Foto: (c) Manuel Osterholt

Constanza Macras/ Dorkypark "The Visitors"
Furiose Saisoneröffnung auf Kampnagel

Mit der vielschichtigen Choreografie „The Visitors“ von der argentinischen, aber in Berlin lebenden und arbeitenden Constanza Macras/ Dorkypark wurde die Herbst-Wintersaison in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel eröffnet. Eine überbordende Arbeit voller politischer und kultureller Brisanz, Tanz und Gesang von Profis und Laien, Erwachsenen und Kindern zwischen Slasher-Horrorfilm und getanzten Geschichten der Apartheit in Südafrika.

Das begeisterungsfähige Publikum bekam sowohl musikalisch als auch darstellerisch einiges geboten: Ein gleichermaßen unkonventionelles und hochenergetisches Stück über die Befreiung durch Tanz. Constanza Macras, deren Kompanie zur Zeit an der Volksbühne Berlin ansässig ist, hat bereits mehrfach mit afrikanischen Tänzer/innen, wie zuletzt für Hillbrowfication (2018), wo sie Jugendliche aus dem Johannesburger Stadtteil Hillbrow engagiert hatte, zusammen gearbeitet.

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Jetzt hat sie im aktuellen Stück wieder verschiedene der Jugendlichen, die zwar älter geworden sind, aber dafür auch tänzerisch enorm gewachsen, sowie Performer/innen des Windybrow Arts Center besetzt. Die neue Produktion taucht ein in die Welt der Slasher-Filme, einem Subgenre des Horrorkinos mit eigenen narrativen Codes und einem eigenen ästhetischen Stil. In diesen Filmen werden hauptsächlich Teenager bedroht und getötet, während Eltern und andere Erwachsene abwesend oder nicht in der Lage sind, ihnen in irgendeiner Weise zu helfen. Die Jugendlichen müssen die Monster allein bekämpfen.

In „The Visitors“ bestehen der Horror und die Zombies aus der Geschichte der Apartheid in Südafrika und ihren Folgen bis heute. Bürokratie, Korruption, Bestechung und allgegenwärtige Gewalt sind die Stichworte. Das Bühnenbild wird zunächst bestimmt durch eine (Stoff-)Fassade eines berüchtigten runden Hochhauses in Johannesburg, das vor kurzem durch einen verheerenden Brand weltweit für Schlagzeilen sorgte. Es war ein vom Staat und Stadt aufgegebenes Gebäude ohne Strom und Wasser, das von illegalen Einwanderern, hauptsächlich aus Simbabwe, Kongo, etc. besetzt und bewohnt wurde. Der Müll wurde einfach in den Innenhof geworfen und soll dort bis zum 14. Stockwerk gereicht haben, einschließlich einiger Leichen.

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Es gibt keine lineare Erzählung in dem Stück, in dem die Tänzer/innen abwechselnd Jugendliche und Zombies darstellen. In wechselnden Kostümen zwischen elegant-barock, sportlich oder trashig zappeln sie als Zombies umeinander, um sich gegenseitig zu bekämpfen oder tanzen rasant um ihr Leben. Immer wieder gibt es wie im wahren Leben in Johannesburg Stromausfälle und bürokratische Hürden, wenn man einen Pass will oder für ein Visum ansteht. Die Geister der Vergangenheit, die immer wieder als ungebetene Gäste auftauchen, müssen mit Tanz, Gesang und Energie vertrieben werden.

Selbst bei einer Art moderierter Modenschau müssen die Tänzer/innen ihre „Qual“, ihre „mangelnden Ressourcen“ oder den „dunklen Schleier der endlosen Nacht“ zur Schau tragen. Das hat Tragik aber auch Komik. Vor allem, wenn die jungen Tänzer/innen voller Energie, Lust und Leidenschaft alles geben, auch wenn nicht jede Bewegung wirklich sitzt oder auch mal ein Schuh oder eine Perücke verrutscht. Voller Enthusiasmus werden die wildesten Sprünge, Figuren und Läufe absolviert. Mit großem Vertrauen wirft man sich in den Kampf-Szenen gegenseitig in die Arme - Energie pur.

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Leichte Abzüge „in der B-Note“ kann man höchstens dem Konzept zusprechen, wenn Constanza Macras zu viel von allem will, zu viel Inhalt, zu viele Gegensätze, zu viele Themenwechsel. Die formidablen Tänzer/innen, egal ob jung oder alt, haben jedenfalls alles gegeben und wurden am Ende dementsprechend gewaltig abgefeiert und das völlig zu Recht.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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