Peter Paul Rubens: Das Haupt der Medusa, Moravische Galerie, Brünn

Eine schöne Frau, von Schlangen umzüngelt

Medusa war eine große Schönheit, die Pallas Athene verärgerte, als sie sich mit Poseidon dem Liebesspiel hingab – auch noch im Tempel der Göttin! Sie wurde schrecklich bestraft. In ein Ungeheuer verwandelt, mit Schweinshauern und mit Schlangen anstelle von Haaren, ließ ihr Anblick jeden Mann versteinern.

Der Held Perseus aber wusste den direkten Anblick zu vermeiden – von der Göttin beraten, schaute er in einen spiegelnden Schild, als er die Unglückliche enthauptete. Dem Kopf der Armen entsprang, weil sie noch von Poseidon schwanger ging, Pegasos, das geflügelte Pferd. Das Beisammen von Schrecken und Schönheit, der spiegelnde Schild und endlich das Ross der Dichter: Der Mythos von Medusa musste unbedingt eines der bevorzugten Themen der Kunstgeschichte werden, und es waren einige der ganz Großen wie Caravaggio und der Bildhauer Cellini, die ihm unsterbliche Werke widmeten. Und natürlich Rubens.

Dessen „Haupt der Medusa“ ist das Glanzstück einer wunderbaren Ausstellung, mit der das Staatliche Museum Schwerin nach einer längeren Umbaupause zurückkehrt. Mit mehr als fünfzig Gemälden, aber auch mit Büchern, Graphiken oder zwei lebenden Kröten wird der fast unbekannte, aber sehr bedeutende Otto Marseus van Schrieck – nein, nicht einfach nur vorgestellt, sondern gefeiert. Er war der Meister des Waldstilllebens (sottobosco), und wer jetzt denkt, dass kaum ein Thema langweiliger ist als die Abbildung von Moos, Farn und Käfern, der sollte schleunigst nach Schwerin fahren und sich eine spektakuläre Schau ansehen, die in dem Bild von Peter Paul Rubens ihren Höhepunkt erreicht.

Rubens malte „Das Haupt der Medusa“ 1617/18, und es ist deshalb in dieser Ausstellung am Platze, weil es all die Themen, die das Werk von Marseus bestimmen, in sich zusammenfasst. Vor allem ist das die Welt der niederen Tiere und damit die Verbindung des Schönen mit dem Hässlichen – denn dass Medusa ursprünglich eine schöne Frau gewesen ist, das zeigt Rubens noch in ihrem Todeskampf. Der vom Rumpf getrennte Kopf verdreht sterbend die Augen, während um ihn herum die Schlangen wimmeln.

Beim Bild des abgeschlagenen Kopfes spielen Naturtreue und Mythos ineinander, denn zwar gibt es ein Schlänglein mit einem Kopf an jedem Ende, ein Tier windet sich sogar auf dem Rücken, aber trotzdem gewinnt der teils magisch angezogene, teils abgestoßene Betrachter den Eindruck eines ganz realistischen Geschehens. Der Abscheu wird von den wimmelnden Schlangen hervorgerufen, deren Anblick bei manchem Betrachter Alpträume hervorrufen mag, vielleicht auch von dem Skorpion oder den Spinnen im Vordergrund, aber dann wieder berührt das brechende Auge der unglücklichen Medusa, aus deren Blut neue Schlangen hervorgehen. Medusa war eine Schönheit, was sich noch immer an ihrem todesbleichen Kopf zeigt, eine Schönheit, deren Anblick man vielleicht suchte, aber ihn meiden musste, wollte man die Begegnung überleben. Diese Ambivalenz der Medusa ist auch die Ambivalenz des Rubens-Gemäldes und der Werke des Schlangenmalers Marseus dazu.

