Festonallee - Schloss Bothmer, Foto: Stefan Diebitz

Schloss Bothmer und der Weg dorthin

Wer kennt sie nicht, die prachtvolle Lindenallee, die sich so schön fotografieren lässt? Sie führt am Rand von Klütz direkt auf den Eingang von Schloss Bothmer zu, und besonders im Herbst und Winter ist der leicht ansteigende schmale Weg zwischen den Feldern ein ganz wunderbares Fotomotiv.

Bei Raureif sind es die in Form geschnittenen Äste der Linden, weiß bestäubt vor einem tiefblauen Himmel, manchmal aber auch verschwindet das Ende der Baumreihe im Nebel … Das Schloss, das nach der Meinung mancher nur ein Herrenhaus ist – ein regierender Fürst hat es schließlich niemals bewohnt –, war lange Zeit bloße Nebensache. Aber genau das hat sich jetzt geändert.

In der DDR war das riesige Haus ein Altersheim – das hat der Inneneinrichtung nicht gut getan, aber dank dieser Nutzung wurde darauf geachtet, dass das Dach dicht blieb. So war das Gebäude 1989 also nicht ganz verfallen, sondern nur stark renovierungsbedürftig. 1998 ging es für immerhin eine ganze Mark in die Hände eines privaten Käufers über, und nachdem der mit dem gewaltigen Renovierungsbedarf nicht umzugehen wusste, wurde der Kaufvertrag aufgehoben, und im Anschluss übernahm das Land das Schloss. Seit zwei Jahren nun kann man die Anlage besichtigen. Der mittlere Gebäudeteil beherbergt ein Museum, das über die Geschichte des Hauses informiert, im rechten Flügel findet sich ein Restaurant, und im linken Flügel wird in diesem Sommer die Wanderausstellung „Weite und Licht“ des Norddeutschen Rundfunks präsentiert: Das sollte ein guter Grund sein, Schloss Bothmer zu besuchen.

Ausstellungsansicht: Weite und Licht, Foto: Stefan DiebitzAusstellungsansicht: Weite und Licht, Foto: Stefan Diebitz

Schon seit den ersten Nachkriegsjahren sammelt der NDR Bilder und hat in dieser Zeit eine ansehnliche Kunstsammlung zusammengestellt – teils klassische Moderne, teils auch Zeitgenössisches. Einen Teil – alles Landschaftsbilder der verschiedensten Stilrichtungen – schickt er seit Jahren auf Tournee durch Norddeutschland, und jetzt macht „Weite und Licht“ Station auf Schloss Bothmer, wo 57 Bilder in zwei großen Sälen präsentiert werden.

Besonders eindrucksvoll ist der erste, dunkelrot gestrichene Raum, in dem großformatige Landschaftsbilder aller möglichen Stilrichtungen hängen. Lediglich ihr Mecklenburger Ursprung und das Sujet verbinden sie. Der zweite, hellere und langgestreckte Raum präsentiert in chronologischer Folge gutklassige, teils sogar hochwertige Bilder von norddeutschen Malern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Es beginnt mit brauntonigen Worpsweder Moorlandschaften und führt bis in die Gegenwart. Darunter sind große Maler, aber auch etliche weniger bekannte Künstler – und eben das macht den Charme der Ausstellung aus, denn man hat eine Chance, den nicht ganz so großen Namen zu begegnen. Selbstverständlich freut man sich, wenn man auf Werke von Karl Schmidt-Rottluff trifft, von Franz Radziwill oder dem Ehepaar Modersohn, aber die anderen kennt man noch nicht und kann etwas dazulernen.

Rasmus Hirthe: Watt, Foto: NDR/Gita MundryRasmus Hirthe: Watt, Foto: NDR/Gita Mundry

Prominent gehängt – nämlich über den Durchgang vom ersten in den zweiten Raum – ist die originellste Arbeit der Ausstellung Rasmus Hirthes auf Sackleinen getuschtes „Watt“. Die sich auf dem nassen Sand spiegelnden Silhouetten der Wattwanderer erweckten in mir den Eindruck, sie würden in einem Italowestern zur Musik von Ennio Morricone aus dem Nichts erscheinen, und der Homepage des 1971 geborenen Künstlers kann man wirklich entnehmen, dass der Künstler als „Setdresser“ für verschiedene Filmproduktionen gearbeitet hat.

