Brünnhilde (Kirsi Tiihonen) | Siegfried (Bradley Daley), Foto: Olaf Struck

Kiels Spiel mit dem Feuer
Wagners „Götterdämmerung“

Geschafft: In Kiel wurde als funkelnder Schlussstein die „Götterdämmerung“ in Wagners „Ring“ eingefügt. Daniel Karasek, der Generalintendant, hatte das große, vier Spielzeiten umfassende Projekt zur Chefsache gemacht und – dem jubelnden Schlussapplaus nach – erfolgreich zu Ende geführt (Premiere: 10. März 2018).

Hörenswert

Damit hat nun die nördlichste Landeshauptstadt einen geschlossen „Ring“, kann sich mit Wagners (oder Karaseks) Deutung der germanischen Götterwelt auseinandersetzen. Und die ist, wie die der vorhergehenden Teile, auch bei dem Schluss der Tetralogie durchaus farbig und abwechslungsreich gelungen. Die Götterwelt versinkt, was bleibt ist der Mensch. Und so scheint die Inszenierung sich zu allererst auf das Menschliche zu besinnen, das in Kiel vor allem in der Musik entdeckt wurde. Das Orchester, geleitet von GMD Georg Fritzsch, half dabei, spielte ausgesprochen sensibel, wenn auch bei den Bläsern, nicht nur im Blech, manches nicht gut passen wollte. Aber die Sänger wurden unterstützt, hatten Ruhe und Luft zum Atmen, waren nie überdeckt, zumal sie die Regie gut platzierte.

Gutrune (Agnieszka Hauzer) | Siegfried (Bradley Daley), Foto: Olaf StruckGutrune (Agnieszka Hauzer) | Siegfried (Bradley Daley), Foto: Olaf Struck

Der Australier Bradley Daley hatte schon im Vorjahr dem Siegfried seine Stimme gegeben, jetzt mit deutlich besserer Artikulation des Deutschen. Wieder darf er ihn als einen sorglosen Helden spielen. Dazu passt sein schlanker, quicklebendiger Tenor, der bis zum Schluss bewundernswert durchhält. Selbst im Liegen überzeugt seine Wandlung zu dem, der im „süßen Vergehen“ durch „seliges Grauen“ erkennt, was ihm Brünnhilde ist. Und Brünnhilde empfindet nun endlich wie eine irdische Frau, nachdem sie ihre göttliche Unverletzlichkeit verloren hat. Die Finnin Kirsi Tiihonen charakterisiert sie mit einem ausgeglichenen Sopran als bedingungslos Liebende und zugleich tief Enttäuschte. Großartig auch sie in ihrem Schlussmonolog, wenn sie den Fluch, der am Ring des Nibelungen haftet, durch den Feuertod entkräften will. Der Ukrainer Taras Shtonda, der dritte Gast, lehrt als Hagen alle das Fürchten, wird mit seinem grandios starken und profunden Bass zur Inkarnation des Bösen.

Die weiteren Rollen besetzte das Theater mit Ensemblemitgliedern. Hervorragend gelang das bei Hagens Halbgeschwistern Gunther und Gutrune, beide eigentlich nur willige, dumme Verführte. Tomohiro Takada als Gunther gewinnt seinem Part mit seinem kraftvollen Bariton dennoch viel ab, gestaltet gewohnt wendig. Und auch Agneszka Hauzer zeichnet die Gutrune mit ihrer warmen Stimme eindrucksvoll als unschuldig Schuldige. Unter den weiteren Sängerinnen ist Tatia Jibladze in gleich drei Partien zu bewundern. Neben der Ersten Norn und der Flosshilde singt sie die Waltraute. Deren Duett mit Brünnhilde, ihrer Schwester, ist ein Höhepunkt der Aufführung. Zusammen mit Agneszka Hauzer und mit Lori Guilbeaus leuchtendem Sopran ergänzt sie das Nornenterzett und mit Mercedes Arcuri und Heike Wittlieb das klanglich homogenere der Rheintöchter. Es bleibt noch einer der Götter übrig, allerdings nur als Traumbild Hagens, sein Vater Alberich. Ihn singt Oskar Hillebrandt, der die Partie sehr kurzfristig übernahm. Sein klarer Bariton hebt sich wohlklingend von dem schwarzen Timbre des Sohnes ab. Schließlich ist auch vom Chor zu berichten, der von Wagner hier im „Ring“ erstmalig einen eigenen Auftritt bekommt. Lebendig meistert er seine Aufgabe im Singen und Agieren.

Hagen (Taras Shtonda) | Herren des Opernchores, Foto: Olaf StruckHagen (Taras Shtonda) | Herren des Opernchores, Foto: Olaf Struck

So weit, so gut. Aber ein mittleres Theater, denn selbst das landeshauptstädtische Kiel verfügt nicht über eine wirklich große Bühne, muss sich mächtig anstrengen, dieses Projekt zu bewältigen. Karasek konnte sich dabei auf ein gut funktionierendes Team stützen, das bei den vorhergehenden Teilen der Tetralogie harmonierte, doch in der „Götterdämmerung“ nicht ganz zur Einheit fand.