Otto Marseus van Schrieck (1619/20 – 1678) war vielleicht niemals ganz vergessen, aber besonders die breite Öffentlichkeit hat bis heute von diesem wichtigen Künstler kaum Notiz genommen. Und dabei war er zu seiner Zeit eine Berühmtheit und hielt Kontakt zu den großen Naturforschern der Epoche; seine Werke wurden unter anderem von den Medicis gesammelt, so dass sich heute nicht weniger als fünfzehn Gemälde in den Uffizien zu Florenz befinden. Und die zweitgrößte Sammlung seiner Werke befindet sich im mecklenburgischen Florenz, in Schwerin. Seine Arbeiten, gemalt zu Beginn einer Epoche der wissenschaftlichen Revolutionen, zeigen immer noch Einflüsse einer nur langsam untergehenden religiösen Sicht auf die Natur, sind aber gleichzeitig der Zukunft zugewandt, einer von Moral und Theologie freien Erforschung von Flora und Fauna. Diese Doppelgesichtigkeit ist für das Widersprüchliche und Anregende seiner Kunst verantwortlich, in der sich das Schöne und das Hässliche ebenso vermischen wie Realismus, religiöse Deutung und allegorisch überformte Wahrnehmung.

Otto Marseus van Schrieck: Waldboden mit Distel und Schlange (Detail), Staatliches Museum Schwerin, Foto: E. WalfordOtto Marseus van Schrieck: Waldboden mit Distel und Schlange (Detail), Staatliches Museum Schwerin, Foto: E. Walford

Otto Marseus war ein Schlangenfreund, sogar so sehr, dass er deshalb „de Snuffelaer“ (der Schnüffler) genannt wurde. Verschiedene wechselblütige Tiere hat Marseus nicht allein gemalt, sondern sie auch in seinem Garten vor den Toren Amsterdams gehalten und gepflegt, und es ging sogar die Fama, er habe seine Kröten geküsst. Das ist bestimmt Unsinn, aber diese Tiere wie alle anderen auch hat er so präzise, mit so viel Liebe zum Detail, so genauer Kenntnis ihrer Zeichnung und so viel Verständnis für ihre Bewegungen gemalt, dass er sie keinesfalls abstoßend gefunden haben kann. Ganz offensichtlich war er ein Fachmann, den nicht wenige renommierte Gelehrte als Gesprächspartner akzeptierten und auf dessen Beobachtungen sich einmal kein Geringerer als Jan Swammerdam berief, der berühmteste Naturforscher Hollands jener Jahre.

Dank der scharfen Beobachtungsgabe dieses Malers besteht über die Art der Tiere auf seinen Bildern niemals Unklarheit, aber auf der anderen Seite hat er ihr Verhalten notorisch falsch dargestellt. Zum Beispiel züngeln die Schlangen von Otto Marseus nach Schmetterlingen, was sie in Wahrheit niemals tun. Warum Schlangen, die Falter fressen wollen? Schmetterlinge sind traditionell Symbole der Seele eines Menschen, insbesondere ihrer Unsterblichkeit, wogegen die auf dem Boden kriechende Schlange seit der Genesis das Symbol des Bösen ist. So spielen auf diesen Bildern Naturtreue bei der Abbildung der Gestalt und traditionelle Allegorik bei der Zuschreibung eines falschen Verhaltens ineinander. Der Betrachter steht vor einem beim ersten Hinschauen ganz natürlichen, tatsächlich aber mit Bedeutung aufgeladenen Geschehen.

So wie der fertige Schmetterling aus der Puppe kriecht und seine prachtvollen Flügel in der Sonne entfaltet, so sollte der Mensch nach seinem Tod die Herrlichkeit Gottes genießen. Das ist die eine Bedeutung der Jagd der Schlange auf den Schmetterling: Es ist eine religiöse, die vom Kampf des Bösen gegen das Gute erzählt. Und es gibt noch mindestens eine andere, nämlich die alchemistische, in der Farben eine Rolle spielen. In dem außerordentlich schönen Katalog zur Ausstellung werden die symbolischen Bedeutungen mancher Farben von Karin Leonhard erläutert. Sie zeigt, dass man die Arbeiten von Marseus als einen Kampf „zwischen Tugend und Laster, oder allgemeiner: zwischen Polaritäten wie Tag und Nacht, Helligkeit und Dunkelheit, Geist und Materie“ lesen kann. Es spielen also einerseits religiöse, andererseits alchemistische Bedeutungen neben den naturhistorischen Fakten immer auch eine Rolle. Das ist ein Hauptgrund neben ihrer dunklen Schönheit, warum die Werke dieses Malers so außerordentlich anregend sind: Sie geben zu denken und lassen sich unter den verschiedensten Gesichtspunkten anschauen und ausdeuten.

