Zdenka (Mercedes Arcuri), Matteo (Michael Müller-Kasztelan), Foto: Olaf Struck

Kiels „Arabella“ – nur musikalisch eine Freude

Oper muss nicht logisch sein, vor allem nicht, wenn sie sich als „lyrische Komödie“ gibt. Von einer Inszenierung erwartet man es trotzdem.

Doch was jetzt der „Arabella“ in Kiel geschah, der bekanntlich Hugo von Hofmannsthal „den leichten Text, in der Hauptsache im Telegraphenstil“ gab (Brief vom 1.10.1927) und Richard Strauss das musikalische Korsett, hatte wenig davon, wirkte behäbig und bizarr auf den Rezensenten, auch wenn das Premierenpublikum jubelte. Die „Arabella“ ist „fraglos eine der merkwürdigsten Opern“, meinte Adorno 1933 nach einer Frankfurter Inszenierung. Wahrlich, denn da wird dem Publikum manches zugemutet. Graf Waldner, Rittmeister a.D. und Vater, bietet seine Tochter dem ältlichen, dafür reichen Regimentskollegen Mandryka an. Der soll ihm finanziell aus der Patsche helfen, in die ihn seine Spiel- und Alkoholsucht getrieben hatte. Das dem „Bittgesuch“ beigelegte bezaubernde Bild (Mozart lässt grüßen) entflammt aber den Neffen. Das würde ja passen, denn der Onkel ist tot und der Neffe gleichen Namens knackiger, zudem als Slowene zupackend und urig. In nur wenigen Minuten wird er, eben herbeigereist, mit Vater und später mit der Tochter handelseinig und zum Bräutigam.

Tomohiro Takada (Mandryka), Helena Köhne (Adelaide), Foto: Olaf StruckTomohiro Takada (Mandryka), Helena Köhne (Adelaide), Foto: Olaf Struck

Dann ist da noch die zweitgeborene Tochter Zdenka, schon flügge und ränkevoll. Sie wurde von der praktisch veranlagten Mutter kurzerhand in Männerkleidung als Zdenko aufgezogen, weil das billiger kommt, und eine schöne Hosenrolle offeriert. Und hier grüßt der „Rosenkavalier“, zu dem auch Hofmannsthal im selben Brief eine „innere Verwandtschaft“ sah. Zdenko aber hält die Rolle nicht durch, verliebt sich in den Jägeroffizier Matteo, einen der Verehrer der Schwester, und bleibt nicht bei schüchterner Knabenliebe, sondern verführt ihn nächtens. Der glaubt sich am Ziel und bemerkt im Dunkeln die Täuschung nicht, was nun – und besonders in der Kieler Inszenierung – wenig glaubwürdig ist, es sei, man(n) ist seiner Sinne nicht mächtig. Aber auf jeden Fall bringt es Mandryka, der sich wegen des vermeintlichen Dates seiner Zukünftigen gehörnt sieht, mächtig in Rage, was dann aber doch nicht das Ende verhindert, zu dem das Epitheton „happy“ passt.

Haarsträubend ist die Handlung, könnte dennoch, wenn leicht inszeniert, Komödie pur sein. In Uwe Schwarz‘ Regie fängt es jedoch bereits zäh an. Ganze 15 (!) Minuten vor Beginn sitzt Mama Adelaide mit der Kartenaufschlägerin auf offener Bühne. Pantomimisch lässt sie diese die Karten befragen, schaut dabei aber ebenso gelangweilt ins Publikum wie das auf sie. Weder das Geheimnisvolle der Wahrsagerin noch die ängstliche Neugier der Mutter wird so vorbereitet. Derweil kann sich der Zuschauer das eher schwerfällige, eng wirkende Bühnengebäude mit seinen noch verhängten Rundbögen ansehen (Ausstattung: Dorit Lievenbrück). Später wird es auf der Drehbühne immer mal wieder als gemächliches Karussell „herumgewirbelt“, während der Innenraum zum bizarren Spielplatz mutiert. Mal schneit es darin, mal sitzen die Herren dort am Spieltisch oder es drehen sich Birken im Rund. Dann tappst auch noch ein Bär umher, der wohl das tierische Abbild von Mandryka sein soll. Das führt gleich doppelt in die Irre. Zum einen verweist das Tiermotiv gemeinhin auf Russland, zum anderen gebärdet sich der Slowene selbst im Zorn wenig ungehobelt, zumeist sensibel und zivilisiert.

