Foto: Janine Gerber

Janine Gerber in der Kulturwerft Gollan
„Was ich sehe, blickt mich an“

Janine Gerber, die erste Preisträgerin des neu geschaffenen Possehl-Kunstpreises für Lübecker Künstler, präsentiert bis zum 22. September 2019 ihre Papierinstallationen und Bildschöpfungen in der Kulturwerft Gollan. Ihre zeitgenössischen Werke korrespondieren harmonisch mit den historischen Industriehallen und der morbiden Atmosphäre der Kulturwerft.

In der Preisverleihung würdigte die Jury „die Stringenz, mit der Janine Gerber in ihrem malerischen Werk genauso wie in ihren installativen Papierarbeiten mit der Beziehung von Raum und Bild arbeitet.“ Ihr neues Projekt „Was ich sehe, blickt mich an“ ist eine künstlerische Herausforderung und zugleich eine kreative Reaktion auf die ehemalige Kettenhalle der Kulturwerft Gollan. Dabei spielen nicht nur die Materialien eine wichtige Rolle, sondern auch die tageszeitlichen Lichtverhältnisse und der jeweilige Standort des Betrachters. So entsteht eine künstlerische Symbiose aus Licht und Raum, Farben und Gerüchen.

Gerber tränkt zum Beispiel einige Papierbahnen mit Motorenöl aus einer Autowerkstatt. Für den Werkprozess hat sich die Künstlerin extra eine Garage angemietet, um dem strengen Ölgeruch zu entgehen. Der Geruch hat sich zwar verflüchtigt, dennoch hängen immer noch schwache Ausdünstungen in der Luft. Der Charme dieser großformatigen Papierskulptur liegt nicht nur im Gestalterischen, sondern in der schwarzen, glatten Oberfläche, welche das Licht einfängt und - abhängig vom Lichteinfall und dem Blickwinkel des Betrachters - eine irisierende, schimmernde Oberflächenstruktur erzeugt: Auf der tiefschwarzen Fläche tanzen Lichtreflexe, erzeugen ein Spiel aus Licht und Schatten, variieren die Farbtöne von Schwarz zu Grautönen. Fast dreißig Meter lang und drei Meter breit rollt sich die von der hohen Decke hängende Papierbahn dem Betrachter entgegen.

Foto: Janine GerberFoto: Janine GerberDes Weiteren öffnet Gerber vor Ort eine gehängte Papierbahn, die sanft von der Decke schaukelt. Das heißt, sie schneidet und zerreißt die riesige, unifarbene Papierrolle mit einem scharfen Messer, schafft Ein- und Durchblicke. Das ursprünglich sterile Papiermaterial wird so zur autonomen Installation. Erst das wandernde Licht erweckt diese Skulptur zum Leben: Licht versucht in die Öffnungen hinein zu kriechen, es tanzt auf dem Papier, Schatten entstehen und beziehen den Raum als Bildträger mit ein.

In ihrer Malerei verwendet die Künstlerin als Malgrund dagegen Baumwolle, Jute oder Leinen, deren unterschiedliche Gewebestrukturen zum Bestandteil ihrer Bilder werden. Dabei bevorzugt sie entweder Ölfarben oder seit etwa 2015 Tuschen, die allerdings in ihrer Farbigkeit und Formensprache stark reduziert sind. Sie werden geschichtet, ineinander geschoben, geschabt, so dass die Strukturen sichtbar werden. Sie verändern sich durch Lichteinfall und formen eine fließende, changierende Plastizität der Objekte. Der Farbauftrag wird häufig in „nass-in-nass Technik“ geschichtet, sodass ganz intuitiv Farbverläufe oder Abgrenzungen entstehen. Genau diese Übergänge und feinen Nuancen sind gewollt, erklärt die gebürtige Chemnitzerin.

Einige Titel ihrer Arbeiten klingen rätselhaft: „Ein Teil, sich lösend“, „Ein Versuch, ein Wort zu finden“ oder „Das Schwarz bewegt das Licht“. Sind es Erinnerungen an erlebte Situationen? „Ja, ich denke bei den Bildtiteln fast immer an eine spezifische Situation“, erklärt Gerber. „Ich beobachte meine Umwelt sehr genau, mache Skizzen oder Schwarz-Weiß-Fotos von interessanten Situationen, die sich nicht nur aus visuellen Komponenten zusammensetzen. Mich interessiert der Raum, den die Figur beschreibt, der Klang von etwas, das Licht, dass sich vorsichtig zwischen Flächen und Kanten schält. Die Bildtitel nutze ich auch, da ich die Poesie von Worten mag und es dem Betrachter überlasse, eigene Assoziationen durch die Titel zuzulassen.“ Allerdings entstehen die Bildtitel erst, wenn das Werk fertig sei, räumt sie ein.

Foto: Janine GerberFoto: Janine Gerber

Die im schleswig-holsteinischen Klein Barnitz lebende Künstlerin war auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, China, Japan und Israel vertreten. Sie war Stipendiatin der GEDOK Schleswig-Holstein, erhielt das Brückenwächter-Residenzstipendium für Künstler und Wissenschaftler in Stúrovo, Slowakei, sowie 2013 den Jahresschaupreis der Gemeinschaft Lübecker Künstler e.V.

In der aktuellen Ausstellung überrascht sie mit über zehn Kunstobjekten aus den vergangenen drei Schaffensjahren: Neben den Papierinstallationen findet der Besucher ausdrucksstarke Fotografien und Malereien mit monochromen Flächen, mit abstrakten Bildmotiven und gegenständlichen Sujets sowie klar strukturierten Farben und Formen. Arbeiten, mal in farbintensivem kräftigen Pinselduktus, mal in fein nuancierten Farbkompositionen.

Die sehenswerte Ausstellung „Was ich sehe, blickt mich an“ in der Kulturwerft Gollan sollten Liebhaber zeitgenössischer Kunst nicht versäumen. Zu sehen bis zum 22. September 2019 in der Kulturwerft Gollan, Einsiedelstraße 6, 23554 Lübeck. Geöffnet Freitag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr.


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