Hingucker

Eine Reihe von Ungeschicklichkeiten trübten den Gesamteindruck, teils vermeidbar, teils aber dem Zuviel an Ideen geschuldet, der aus dem Druck entstanden sein mochte, die Leistung in den anderen Teilen zu übertrumpfen. Für die Bühne waren diesmal zwei Damen zuständig, Anna Myga Kasten und Chiharu Shiota, beide in Berlin lebende bildende Künstlerinnen. Anna Myga Kasten hatte gitterartige Gestelle geschaffen, die zusammen mit einer Brücke und Laufstegen den Raum optisch gliederten, ohne schwer und wuchtig zu wirken. Alles wurde zum Ende der Götterwelt ins Schiefe versetzt. Die Japanerin Shiota hatte bereits im „Siegfried“ mit ihren Seilen und Bandgespinsten imponiert. Sie wurden in die „Götterdämmerung“ übernommen, passten wunderbar zu dem schicksalhaften Fadengespinst der Nornen.

In großen Ballen hing das Geflecht blutrot vom Bühnenhimmel herab und teilte sich effektvoll, als den Nornen der Faden riss. Doch während die linke Hälfte des Knäuels hin- und herpendelte (warum?), war der rechte Teil durch eine optisch unpassende Leiter fixiert. Desillusionierend war das, aber wohl nicht der Bühnenbildnerin anzulasten, eher einem etwas lockeren Umgang mit der Gesamtwirkung, hier wie an vielen anderen Stellen. So war etwa das Spiel der Nornen mit den Lebensfäden in der gleichen Szene wenig gelungen. Dem Libretto getreu sollten sie die Schnüre verweben. Dabei halfen allerdings unübersehbare Hände einer Bühnenassistenz, sie an der Seite über Haken umzulenken. Auch der Kniefall, den etliche Sängerinnen zu machen hatten, sei erwähnt. Fallen ist leicht, das Erheben schwer. Und auch Brünnhildes Opfergang, zweifach geknickt in Hüft- und Kopfgelenk, wirkte überzogen, wenig real.

2. Norn (Agnieszka Hauzer) | 3. Norn (Lori Guilbeau) | 1. Norn (Tatia Jibladze), Foto: Olaf Struck2. Norn (Agnieszka Hauzer) | 3. Norn (Lori Guilbeau) | 1. Norn (Tatia Jibladze), Foto: Olaf Struck

Dritter im Bunde der optischen Gestaltung war Konrad Kästner. Seine Videos waren wesentlicher Teil der ganzen Tetralogie mit einer Einheit stiftenden Macht, kulminierten allerdings an Ausdruckswut in der „Götterdämmerung“. So bebilderten sie die orchestralen Teile in einer Art, die der Musik kaum eine Chance ließ. Schon bei „Siegfrieds Rheinfahrt“, der Überleitung zwischen den beiden Szenen im Vorspiel, sog die Bilderflut den Zuschauer auf, mehr noch bei anderen Zwischenspielen mit öden, von Feuer oder Raubbau zerschundenen Landschaften. Anderes wirkte in seiner realistischen Bebilderung einfach ärgerlich, wie der nicht enden wollende Trauerkondukt. Andere Sequenzen dagegen verwiesen klug auf Heutiges, wenn etwa das Feuermotiv in unsere Wirklichkeit hineinführt und vor Augen brachte, wie Brände verwüsten – eine andere, von Menschen gemachte Dämmerung.

Drittes Bühnenelement schließlich war wieder eine luftig leichte Großfigur, von Marc Schnittger entworfen und gebaut. Nach den beiden Riesen im „Rheingold“ und Fafner, dem Drachen, im „Siegfried“ kam nun Brünnhildes Ross Grane auf die Bühne. Die Spieler dieser Figur (Choreografie: Nina Scholz) hatten viel gelernt und bewegten ihr Gestell sehr realistisch. Verblüffend echt drehten sich Granes aufmerksame Ohren, dehnte sich der Rumpf beim Atmen und hoben sich nervös die Hufe.

Ein überfrachtetes Schlussbild

Foto: Olaf StruckFoto: Olaf Struck

Jedes für sich war optisch sehr präsent. Das überfrachtete Schlussbild aber brachte ein Nebeneinander aller drei Elemente. Sie mussten sich den schmalen Bühnenraum teilen: Links fuhr noch einmal das eine Lebensfadenbündel herab, schlank und gestreckt wie ein Phallus. Er senkte sich in ein Gebilde in Form einer Vulva, ein Eindringen wie zum Liebesakt, passend zwar zum Gesang Brünnhildes, die sich mit Siegfried im Feuertod vereinigen wollte. Grane bäumte sich auf, bevor sich Brünnhilde ins Feuer warf. Dass aber gleichzeitig ein mit wackliger Handkamera aufgenommenes Video im Hintergrund ablief, das einen Astronauten in einer Wüste (Sahara, Mond oder noch ein anderes Gestirn?) zeigte, war doch zu viel, zumal noch eine Schar von Kindern die Bühne in der Breite füllte. Das Prinzip Hoffnung im Dur des Schlusses zu sehen, hätte weniger Hinweise gebraucht.

Doch das Publikum war zufrieden und applaudierte lange, besonders heftig dem Orchester.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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