Foto: Olaf Malzahn

58. Nordische Filmtage
Donna Leon und Joyce DiDonato im Interview - The Florence Foster Jenkins Story

Ein Griff in den Plattenschrank (jawohl, Schallplatten!), und da steht sie immer noch: die gute alte LP aus dem Jahre 1962, die ich irgendwann in den 70ern meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt habe und die dann und wann auf Familienfesten zu aller Amüsement aufgelegt wurde – bis wir diese Töne nach anfänglichem Gelächter nicht mehr aushielten und der Plattenspieler wieder ausgestellt wurde. Es war die einzige wohl nie bis zum Ende durchgehörte Langspielplatte.

Eine Arie aber durfte nie fehlen: die der Königin der Nacht, dargeboten von Florence Foster Jenkins (1848-1944). Die Dame war uns ein Begriff: Völlig unmusikalisch, kaum in der Lage, einen einzigen Ton richtig zu treffen, scheute sie sich dennoch nicht, das Publikum mit ihrem zweifelhaften Talent zu beglücken und nach und nach immer größere Konzertsäle bis hin zur Carnegie Hall zu füllen, die zu mieten sie sich spielend, in diesem Fall singend, leisten konnte. Wieso sie damit so gewaltigen Erfolg hatte, konnte sich niemand richtig erklären. Nun ja, verrückte Zeitgenossen – zumal mit viel Geld – gewinnen schnell eine Anhängerschar, da brauchen wir gar nicht nur nach Nordamerika zu schauen.

Die meisten hielten Florence Foster Jenkins wohl schlichtweg für eine schrullige Möchtegern-Diva, die noch nicht einmal bemerkte, dass sich das Publikum über sie lustig machte und sein spöttisches Gelächter nur durch tosenden Applaus überlagert wurde. Sie wollte singen und sie sang. She did it her way. That’s it. Und das mit großer Überzeugung. Zeitdokument mit AutogrammZeitdokument mit AutogrammDabei tat sie niemandem Böses, im Gegenteil, ihr Bestreben war es, Freude in die Welt zu tragen und wohl-tätig zu sein. Sie glaubte an sich, sie setzte sich in Szene, besser noch in Szenerien, die sogenannten Tableaux vivants, die an Extravaganzen nichts zu wünschen übrigließen, aber sie war keinesfalls arrogant. Bekannt wurde ihre Reaktion auf einen Taxiunfall: Anstatt auf Schadensersatz zu klagen, schickte sie dem Fahrer eine Kiste Zigarren, denn sie war der Überzeugung, das hohe „f“ jetzt noch höher singen zu können. Ein Satz, der eigentlich schon alles über Florence Fosters musikalische Fähigkeiten sagt, dem es aber auch wiederum nicht an unfreiwilliger Komik gebricht. Kurzum, diese Frau war ein rätselhaftes Phänomen, nicht nur zu ihrer Zeit. Dabei könnte man es bewenden lassen.

Nun kommt aber ein Film daher, der das Leben der Florence Foster Jenkins noch einmal neu unter die Lupe nimmt und damit unserer Wahrnehmung dieser exzentrischen Persönlichkeit eine andere Richtung verleiht. Vielleicht war gar nicht sie selbst, sondern ihre Eigenwahrnehmung ver-rückt im ursprünglichen Sinn. Möglicherweise hat sie sich selbst tatsächlich nicht so gehört, wie andere sie hörten, unter Umständen ausgelöst durch eine Syphilis-Erkrankung und die damit verbundene schwierige medikamentöse Behandlung. Wir wissen es nicht, aber es ist denkbar, vieles spricht dafür. Das verbietet nicht das Lachen über die schrägen Töne, aber es geschieht nun mit einem gewissen Respekt vor der Person, die Gutes im Sinn hatte und es auch vollbrachte. Tragisch wird die Figur der Florence Foster am Ende durch die Tatsache, dass sie nach ihrem fulminanten Auftritt 1944 in der Carnegie Hall zum ersten Mal mit Kritiken konfrontiert wird, die im wahrsten Sinn des Wortes vernichtend für sie waren. Sie stirbt nur wenige Wochen danach.