Favorit vieler Besucher ist das sehr große Gemälde „Sturzacker“ des Mecklenburgers Ernst Marow (*1934), ein in extremer Nahsicht hyperrealistisch gemalter, aufgebrochener und nackter Ackerboden. Das mir selbst liebste Bild ist „Inselmühle“ von Hans Jaenisch (1907 – 1989), das eine Mühle auf Amrum zeigen soll, auf dem aber in Wahrheit vielleicht ein sitzender Mann abgebildet ist. Sehr schön ist auch die spätimpressionistische „Herbstliche Allee in Dargun“ von Marie Hager (1872 – 1947). Wie man sieht, ist die Ausstellung wenig einheitlich oder, um es positiver auszudrücken, sehr vielseitig. Man geht von Bild zu Bild, ohne einen Gesamteindruck mitnehmen zu können.

Marie Hager: Herbstliche Allee in Dargun, Foto: Stefan DiebitzMarie Hager: Herbstliche Allee in Dargun, Foto: Stefan Diebitz

Wie kommt man nach Klütz? Der Berichterstatter lehnt das Autofahren ab, aber sein Weg als Radfahrer ist derselbe wie der eines Automobilisten und führt über Schlutup, Selmsdorf und Dassow; da die Straße an der Dassower Wiek heute auf sechs von acht Kilometern von einem ziemlich guten Radweg begleitet wird, birgt sie kaum noch Probleme. Schon bald hinter Dassow biegt man nach links ab und fährt über Kalkhorst – das ist eine Nebenstrecke, wenngleich nicht ganz verkehrsfrei. Flach ist sie auch nicht, und Hohenschönberg trägt seinen Namen zu Recht, aber das Niederträchtige für Radfahrer sind weniger die Anstiege. Vielmehr wartet ganz am Ende das sagenhafte Pflaster von Klütz … Selbst Autowanderer wissen, was das bedeutet, und nun gar auf dem Rad! Da bleibt nichts übrig, als sich in einen Radfahrer-Rowdie zu verwandeln und den Fußweg zu benutzen.

Wenn bis dahin alles gut gegangen ist, dann lässt man die Kirche links liegen und ist schon bald bei der mächtigen Anlage, die der in Hannoveraner und englischen Diensten tätige Diplomat Hans Caspar von Bothmer (1656 – 1732) im 18. Jahrhundert für seine Familie errichten ließ. In England zu Macht und viel, viel Geld gekommen – er wohnte in Downingstreet 10 –, wünschte er für seine Nachkommen ein Fideikommiss zu errichten, also ein Erbe, das immer nur an den erstgeborenen Sohn ging, damit es nicht aufgeteilt werden musste und so mit der Zeit zersplitterte. Weil er selbst keinen Sohn als Nachkommen hatte, vererbte er das Schloss und das dazugehörige Land an seinen mit ihm gleichnamigen Neffen, ohne selbst das fertige Schloss je gesehen zu haben.

Schloss Bothmer, Foto: Stefan DiebitzSchloss Bothmer, Foto: Stefan Diebitz

Wenn Bothmer sich selbst ein Denkmal setzen wollte – und dafür spricht eigentlich alles –, dann hat er sein Ziel erreicht, denn das Schloss ist im ganzen Umkreis und darüber hinaus bekannt. Es handelt sich um einen mächtigen barocken, dabei aber relativ schlicht gehaltenen Backsteinbau, der trotz seiner Größe in nicht mehr als sechs Jahren zwischen 1726 und 1732 errichtet wurde. Sein Anblick weckt im Betrachter gleich Assoziationen an England, aber auch an Westfalen. Wahrscheinlich liegt das an den aus helleren Steinen gemauerten, ursprünglich Marmor oder Sandstein imitierenden Fensterstürzen, die den Bau harmonisch gliedern.

Zum Schloss gehört noch ein von einem Graben umgebener Landschaftsgarten und natürlich die „Festonallee“ aus kunstvoll zurückgeschnittenen und in Form gebrachten Linden: Für nichts ist die Anlage mehr bekannt als eben für diese wunderbare Baumreihe. Der Garten dagegen vermag nicht recht zu befriedigen – vielleicht, weil er für einen Landschaftsgarten etwas zu klein ist. Für einen barocken Garten – und eben einen solchen hat man im 18. Jahrhundert angelegt – besäße er genau die richtige Größe, aber dessen Aussehen ist leider nicht überliefert. Würde man einen solchen erneut anlegen? Die ganze Instandsetzung des Schlosses richtet sich auf Authentizität, darauf, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, aber wenn man diesen nicht kennt, ist da wenig zu machen.

