Foto: (c) Rahi Rezvani

Damien Jalet & Kohei Nawa mit Planet (Wanderer) auf Kampnagel
Überwältigendes getanztes Gesamtkunstwerk

Monotone elektronische Musik in Moll vom Komponisten Tim Hecker eröffnet den Tanzabend in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, der beim Publikum lange im Gedächtnis bleiben wird. Die gezeigte Kooperation des französisch-belgischen Choreografen mit dem japanischen bildenden Künstler Kohei Nawa fasziniert, überwältigt und begeistert von Beginn an.

Ganz langsam schält sich eine in Ganzkörperkostüm aus Glitzer bekleidete Figur aus dem mit schwarzen, glitzernden Sand bedeckten Bühnenboden. Wie eine unwirkliche Kreatur schlängelt und kriecht sie in wilden Verrenkungen über den vulkanisch anmutenden Boden und vereinigt sich mit einer skulpturhaften Anhäufung von Körpern, die sich langsam voneinander lösen und mit schwingenden Armbewegungen den Bühnenraum erobern, während das Licht langsam immer mehr aufzieht und einen Planet-artigen Raum begreiflich macht. Die gesamte Atmosphäre ist düster und konzentriert, während die Soundcollage der elektronischen Musik von Wortfetzen, Geräuschen und sphärischen Klängen als Untermalung der organischen Bewegungen der acht Tänzer und Tänzerinnen ein Bild zwischen Himmel und Erde erzeugt.

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Mittlerweile haben sich die nur mit Hosen bekleideten Figuren bis zu den Waden in den schwarzen fossil anmutenden Bühnenboden eingegraben. Dann beginnt ein fast schon unglaublicher Part dieses Gesamtkunstwerkes, in dem die Tanzenden wie Bäume oder Schilf im Wind vorwärts und rückwärts und seitlich schwanken, während sie mit ausufernden Armkreisen das Weltall umschlingen. Die Originalität dieses Bildes mit der unglaublichen körperlichen Biegsamkeit, Schönheit der Bewegungen und Energie der Tänzer/innen macht sprachlos. Hoch konzentriert und staunend besichtigt das gefesselte Publikum, wie Jalet es schafft, die Fragilität und Zerbrechlichkeit von Mensch und Natur auf die Bühne zu bringen. Das achtköpfige Ensemble begeistert mit absoluter Körperbeherrschung, während Bühnenbild, Licht und wabernder Bodennebel eine unwirtliche Umgebung schaffen.

Wie schon in seinem 2019 aufgeführten Stück „Omphalos“, in dem Jalet mexikanische Tänzerinnen und Tänzer auf einer gigantischen Satellitenschüssel positionierte und furios tanzen ließ, (hier ebenfalls von mir besprochen), erweist sich der Choreograf erneut als Erfinder einmaliger skulpturaler Bilder und futuristischer Welten. Gemeinsam mit dem japanischen Künstler Kohei Nasa schafft Damien Jalet ein Gesamtkunstwerk der Extraklasse aus Körperritual, Musikund bewegten Skulpturen in einer dystopischen Lebenswelt.

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Gegen Ende des gut 60minütigen Stückes befreien sich die Tänzer/innen aus ihrem schleimig-klebrigen Löchern und erobern die Oberfläche ihres unwirtlichen Planeten, um dann doch noch mit einer weißen Leim-artigen Flüssigkeit minutenlang bis zur Bewegungslosigkeit übergossen zu werden, während sich überraschend ein Geruch von Marzipan im Saal ausbreitet. War die klebrige Flüssigkeit Pelikanol, welches man früher beim Bastelunterricht in der Schule benutzt hat, wie meine Journalisten-Kollegin vermutete?

Den Elementen gnadenlos ausgesetzt, kreieren die Figuren grandiose Bilder, die an Originalität ihresgleichen im modernen Tanz suchen. Kraft, Energie und Schönheit trifft auf Fragilität und Zerbrechlichkeit von Mensch und Natur.

Foto: (c) Holger KistenmacherFoto: (c) Holger Kistenmacher

Minutenlanger stehender Applaus für den Choreografen und die unfassbar guten Tänzer und Tänzerinnen war der Lohn für ein unvergessliches Bühnenerlebnis, das lange nachwirken wird.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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