Jan Plewka, Foto: Holger Kistenmacher

Kulturfabrik Kampnagel
Jan Plewka mit neuem "Ton, Steine, Scherben"-Programm

In Tropenanzug mit Helm und Kanister geistert der ehemalige Selig-Sänger Jan Plewka durch das hereinströmende Publikum in die große K6 und erzählt vom Jahre 666, der schönen Helena und Agamemnon.

Er wird kaum wahrgenommen, weil jeder seinen Platz in der ausverkauften Halle sucht. Als das Licht langsam erlöscht und er von Heinrich Schliemann, dem Entdecker von Troja berichtet, der gefragt wurde, was er denn entdeckt hätte, habe dieser geantwortet: „Ton, Steine und Scherben“ - und ab geht die Post auf der großen Bühne.

Mit sägenden Metallgitarren wird „Menschenfresser“ ins Publikum geschleudert. Auf einmal sind alle wach und die Scherben-Show beginnt. Textsicher werden die bekannten Agitprop-Nummern der früheren Vorzeige- und Vorkämpfer-Gruppe der linken Szene mitgesungen. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ oder „Wir müssen hier raus“ werden rockig geboten. Dabei sind die Musiker der „Schwarz-Roten Heilsarmee“ (Lieven Brunckhorst, Marco Schmedtje, Dirk Ritz, Martin Engelbach) mit wallenden Haaren in ZZ-Top-Manier kaum zu erkennen.

Überhaupt scheint der Theatermacher Tom Stromberger, der auch diesen 2. Abend von Plewka mit Stücken der Scherben und Rio Reisers inszeniert hat, genüsslich den Fundus des Schauspielhauses geplündert zu haben. Da tänzelt Plewka mit einem Eisbären über die Bühne oder erscheint im bodenlangen Pailletten-Fummel als Femme Fatal. Barfuß wirbelt er die ganze Show lang über die Bretter, die auch für den legendären Rio Reiser die Welt bedeuteten. Das Motto des Abends: „Wann, wenn nicht jetzt“ wird auch im angelehnten Song überdeutlich: Er gibt es vor und das Publikum singt die Antworten auf seine Fragen. „Wann? Jetzt! Wer? Wir! Wo? Hier! Wie? Mit Liebe!“

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Es geht den ganzen Abend um Haltung, Solidarität und Liebe. Aber auch die aktuellen Horror-Zahlen und Fakten bezüglich Klima-Wandel, Aussterben der Arten und Wasserknappheit auf der Erde werden per Beamer auf die Bühne projiziert. Seine tiefe Verbeugung vor den großen Vorbildern seiner politischen wie musikalischen Sozialisation singt Plewka mit gewohnt rauer, brüchiger, aber auch zärtlicher Stimme.

Eindeutig politisch aufrütteln sollen Stücke wie „Wir müssen hier raus“ oder „Sklavenhändler“. Für Hoffnung und Mut stehen die Songs „Warum geht es mir so dreckig?“ und „Wir sind zwei von Millionen“. Unvergessene Textzeilen wie „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ rühren auch meine Sitz-Nachbarn.

Aber auch die Liebe, die ja besonders beim sensiblen Sänger Rio Reiser nie zu kurz kam, wird von Jan Plewka zärtlich und leise vorgetragen: „Komm, schlaf bei mir“. Und natürlich wird die Show mit witzigen Glitzer-Kostümen und kleinen Extra-Einlagen, wie einem Hubwagen, der den Sänger über den Köpfen der Band aufsteigen lässt oder die grandiose Masken-Aktion mit riesigen Augen vor dem Kopf theatralisch zum Augen- und Ohren-Schmaus.

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Als die Band dann auch noch A Capella „Jeden Tag nasch ich Haschisch“ zum Besten gab, war das Eis des typisch norddeutsch unterkühlten Publikums endlich gebrochen. Mit Standing Ovations und lautstarkem Gesang der gesamten Halle ging das wunderbare Konzert im Jubel des Publikums zu Ende.

Wer die beiden Termine verpasst hat, bekommt am 27.11. beim Zusatz-Zusatz-Konzert eine weitere Chance, sich eine der begehrten Karten zu kaufen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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