Schloss Bothmer, Foto: Stefan DiebitzSchloss Bothmer, Foto: Stefan DiebitzFür das Innere des Schlosses bedeutet das Konzept der Authentizität, dass es sich ziemlich leer präsentiert. Die originalen Möbel sind ja genauso wenig erhalten wie Kunstwerke oder andere Einrichtungsgegenstände, und es kommt ganz offenbar überhaupt nicht in Frage, aus anderen Schlössern oder Museen Mecklenburgs Bilder oder Schränke herbeizuschaffen, die dort in Hülle und Fülle vorhanden sind. Ich finde das schade und möchte überhaupt das Ideal der Authentizität in Frage stellen. Im 19. Jahrhundert war es der große Leopold Ranke, der von der Geschichtswissenschaft forderte, sie möge erzählen, „wie es eigentlich gewesen“ sei. Die Historiker haben dieses Ziel längst verabschiedet, aber der Denkmalschutz fühlt sich ihm und damit einer sehr puristischen Restaurierung immer noch verpflichtet. Nur keine späteren Zutaten! Nur nichts Zeitgenössisches!

Überspitzt ausgedrückt bedeutet Authentizität den Ausschluss des Lebens. Entweder man nimmt ein solches Gebäude und seine Umgebung wirklich in Besitz und gestaltet es sensibel und rücksichtsvoll, aber auch selbstbewusst mit eigenen Ideen, oder man betet ein Skelett an, von dem nach jedem Jahrzehnt ein bisschen mehr abbröckelt, bis endlich nur noch ein Knöchelchen hier, eines dort geblieben ist. Diese allerdings werden ganz furchtbar authentisch sein.

Will man Schloss Bothmer wirklich wie im Jahr 1732 präsentieren? Das gilt ja nicht allein für das Innere, sondern auch für die sehr große Fläche vor dem Mittelbau, die offenbar so frei bleiben soll, wie sie jetzt ist. Mancher wird finden, dass sie bepflanzt werden sollte oder dass ein gestalteter, bitte nicht zu kleiner Brunnen ihr gut zu Gesicht stünde, denn warum sollte man noch heute dem Repräsentationsbedürfnis des frühen 18. Jahrhunderts nachkommen? Niemand will schließlich heute noch mit einer Kutsche vorfahren, wenn man einmal von hochzeitenden Paaren absieht. Wir Radfahrer jedenfalls brauchen keine Bühne.

Weite und Licht, Kunstausstellung des Norddeutschen Rundfunks. Schloss Bothmer, Klütz, bis 30.07.2017

Stefan Diebitz
Stefan Diebitz
Stefan Diebitz, geboren 1957, freier Autor. Feuilletonistische und wissenschaftliche Arbeiten (Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunst- und Kulturgeschichte), dazu vier Bücher: Seelenkleid. Beiträge zur Phänomenologie und Theorie von Angst und Scham (LIT-Verlag 2005); Glanz und Elend der Philosophie (Verlag der blaue Reiter 2007); Spiel und Widerspiel. Der Mensch in seiner Natur (Verlag der blaue Reiter 2009); Leonardos Entdeckung. Eine Philosophie des Ausdrucks (Graue Edition 2012)

Kommentare  

# Tipp für Rad-ReisendeGerda Vorkamp (06.07.2017, 16:15)
Nach der Lektüre dieses anregenden Artikels werde ich mich alsbald per Rad auf den Weg zum Schloss Bothmer begeben, aber die Alternativroute Travemünde, Priwall, Ostseeküstenradweg wählen (insgesamt verkehrsfreier und für Badepausen geeignet – falls denn der Sommer noch kommen sollte). Mit kleinem Umweg über Boltenhagen lassen sich ein paar Höhenzüge umfahren, und die Klützer Umgehungsstraße verringert das Kopfsteinpflaster. Wem Hin- und Rückweg zu viel des Guten sind, mag evtl. ab Grevesmühlen per Zug nach Lübeck zurückkehren.

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