Fred Hoffmann (Graf Elemer), Katerina von Bennigsen (Fiakermilli), Tomohiro Takada (Mandryka), Foto: Olaf StruckFred Hoffmann (Graf Elemer), Katerina von Bennigsen (Fiakermilli), Tomohiro Takada (Mandryka), Foto: Olaf Struck

Der zweite Akt gerät ganz aus den Fugen. Mit einem Kronleuchter wird das Rund halbwegs zum Saal, aber was sich dort als Fiakerball abspielt, immerhin eine gehobene Lustbarkeit für Arabella, für ihre adligen Galanen und eine gemischte Gesellschaft, ist zur Narretei verkommen. Tanz? Kommt nicht vor. Einzig Arabella schreitet mit ihren drei gräflichen Verehrern nacheinander über das Parkett, darf sich allenfalls am langen Arm drehen, während die Musik Walzer suggeriert. Ballgäste? Sie werden in eine dümmlich neugierige Touristen- oder bestenfalls Klatschreportertruppe umgemodelt, die mit Visier auf der Stirn (im Winter!) und blitzenden Kameras hereinschneit, um im Bilde zu bleiben. Schlimm ist, was der Fiakermilli geschieht, der koloraturenseligen Attraktion des Festes. Hier darf sie nicht die Männer, sondern muss den bereits bekannten Bären an der Nase herumführen, wird dadurch so behäbig wie er. Und ihr Kostüm mit der roten Pluderhose ordnet sie ziemlich drastisch einem bestimmten Gewerbe zu, besonders weil sie später ungeniert Mandryka auf dem Bauch herumrutschen muss. Diese Derbheit negiert ganz und gar das Leichte von Text und Musik.

So wirkt die Komödie grobschlächtig. Und auch Lyrisches tat sich wenig auf, denn das verhindert schon der Konversationston des Librettos. Etwas davon ließe sich finden, insbesondere bei der Titelfigur, die in besinnlichen Minuten im dritten Akt ihre Rechtschaffenheit behauptet. Ihr das zu glauben fällt schwer, da sie vorher ganz schön geschickt ihre Bewerberschar, gleich drei Grafen und den Jägeroffizier, um sich tanzen lässt. Dieses widersprüchliche Verhalten sinnfällig und grazil glaubhaft zu bringen ist ein Kunststück, das nicht vielen Sopranistinnen gelingt, auch Lori Guilbeau in Kiel nicht. Ihre Stimme hat ein wunderbar weiches Timbre, ist kraftvoll und geschmeidig. Das Leichte und Kokette aber ist ihr nicht gegeben, auch im Spiel nicht. Solch ein vorrangig dramatischer Sopran ist einfach eine Fehlbesetzung.

Michael Müller-Kasztelan (Matteo), Zdenka (Mercedes Arcuri), Foto: Olaf StruckMichael Müller-Kasztelan (Matteo), Zdenka (Mercedes Arcuri), Foto: Olaf Struck

Da die Sänger, auch die kleineren Partien, durchaus hörenswert waren, hatten wenigstens die Ohren ihre Freude. Vorrangig galt das für Mandryka, Arabellas Zukünftigen, der auch schauspielerisch seine Rolle füllte. Ihn verkörperte Tomohiro Takada. Er ist ein wahrer Kavalierbariton, nicht nur stimmkräftig, auch wunderbar sicher und schmiegsam in Farbe und Gestaltung. Bei der anschließenden Premierenfeier erhielt er den Titel „Kammersänger“. In den anderen Rollen gefiel vor allem Mercedes Arcuri mit ihrem jugendlich schlanken Sopran, die sich köstlich als Jungmann Zdenko wie als verletzte Zdenka durchsetzte. Sie konnte nichts dafür, dass keine Familienähnlichkeit bestand, so dass das schwesterliche Zusammenspiel nicht immer passte. Papa und Mama Waldner, Helene Köhne und Timo Riihonen, gestalteten versiert ihre Rollen, wie auch die Tenöre Michael Müller-Kasztelan als Matteo und Fred Hofmann als Elemer. Das Orchester unter Georg Fritzsch war in den schwelgerischen Partien zurückhaltend, machte seine Sache als Unterstützer der parlierenden Sänger aber sehr gut.

Der Regisseur hatte sich für ein konservatives Konzept entschieden, das er mit ein paar Tricks wenig sinnlich, wenig überzeugend aufzubessern suchte und in dem vor allem die Frauen in ihren Rollen schlecht wegkamen. Konzertant hätte alles mehr überzeugt.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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