Otto Marseus van Schrieck, Waldboden mit blauen Winden und Kröte, Foto: Staatliches Museum Schwerin, Foto: E. WalfordOtto Marseus van Schrieck, Waldboden mit blauen Winden und Kröte, Foto: Staatliches Museum Schwerin, Foto: E. Walford

Das gilt unter anderem für das Bild, mit dem für die Ausstellung geworben wird, für den Waldboden mit Kröte und blauer Winde. Leonhard demonstriert an diesem Bild, dass „die Gegenüberstellung von Kröte und blauer Winde“ zwei Lesarten eröffnet, „sowohl eine buchstäbliche als auch eine figürliche“. Besonders in der Farbgebung offenbaren sich die antagonistischen Kräfte der Natur – das Blau wurde traditionell mit der Gottesmutter verbunden und war dem faulen und feuchten Erdreich, für das die Kröte steht, direkt entgegengesetzt. Dieselbe Ambivalenz zwischen dem Niederen und dem Hohen (die Winde strebt in die Höhe, so wie es auch die Schmetterlinge tun), offenbart sich auch noch auf andere Weise. Fast alle Werke dieser Ausstellung sind nämlich dunkel, sogar sehr dunkel, dominiert von einem fast schwarzen Hintergrund, auf dem sich die strahlenden Blüten und Schmetterlinge abheben. Wer sich über die Leuchtkraft besonders der gemalten Flügel wundert, der sollte wissen, dass Marseus Schmetterlingsflügel in die feuchte Farbe drückte, so dass sich die Schuppen erhielten.

So bieten die Gemälde einen überaus ästhetischen, durch und durch schönen Anblick, aber es gilt immer, dass mindestens zwei Aspekte ineinander spielen, dass also nicht allein das Leuchtende durch den dunklen Hintergrund spektakulär hervorgehoben wird. Vielmehr nimmt, wie es der Kurator Gero Seelig im Katalog ausdrückt, „die Dunkelheit des Hintergrundes in diesen Tieren gewissermaßen Gestalt an“. Das Dunkle gibt einen Hinweis auf das Niedere, wenn nicht Böse der Tierwelt, der Kröten und Frösche, des kriechenden, krabbelnden und fliegenden Ungeziefers, der Skorpione, Echsen oder zahllosen Schlangen, die diese Bilder bevölkern und die sich in einer so ästhetisch ansprechenden Weise geschildert finden. Das gilt selbst für den farbenfrohen Feuersalamander auf dem Bild von Rubens – der Feuersalamander war einerseits ein giftiges Tier und als kaltes und feuchtes Reptil dem Bösen zugeordnet, andererseits ein Symbol der Wandlung, und einer solchen Wandlung ist Medusa ja unterworfen.

An meinen eigenen Fotos kann man sehen, was mich von einem Künstler wie Otto Marseus trennt – es ist nicht allein seine erstaunliche Kunstfertigkeit, seine Virtuosität im Umgang mit dem Pinsel, sondern auch die Verwurzelung seiner Bilder und deren Deutung in traditionellen Zusammenhängen. In La Merced, einem argentinischen Dorf, begegne ich immer wieder einigen von Marseus‘ bevorzugten Objekten, nämlich Schmetterlingen und Kröten. Bei dem Blick auf die Türen fallen zunächst die Bretter auf, welche die massenhaft vorhandenen, tagsüber unter Pflanzen oder in dunklen Ecken hockenden Kröten daran hindern sollen, in die Häuser einzudringen. Aber es gibt nicht allein erdfarbene, plumpe Tiere, die abends im Lichtschein der Fenster auf Moskitos lauern, sondern auch Schmetterlinge, die in der Mittagshitze bebend auf den Blüten hocken. Besonders im Garten von Tio Eriberto finden sich wunderschöne, um die Rabatte taumelnde Falter, die ich mit aufgepflanztem Makroobjektiv verfolge.

