Es ist eine Premiere in Lübeck. Zum ersten Mal ist die Präsentation des Hans-Meid-Preises in der Stadt, und wenn es nach dem Willen der Organisatoren geht, dann sind Wiederholungen unbedingt erwünscht.
"Nur zu!", möchte man sagen, denn die Ausstellungspremiere in der Kunsthalle erweist sich als mehrfacher Glücksfall: Für ein Genre, das oftmals nur beiläufig, quasi beim Durchblättern, gewürdigt wird, für die Besucher, die mit wunderbaren Beispielen aus der weiten Illustratoren-Welt gelockt werden, und auch für die mehr als 1.300 Arbeiten umfassende Sammlung der Leonie Freifrau von Rüxleben (1920–2005), die als Geschenk an die Lübecker Museen ging und die mit der Illustratoren-Schau in ein freundliches Licht gerückt wird. Und auch für die städtische Museumslandschaft, in der das Miteinander von Text und Bild zu Hause ist. Alles überstrahlender Mittelpunkt im kuratorischen Gesamtkunstwerk sind die Arbeiten der Hans-Meid-Preisträgerin 2017 Line Hoven, die mit spitzem Humor und seltener Technik Menschliches und Zwischenmenschliches aufs Korn nimmt.
Wenn es denn einen Schwachpunkt der Ausstellung gibt, dann ist es ihre Komplexität. Die ist zwar schnell zu erfassen, aber schwer in lockende Worte zu fassen. „Scratch My Back − Hans-Meid-Preisträgerin 2017 Line Hoven und Hochschulwettbewerb für Illustration“ heißt sie mit irreführender Behäbigkeit. Tatsächlich tut sich in der Kunsthalle aber ein Teil der wunderbaren Illustratorenwelt auf. Alexander Bastek, Leiter vom Behnhaus Drägerhaus, aber auch einer der Meid-Preis-Juroren, hat die Ausstellung unter seine Fittiche genommen.
"Scratch My Back" – kratz mir den Rücken – heißt es weiß auf schwarzer Pappe im Umriss eines Frauenrückens. Hier kann der Besucher sich selbst in der Technik versuchen, der sich Line Hoven verschrieben hat: Schabekarton, schwarze Schicht auf weißem Untergrund, von der mittels Cutter-Messern so viel weggekratzt wird, bis stehen bleibt, was stehen bleiben soll. Eine ebenso zeitraubende wie ausdrucksstarke Technik, die sich mit der Lust an Skurrilem und hier und da auch Bösem paart. Line Hoven legt Wert auf die feinsten Zeichnungen von Holzmaserungen, gefallenem Laub, Blümchentapeten, Nebelwolken. Ihr Comic-Erstling „Liebe schaut weg“, 2008 auf dem 13. Internationalen Comic-Salon Erlangen mit dem ICOM-Preis in der Kategorie "Bester Independent Comic" ausgezeichnet, ist so entstanden, ihre Illustrationen zu „Dudenbrooks“ und „Schmythologie“ mit Texten von Jochen Schmidt.
Line Hoven mag es spitz. Ihr Humor ist es. Ihr Arbeitsgerät passt dazu. Liebe auf den ersten Kratzer sei die Begegnung mit der Technik gewesen, sagt sie, die Schabepappe und sie, das sei ein perfektes Paar, zumal – sie wolle nicht kokett klingen – sie sich nicht für eine gute Zeichnerin halte. Genau weiß man nicht, was von dieser Selbsteinschätzung zu halten ist, denn Line Hoven führt auch sprachlich eine elegante Klinge und es ist schade, dass sie nicht leibhaftig dauernder Teil dieser Ausstellung ist. Immerhin leitet sie am 4. Februar 2018 den Workshop für Neugierige von 15 bis 99 Jahren: „Kratzen für Anfänger“ (Voranmeldung unter 0451 1224131).