Joyce DiDonato (Florence Foster Jenkins)Joyce DiDonato (Florence Foster Jenkins)

Im Film verkörpert wird Florence Foster Jenkins von keiner Geringeren als Joyce DiDonato – einer Sängerin, über deren herausragende Qualitäten hier gar keine Worte verloren werden sollen. Wohl aber über diesen brillanten Film von Ralf Pleger (Koproduzentin: Donna Leon; die drei Personen sind schon länger freundschaftlich verbandelt; die Produktion wurde unterstützt von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, daher der Bezug zu den NFL). Durch die geschickte Verknüpfung von historischem Material, Befragung von ZeitzeugInnen und VertreterInnen verschiedener Bereiche der Musikbranche sowie opulenten Spielfilmszenen gewinnt der Film eine eigene Dramaturgie, die mit vielen Überraschungen und amüsanten wie großartigen Details aufwartet.

Glänzende Ideen werden mit technischer Raffinesse perfekt umgesetzt und weichen die Grenzen zwischen historischer Realität und aktueller Fiktion auf. Die große Kunst besteht darin, dass diese Fülle an filmischen Mitteln niemals überladen wirkt, sondern transparent bleibt und daher mit Genuss zu verfolgen ist. Eine mindestens ebenso große Kunst dürfte es wohl sein, beide Facetten von Florence Fosters Gesang zu präsentieren, nämlich die von ihr selbst vermutlich empfundene Perfektion als auch die tatsächliche vollkommene Unvollkommenheit, und in beiden Rollen gleichermaßen zu brillieren. Überzeugender, charmanter und hinreißender, als Joyce DiDonato hier singt und spielt, ist die Umsetzung dieser Rolle nicht vorstellbar. (Text Gerda Vorkamp)

Die Florence Foster Jenkins Story/The Florence Foster Jenkins Story
Deutschland 2016
Regie: Ralf Pleger
Darsteller: Joyce DiDonato, Adam Benzwi, Jan Rekeszus
The Florence Foster Jenkins Story läuft ab 10.11.16 im Kino.



Interview mit Donna Leon und Joyce Di Donato

So war es uns heute eine Ehre und ein Geschenk (neben den beiden wunderbaren frischen Autogrammen, die die gute alte LP nun zieren), mit Joyce DiDonato und Donna Leon – nicht nur über diesen Film – eine Weile plaudern zu dürfen:

Gerda und Susanne (schmunzelnd): Wir haben uns nicht auf dieses Interview vorbereitet, aus diesem Grund möchten wir betonen: „Das Beharren auf Vollkommenheit zerstört unsere Kreativität …“ (Zitat aus dem Film)

(Donna Leon und Joyce DiDonato lachen)

DiDonato: Ich liebe dieses Zitat! Ist es nicht wunderbar?

Susanne: Als wir uns Die Florence Foster Jenkins Story" ansahen, wussten wir nicht, was wir von diesem Film erwarten könnten. Wir waren von der Strahlkraft dieses Films sehr überrascht, er ist tatsächlich ein ganz besonderes Doku-Drama. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Meisterwerk! Der Film überrascht auf vielfache Weise. Insbesondere die filmische Collage unterschiedlicher, einfallsreicher Erzählstile ist erstaunlich. Eigentlich sollte man denken, dass so etwas nicht funktioniert, aber in diesem Film tut es das.

DiDonato: Ja, das ist Ralf Pleger. Er weiß absolut, wie man genreübergreifend so etwas gestalten kann. Er hat einfach gute Visionen fürs Filmemachen. In diesem Film bringt er eine ungewisse Spannung rein, die man ja gar nicht vermuten würde. Das ist seine Spezialität, er kreiert ein neues Genre!

Joyce DiDonato und Ralf PlegerJoyce DiDonato und Ralf Pleger

Gerda: Es ist am Ende ein richtiges Drama, als die arme Florence Foster so unmittelbar starb, nachdem die Kritiker sie verrissen hatten.

DiDonato: Ja, das ist es. Dabei wollte sie einfach nur singen. Und sie hat in dieser Seifenblase gelebt, warum auch immer.

