Ringelnatz: Frühlicht, (c) Rowohlt

Ausstellung im Günter Grass-Haus
Der unbekannte Maler Joachim Ringelnatz

Ringelnatz? Das ist der mit den Gedichten vom Bumerang und den Ameisen und der betörenden „Ich hab dich so lieb“-Erklärung, das ist der Schöpfer der Kunstfigur Kuttel Daddeldu und der Entdecker der haarigen Berge auf dem Näschen seiner Liebsten.

Auch, dass der 1883 im sächsischen Wurzen als Hans Bötticher geborene Ringelnatz Kabarettist und Romancier und Kinderbuchautor war, ist noch hinlänglich bekannt. Beinahe vergessen ist dagegen der Maler. Auf dem liegt jetzt der Fokus im Günter Grass-Haus. Dort hat Tatjana Dübbel die Sonderausstellung „Ringelnatz. Kunst und Komik“ kuratiert, die bis zum 1. April 2018 zu sehen ist.

Ringelnatz: Das Untier, (c) Joachim Ringelnatz-Museum CuxhavenRingelnatz: Das Untier, (c) Joachim Ringelnatz-Museum Cuxhaven

Kleine Menschen in gewaltiger, oft bedrohlicher Natur. Eine Hafenkneipe (Bild siehe unten), vor der mutmaßlich Ringelnatz selbst als schiefer Schatten steht und durch Glas und Vorhang das Treiben beobachtet, ein einsames „Untier“ vor Himmelsrot – rund 30 Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen hat Tatjana Dübbel für die Schau zusammengetragen. Aber komisch, sagt sie, ist kein einziges der Bilder, jedenfalls nicht die für Erwachsene. Humor spricht bestenfalls aus den Zeichnungen für Kinder, die als Gäste im Grass-Haus willkommen sind und aufgefordert, in einem Boot Platz zu nehmen, sich Auszüge aus Ringelnatz’ „Geheimem Kinder-Spiel-Buch“ und dem „Kinderverwirrbuch“ anzuhören oder im Schatten einer gewaltigen Steiff-Giraffe zu malen oder zu basteln.

Noch heute unerhört Freches (und Tröstliches) wie dieses ist dort zu entdecken:

Kinder ihr müsst euch mehr zutrauen!
Ihr lasst euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. – Denkt mal: fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.

Ringelnatz: Mädchen mit Muff, (c) Joachim Ringelnatz-Museum CuxhavenRingelnatz: Mädchen mit Muff, (c) Joachim Ringelnatz-Museum Cuxhaven

Auf den Bildern rundherum zeigt sich den Großen die Welt, wie Ringelnatz sie in den 1920er Jahren wahrnahm: in Unruhe, im Aufbruch, im Wandel. Es ist ein ernster Maler, der da präsentiert wird. Nicht der „Schulrüpel ersten Ranges“, als der er 1897 vom königlichen Staatsgymnasium Leipzig verwiesen wurde. Der Schiffsjunge, der Matrose scheint durch, die anderen, aus der Not geborenen Arbeits-Erfahrungen (als Hausmeister, Bibliothekar, Fremdenführer) sind zu erahnen. Dass Ringelnatz mit 25 Jahren im Schwabinger Künstlerlokal „Simplicissimus“ erste eigene Verse vortrug, springt aus den Bildern nicht hervor.

Nicht, dass Tatjana Dübbel den Schöpfer der legendären Kunstfigur Kuttel Daddeldu verstecken möchte, Lyrik ist an Hörstationen auch zu naschen. Doch das bildkünstlerische Werk liegt eher auf der Wellenlänge des Großstadtromans „… liner Roma…“, in dem Ringelnatz 1924 dem Leben in einer modernen Metropole nachspürt und das als Vorläufer für Alfred Döblins „Berlin, Alexanderplatz“ gilt. Ein mittelloser Dichter ist hier Protagonist, man ahnt das Vorbild: Ringelnatz litt bis zu seinem Tod 1934 unter Geldnot.