Kratzend geht sie auch intellektuell zu Werke. Mit den Mitteln einer bildenden Künstlerin nacherzählen, was ein Autor in Worte gefasst hat? Langweilig. Line Hoven kratzt gegen den Strich. Da sind zum Beispiel die Paargespräche, für die sie dem crismon Magazin monatlich Illustrationen zu Texten von Jochen Schmidt liefert. Wo Schmidts Männer humorvoll dominant und die Frauen tendenziell beziehungsleidend sind, gleicht Hoven die Waffen optisch an. "Ich glaube manchmal wirklich, du hältst mich für dumm", klagt das sanfte Gretchen. "Weil du dachtest, Orang-Utans heißen so, weil sie orange sind?", fragt Faust. Ob sein Gretchen die Heckenschere hoffentlich nur benutzt, um den Liguster zu schneiden, fragt er sich nicht, denn er döst unter der Zeitung. Für das Gesprächspaar Miss Piggy und Kermit zitiert sie kratzend Grant Woods "American Gothic"; die Forke allerdings hat nicht der Frosch, sondern die klagende Dame in der Hand.
Neben der aktuellen Gewinnerin ist in der Ausstellung auch Lars Henkel, dem vorigen Hauptpreisträger, ein Forum geschaffen, im zweiten Obergeschoss sind außerdem alle weiteren 20 Nominierten im Hochschulwettbewerb zur Buchillustration der Hans-Meid-Stiftung mit Arbeiten vertreten und im Erdgeschoss wird mit Hans Meid (1883–1957) der Namensgeber gewürdigt. Zu Lebzeiten zählte er zu den gefragtesten Grafikern in Deutschland. Er illustrierte Werke der Weltliteratur, darunter Goethes "Wahlverwandtschaften" und Heinrich Heines "Buch der Lieder" oder Thomas Manns "Mario und der Zauberer".
Im Erdgeschoss der Kunsthalle sind Beispiele zusammengestellt. Im Keller ist Meid in einem Selbstporträt zu sehen. Das ist Teil der Rüxleben-Sammlung, die dort seit Jahren alphabetisch portioniert gezeigt und selten gerecht gewürdigt wird. Diesmal ist das anders. Bastek, in der Nachfolge Torsten Rodieks für die Rüxleben-Sammlung verantwortlich, zeigt den neuen Teil des Rüxleben-Abc unter dem Titel "Von Meid bis Zett". Das Rüxleben-Alphabet ist damit abgearbeitet und die Bahn frei für andere Blicke auf die Selbstporträts.
"Ich liebe jedes Fältchen an dir"
Miss Piggy: Heute hat mich eine Frau angesprochen, dass meine Aura viele Verletzungen hat.
Kermit: Und?
Miss Piggy: Ich bin drei Jahre gealtert in der Zeit vom Stillen.
Kermit: Ich finde nicht, dass du gealtert bist.
Miss Piggy: Du guckst mich ja auch nicht mehr richtig an.
Kermit: Ich liebe jedes Fältchen an dir.
Miss Piggy: Glaube ich nicht.
Kermit: Aber der Frau mit der Aura glaubst du?
Miss Piggy: Es ist hoffnungslos, es geht immer nur bergab.
Kermit: Ich finde, es wird immer besser.
Miss Piggy: Am liebsten würdest du doch alleine leben.
Kermit: Das wäre viel teurer, wegen der kleineren Verpackungseinheiten.
Miss Piggy: Das ist so ermüdend, dass man mit dir nie ernsthaft reden kann.
Kermit: Andere wären froh über so einen humorvollen Mann.
Miss Piggy: Frauen wollen aber auch mal ernst genommen werden.
Kermit: Ich glaube, deine Aura hat viele Verletzungen.
Miss Piggy: Das ist so anstrengend mit dir!
Kermit: Du hast völlig recht, aber das macht es ja für mich so schwer, dir zuzustimmen.
chrismon, Juni 2017, Text: Jochen Schmidt
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