Leon: Und sie tat ja niemandem damit weh! Das Publikum hat sie sehr geliebt.

Susanne: Im Film wird unter anderem ihre Ambition beschrieben. Florence Foster Jenkins wollte den Menschen mit ihrer Musik Freude bereiten. Das ist ja auch genau das, was Sie beide, Donna Leon und Joyce DiDonato, mit Ihrer Kunst tun – in der Literatur und im Gesang. Und das auf höchstem Niveau. Was bedeutet es Ihnen, dass Sie mit dem, was Sie tun, von vielen Menschen geliebt werden und ihnen mit Ihrer Arbeit Freude machen?

Leon: Vielen Dank für das Kompliment! – Nun, warum kochen wir für unsere Freunde eine schöne Mahlzeit? Wir möchten, dass sie sich an etwas freuen. Es ist doch sehr schön, wenn ich mir Mühe für ein Abendessen gebe, und meine Gäste freuen sich daran, sie bedanken sich mit ihrer Anerkennung für meine Arbeit! Das macht mich ja glücklich, wenn ich die Anerkennung für die Qualität meiner Arbeit erfahre. Viele Menschen arbeiten Jahre, Jahrzehnte in ihrem Job, und niemand dankt ihnen mal richtig.

Gerda: War das auch der Beweggrund für Ihre Berufswahl, anderen Menschen Freude zu bereiten?

Donna LeonDonna LeonLeon: Nein, ich wollte einfach nur sehen, ob ich es kann, ob ich eine Kriminalgeschichte schreiben könnte. Ohne größere Absicht dahinter. Als die erste Geschichte fertig war, habe ich ja mein Ziel erreicht und es danach mehr oder weniger vergessen. Dann schlug ein Freund von mir vor, mein Manuskript zu einem Wettbewerb nach Japan zu schicken, und dort habe ich gewonnen. Es ist im Grunde genommen so, als wollte ich unbedingt lernen, wie man Mousse au chocolat macht. Ach, ich liebe Mousse au chocolat! (lacht) Ich wollte herausfinden, ob ich es selber machen kann. Mein Ziel war also nicht, anderen eine Freude zu bereiten, sondern mir selber etwas zu beweisen. Der Kollateral-Effekt dabei ist, dass viele Menschen die Mousse, meine Bücher, mögen.

DiDonato: Bei mir war es doch ein wenig anders, es ging zunächst um die Frage der Berufung, etwas Sinnvolles und Gutes für andere zu tun. Mein Vater machte mir damals Mut, meinem Talent zu folgen. Auch wenn es zunächst egoistisch aussah – damit könnte man ja auch den Menschen dienen, nicht nur sich selber. Später habe ich mich mit den Meistern der Musik beschäftigt, und die Herausforderung war, ihnen gerecht zu werden, wie auch dem Publikum, das eine Menge dafür bezahlt. Mozart, Händel, Purcell – sie mit Verantwortung und Respekt zu interpretieren und gleichzeitig die eigene freie Kreativität dabei zu spüren, ist wichtig für mich. Irgendwie war die Musik auch meine Rettung, mehrmals in meinem Leben. Und das sehe ich häufig bei anderen Menschen, welche Bedeutsamkeit die Musik hat, sogar physisch. Das kann ich nicht außer Acht lassen. Anderen mit meiner Arbeit Freude zu bereiten, kann ich nicht erzwingen, aber wenn ich es erreiche, bedeutet es mir sehr viel. Es bedeutet mir viel, etwas Schönheit in die Welt zu bringen.

Gerda: In dem Film müssen Sie manchmal „out of tune“ singen, so als ob Sie es nicht richtig könnten, sozusagen ohne Anwendung jeglicher Gesangstechnik. Wie haben Sie das als professionelle Sängerin hinbekommen?

