.
Diejenigen, die ich auf die Ausstellung angesprochen habe, die auch bei der Performance anwesend waren, teilten aber meine Meinung. Vor allem aber wurde von mehreren Menschen der die Performance störende Kameramann getadelt. Dabei wollte dieser doch nur, auf Mandy El-Sayeghs Wunsch hin, tolle Aufnahmen machen (störte aber sehr).
Geht hin!:
Overbeck-Gesellschaft – Kunstverein Lübeck, Overbeck-Pavillon 11. Februar – 16. April 2023, Öffnungszeiten: Di-So 11-17 Uhr
St.-Petri-Kirche 11. Februar – 19. März 2023, Öffnungszeiten: täglich 11-16 Uhr
Fotos: (c) Peng!