Alle Lebewesen sind der Zeit unterworfen und werden sterben, und wir haben keine Ahnung, was danach passiert. “A Ghost Story”, der neue Film von David Lowery, umkreist das Thema mit einfachen, klaren Bildern und reduziert es philosophisch auf eine nicht-körperliche Existenz. Ohne Lichttunnel, Sinnfragen und Gott erreicht diese sprichwörtliche Geistergeschichte ungeahnte Intensität.
Ein Komponist lebt mit seiner Frau in einem kleinen Landhaus im subtropischen Süden der Vereinigten Staaten. Als er bei einem Autounfall ums Leben kommt, kehrt seine Seele als Silhouette unter einem weißen Laken mit schwarzen Augenlöchern zurück in das gemeinsame Haus. Dort wird der Geist zum stillen Beobachter, sieht in langen, intensiven Einstellungen seiner Frau beim Trauern zu, sieht sie ausziehen und eine Familie einziehen, verharrt auch noch im Haus, als die Abbruchglocke kommt. “A Ghost Story” wurde als Liebesgeschichte angekündigt, aber das ist sie nur zum Teil: Letztlich berührt den Toten das Leben seiner Geliebten immer weniger, spätestens als sie das Haus und damit auch den Film verlässt. Das Klein-Klein der Welt dieser Menschen ist nicht mehr wichtig, und die Zeit, durch die er reisen kann, spielt keine Rolle mehr. Selbst seine tiefe Einsamkeit und die Unfähigkeit zu handeln, die jede Bedeutung von dieser Existenz abstreift, wird nicht beurteilt. Er wertet nicht, er existiert einfach.
Die Geschichte geht so nahe und so tief, weil sie radikal aus der Perspektive des Verstorbenen erzählt wird. Auch Worte spielen kaum eine Rolle mehr. Nur einmal kommentiert der Film sich selbst, als eine Gruppe junger Leute in dem Spukhaus eine Abbruchparty feiert. Ein namenloser Gast hält einen Monolog über die Suche nach der Unsterblichkeit, die wir Menschen erreichen wollen und doch nie erlangen. Wir wollen weiter leben in unseren Werken, sagt der junge Mann, und trotzdem werden wir sterben. Unsere Kinder und deren Kinder werden sterben, und eines Tages wird die Menschheit und ihre gesamte Kultur Sternenstaub sein. Sein Beispiel ist die "Neunte Symphonie" von Beethoven – eine Reminiszenz an den ehemaligen Beruf seines stummen, unsichtbaren Zuhörers.
Ist das Schicksal des Geistes unter dem Laken das Schicksal aller Toten? “A Ghost Story” ist nicht der erste Film, der sich diesem Thema stellt. Die beiden “Flatliners”-Verfilmungen beschäftigen sich mit dem Tod aus der Perspektive der Lebenden. “The Sixth Sense” mit Bruce Willis oder “In meinem Himmel” von Peter Jackson dagegen sehen aus der Perspektive von Toten den Lebenden beim Leben zu. Keiner dieser Filme zeigt den Tod so unkommentiert, radikal puristisch und ohne metaphysischen Unterbau wie “A Ghost Story”.
Anders als der Titel nahe legen könnte, ist er aber kein klassischer Gruselfilm. Der Grusel stellt sich später ein, nachts im Bett, wenn der Firnis der Vergeblichkeit und Einsamkeit aller Existenz am dünnsten ist. Lowerys Kino-Geist ist unfassbar einsam, und im Grunde sind das auch wir Lebenden, wenn es um die großen, unbeantworteten Fragen geht. Es ist ein Film, dessen kühle, von einem elektronischen Score unterlegte Bilder lange nachhallen, der eine Spur zieht und fast unerträglich nahe geht. Er ist tief traurig und im Subtext auf unerwartete Weise doch lebensbejahend: Lasst uns nicht vergessen, wie wertvoll und wie kurz die Lebenszeit ist, das einzige, was wir haben.
A Ghost Story, USA 2017 | Regie: David Lowery / Drehbuch: David Lowery / Kamera: Andrew Droz Palermo / Mit Casey Affleck und Rooney Mara / Laufzeit: 93 Minuten