DiDonato: Glauben Sie es oder nicht, auch ich singe oft schief, vor allem das hohe Fis und G (lacht). Für den Film habe ich oftmals nicht geübt, um nicht zu sicher in der Melodie zu werden, sie mir nicht zu sehr bewusst zu machen. Es ging mir nicht so sehr darum, falsch zu singen, vor allem nicht so völlig unmusikalisch, wie Florence war. In meinen musikalischen Überlegungen habe ich sozusagen einen Kampf ausgefochten, einerseits die Stimme zu finden, so wie Florence sie besaß, und sich gleichzeitig wie die größte Primadonna aller Zeiten zu fühlen. Das war die größere Herausforderung.

Gerda: Wenn ich es im Abspann richtig gelesen habe, haben Sie das Stück Like a Bird“ selbst komponiert, das Sie im Film interpretieren. Wie kam es dazu?

Joyce DiDonatoJoyce DiDonato

DiDonato: Das Thema des Liedes passt zum Gesamtgeschehen des Films, aber als eine Schlüsselszene. Eigentlich war die Melodie zu dem Text von Florence Foster Jenkins eine andere, aber da gab es Lizenzprobleme. Mir kam die Idee zu der Melodie während eines Fluges nach Dresden. Ich hatte gerade erfahren, dass wir eventuell dieses Lied nicht in den Film aufnehmen könnten, und habe überlegt, wie man das Ganze retten könnte. Und dann hatte ich plötzlich diese Melodie im Kopf, so etwas ist mir noch nie zuvor passiert. (Sie imitiert die Szene, wie sie im lauten Flugzeug versucht hat, leise summend die Melodie aufzunehmen.) Es ist meine erste eigene Komposition. Als ich die Melodie Ralf Pleger vorbrachte, leitete er sie sofort an den Piano-Arrangeur weiter, und eine Stunde später stand das Grundarrangement für dieses Lied.

Gerda: Im Film erfahren wir, dass Florence Foster Jenkins'  Hörvermögen für die Musik möglicherweise durch ihre Krankheit, die Syphilis, und deren schwierige medikamentöse Behandlung beeinträchtigt war. Wie kommt man plötzlich auf diese Idee, fast ein Jahrhundert später, sodass die Geschichte neu erzählt wird?

DiDonato: Wie kam Newton zu seiner Gravitationstheorie? Es passiert immer wieder einfach so, dass plötzlich neue Ideen in die Welt kommen und man nicht genau sagen kann, woher. Zuerst dachten wir ja auch, dass Florence Foster Jenkins einfach nur eine reiche, verrückte Lady war, die wir sehr belächelt haben. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass die Krankheit und die Medikamente ihrem Hörverständnis geschadet haben. Im Laufe der Arbeit an dem Film konnten wir immer mehr von Florence erkennen, jenseits des schiefen Gesangs. Okay, ich lache immer noch über ihre Musik, aber nun gepaart mit Dank und Verständnis für diese Frau. Wir hoffen sehr, dass es den Zuschauern auch so gehen wird.

Susanne: Miss DiDonato, Ihr neues Album „In War and Peace" ist gerade erschienen.

DiDonato: Ja, ich habe barocke Stücke interpretiert.

Leon: Es ist wunderbar, ganz wunderbar geworden!

DiDonato: Man kann es sogar als Vinyl-Platte kaufen!

Leon: Der Klang soll ja so viel besser sein, sagt man.

Susanne: Miss Leon, Ihr aktuelles Buch "Ewige Jugend" ist der 25. Brunetti-Fall. Wird es noch eine Fortsetzung geben?

Leon: Auf jeden Fall!

Susanne: Darüber freuen wir Fans uns natürlich sehr.

Susanne, Gerda: Donna Leon und Joyce DiDonato, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.

(Transkription und Übersetzung des Interviews: Susanne Birck)


Kommentare  

# HintergründeKirstin Hartung (06.11.2016, 21:37)
Danke für dieses schöne Interview mit wunderbaren Fotos und interessanten und zum Teil sehr persönlichen Hintergrund-Informationen!
# Florence Foster Jenkins- Toll!Catharina.Strutz-Hauch (07.11.2016, 16:35)
Das liest sich wie eine wirklich spannende und kuriose Geschichte. Ich empfehle gleich die Königin der Nacht auf you tube anzuhören (nur sehr kurz erträglich) und dann den Kinotrailer anzusehen ... Und dann Karten vorbestellen!

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.