Schmetterling in La Merced, Argentinien, Foto: Stefan DiebitzSchmetterling in La Merced, Argentinien, Foto: Stefan Diebitz

Selbstverständlich ist mir die Bedeutung des Schmetterlings als eines Symbols der Psyche seit langem bekannt, aber trotzdem sind mir diese Tiere allein ihrer ästhetischen Erscheinung wegen wichtig; fast alles, was Otto Marseus über Schmetterlinge wusste, das weiß auch ich, aber trotzdem ist mein Blick auf sie eindimensional, eben allein auf ihre reizvolle Erscheinung gerichtet. Und so sind meine Fotos niemals auch nur andeutungsweise so vielschichtig und perspektivenreich wie die Bilder des großen Niederländers.

In Schwerin werden keineswegs nur Gemälde gezeigt, denn die breit angelegte Ausstellung ist nicht allein mit Blick auf den kunsthistorisch Interessierten ausgelegt, sondern zeigt auch Exponate zur Wissenschafts- und Kulturgeschichte, unter anderem Schriften großer Naturforscher des 17. Jahrhunderts. Zur Abwendung von der Religion kam ja noch die Erfindung diverser optischer Instrumente, die eine detailliertere Untersuchung kleiner Lebewesen erlaubten und erstmals zeigten, dass auch diese Tiere ein organisches Innenleben besitzen und sich geschlechtlich fortpflanzen, nicht etwa durch „Urzeugung“ in die Welt treten. Auch wenn Otto Marseus offensichtlich ein Künstler und seine Arbeit niemals nur von ästhetischen, sondern immer auch von alchemistischen und religiösen Überlegungen bestimmt war, so bewegte sich sein Werk doch immer nahe an der Wissenschaft und empfing nicht allein von dort Anregungen, sondern konnte auch selbst Forscher inspirieren.

Ein besonderes Thema in der Ausstellung sind noch Kuriositätenkabinette, die vom Ende des 17. Jahrhunderts an für mehr als einhundert Jahre von wohlhabenden Bürgern oder vom Adel gepflegt wurden. So wird der „Thesaurus des Albertus Seba“, eines in Amsterdam sesshaften Apothekers, vorgestellt, und man kann zwei Schubladen mit Muschelarrangements besichtigen oder eine Radierung, die Vögel und Schlangen zeigt. Seba ließ seine offenbar gewaltige Sammlung in einem mächtigen Folianten dokumentieren, und ähnlich verhielt sich Levinus Vincent, ein reicher Händler, der eine berühmte Naturaliensammlung anlegte. Seine ebenfalls extrem aufwendige Publikation war „Wundertheater der Natur“ überschrieben, von der man in der Ausstellung einzelne Tafeln besichtigen kann.

Johan Teyler: Schlange und Schmetterling nach Otto Marseus, ca.1670, Rijksmuseum, AmsterdamJohan Teyler: Schlange und Schmetterling nach Otto Marseus, ca.1670, Rijksmuseum, Amsterdam

Vielleicht sollten Schlangenphobiker die Bilder von Otto Marseus van Schlieck besser meiden – allen anderen sei eine Reise nach Schwerin dringend empfohlen. Es ist eine großartige Ausstellung.

Katalog: Gero Seelig (Hrsg.), Die Menagerie der Medusa. Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten. Mit Beiträgen von Erik Jorink, Bert van de Roemer, Karin Leonhard. Hirmer 2017

Die Menagerie der Medusa. Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten.
Staatliches Museum Schwerin, bis 15. Oktober 2017
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr
www.museum-schwerin.de

Stefan Diebitz
Stefan Diebitz
Stefan Diebitz, geboren 1957, freier Autor. Feuilletonistische und wissenschaftliche Arbeiten (Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunst- und Kulturgeschichte), dazu vier Bücher: Seelenkleid. Beiträge zur Phänomenologie und Theorie von Angst und Scham (LIT-Verlag 2005); Glanz und Elend der Philosophie (Verlag der blaue Reiter 2007); Spiel und Widerspiel. Der Mensch in seiner Natur (Verlag der blaue Reiter 2009); Leonardos Entdeckung. Eine Philosophie des Ausdrucks (Graue Edition 2012)

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