Wieder einen anderen Blickwinkel vermitteln private Korrespondenzen. Voller Abenteuerlust zieht der 1883 geborene Ringelnatz in den Ersten Weltkrieg (in „Als Mariner im Krieg“ hält er autobiografisch seine Erinnerungen fest). Sein Freund Erich Mühsam schildert: „Einen Feind hat er noch nicht zu sehen bekommen … Aber mit giftigem Groll ist er überfüttert. Ein finsterer Hass gegen alles, was dort geschieht, über die Roheit der Menschen, die Eigennützigkeit und Ungerechtigkeit und all den Jammer ist über ihn gekommen …“

Ringelnatz: Auf dem Watt, (c) Joachim Ringelnatz-Museum CuxhavenRingelnatz: Auf dem Watt, (c) Joachim Ringelnatz-Museum Cuxhaven

Giftiger Groll? Bei Ringelnatz? Tatjana verweist auf dessen Entwicklung und macht sie nachprüfbar. Kaum ist dem späteren Freigeist und Sprach-Anarcho ein Brief wie der von 1918 zuzutrauen, in den er, überzeugter Christ und Noch-Patriot, sich über das Bruno-Frank-Stück „Die Schwestern und der Fremde“ auslässt, das „keinen besonderen Eindruck“ auf ihn gemacht habe. „Ich finde es jüdisch“, urteilt er ganz im Zeichen der von Ressentiments geschwängerten Zeit.

Ringelnatz wird sich wandeln. 1930 verlässt er „die dümmste Stadt der Welt“ (München) und zieht mit seiner Frau und unentbehrlichen Assistentin Leonharda, die er „Muschelkalk“ nennt, ins noch progressive Berlin. Hier werden seine Bilder zusammen mit Werken von George Grosz und Otto Dix ausgestellt, auch von Museen und der Akademie der Künste aufgekauft. Wie er malt? Nicht expressionistisch, nicht im Sinne Neuer Sachlichkeit – Ringelnatz eben, einer, der sich an der Kunstgeschichte abarbeitet, bei dem es romantikert, expressionistet, surrealistet, dadaistet. Er ist produktiv. Nachhaltig füllt das seine Kasse nicht.

1933 verhängen die Nationalsozialisten das Auftrittsverbot über Ringelnatz, etliche seiner Bücher werden verbrannt, seine Bilder als „entartet“ aus den Museen entfernt, etliche zerstört. Wie viele, weiß keiner. Bekannt sind 138 Ölgemälde, unbekannt die Zahl der Aquarelle, von denen ein gut Teil verschollen ist. 1934 stirbt Joachim Ringelnatz verarmt und elend an Tuberkulose. Beerdigt wird er auf dem Berliner Waldfriedhof an der Heerstraße, man spielt sein Lieblingslied: „La Paloma“. Die Grabplatte ist aus Muschelkalk.

Ringelnatz: Hafenkneipe, (c) Kunsthalle HamburgRingelnatz: Hafenkneipe, (c) Kunsthalle Hamburg

Hafenkneipe

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘
Sitzt der Bruder mit der Schwester
Hand in Hand.

Zwar der Bruder ist kein Bruder,
Doch die Schwester ist ein Luder
Und das braune Mädchen stammt aus Feuerland.

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘
Ballt sich manchmal eine Hand,
Knallt ein Möbel an die Wand.

Doch in jener selben Schenke
Schäumt um einfache Getränke
Schwer erkämpftes Seemannsglück.

Die Matrosen kommen, gehen.
Alles lebt vom Wiedersehen.
Ein gegangener Gast sehnt sich zurück.

Durch die Fensterscheibe aber träumt ein Schatten
Derer, die dort einmal
Oder keinmal
Abenteuerliche Freude hatten.

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Ausstelungsinfos: Ringelnatz – Kunst und Komik


Kommentare  

# RingelnatzKatja H. Renfert (26.10.2017, 17:08)
Hier ist das Ringelnatz-Museum in Cuxhaven zu sehen: http://www.renfert.net/über-mich/fotos/gebäude/

Ich freue mich schon auf die Ausstellung in Lübeck!

Herzliche Grüße aus Hamburg - Katja H. Renfert
www.renfert.net

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