Valdemar Villadsen (Glaukos), Foto: Olaf Struck

Barocke Theaterschau in Kiel
Leclairs „Skylla und Glaukos“ in deutscher Erstaufführung

Es lohnt sich, zwischen Lübeck und Kiel zu pendeln.

Bereits deren gemeinsame „Reise nach Reims“ (Rossini) war ein gelungener Versuch, die Stärken beider Opernhäuser zu bündeln. Jetzt brachten sie wohl zufällig im Abstand von nur einer Woche Barockopern auf die Bühne. Lübeck begann mit Händels „Ariodante“ und italienischer Gesangspracht, Kiel folgte mit Jean-Marie Leclairs „Skylla und Glaukos“ und optischer Opulenz.

Erweckung einer barocken Oper

Beiden Kompositionen ist gemeinsam, dass sie über einen langen Zeitraum vergessen waren. „Ariodante“ erfuhr allerdings bereits 1926 in Stuttgart eine Wiederbelebung. Leclairs Oper musste mehr als 230 Jahre warten, bis John Eliot Gardiner sie 1979 in London produzierte. Verdienst der Oper Kiel ist nun, das Werk erstmals in Deutschland aufzuführen (Premiere: 6. Mai 2017). Leclair, 1697 in Lyon geboren und 1764 in Paris ermordet, lebt heute im Gedächtnis vor allem als bedeutsamer Violinist. Seine einzige Oper, französisch „Scylla et Glaucus“, wurde 1746 in der Académie royale de musique als „Tragédie en musique“ uraufgeführt und nur dort gespielt. Grund dafür soll sein, dass sie eher frei mit den Opernkonventionen umging. Das vereint sie mit Händels elf Jahre älterer „Ariodante“ und macht sie doch zugleich heutigen Konsumenten zugänglicher. Denn die französische Vorliebe für Tanz und höfisches Zeremoniell, auch für das Zusammenspiel von Kostümkunst und Bühnenbild vermischt Leclair mit musikalischen Formen, die der italienischen Oper entnommen sind.  

Ballett, Valdemar Villadsen (Glaucus), Foto: Olaf StruckBallett, Valdemar Villadsen (Glaucus), Foto: Olaf Struck

Mythische Spiele mit der Liebe

Die mythologische Handlung nach Ovids "Metamorphosen" beginnt der Zeit gemäß mit einem Fürstenlob, das Ludwig XV. galt. In diesem Prolog werden Venus und ihr Sohn Amor bemüht. Er soll in der folgenden fünfaktigen, klassischen Tragédie die Nymphe Skylla überzeugen, sich endlich der Liebe zu stellen. Der hat sie sich bisher mit dem Argument entzogen, dass sie nur Leid bringe. Konsequent hat sie viele Verehrer abgewiesen, darunter auch Glaukos. Er ist ein Meeresgott und, wie sein Name verrät, blauglänzend und leuchtend. Fatal ist, dass er bei der Zauberin Circe Rat und Hilfe sucht, die allerdings selbst sich wieder verlieben möchte und sich ausgerechnet den Bittsteller wählt. Die Rivalin muss also beseitigt werden. Das führt dann über mancherlei Verwirrungen zum bösen Ende, bei dem Skylla zu jenem sagenumwobenen Meerungeheuer wird.

Bildkräftig inszeniert

Die Inszenierung präsentiert sich zunächst als optisches Spektakel und ist eher brav in der szenischen Umsetzung der heftigen Gefühle. Wie bereits bei Lullys „Atys“ und Glucks „Orpheus und Eurydike“ in den beiden vorherigen Spielzeiten haben die amerikanische Tänzerin und Choreografin Lucinda Childs und der griechische Bühnenbildner Paris Mexis sowie der deutsche Lichtdesigner George Tellos zusammengewirkt. Eine große Vielzahl an Kostümen für die Protagonisten, für Chor und Tänzer gleich in mehreren Rollen, dazu Masken wie bei einer attischen Tragödie müssen die Werkstätten ausgiebig beschäftigt haben. Unterschiedliche Farben ordnen die Welten. Die hellenistisch geprägte höfische Welt im Prolog und die arkadische der Nymphen und Hirten präsentieren sich in weißen, gelben und roten Tönen, die Gegenwelt der Circe in silbrigem Schwarz und eine Unterwasserwelt in Blau. Eindeutige Bühnenbilder verweisen auf Venus als weibliche Göttin oder auf Circe als lüsterne Urkraft. Vielfach bewegliche Wände mit unterschiedlichen Einblicken, luftige Bäume als stilisierte amöbische Landschaft, riesige Korallen oder ein großes Fischgerippe mit zahnbewehrtem Fischkopf sind optisch kräftig, akzentuieren aber das Spiel wenig. Die Drehbühne ist häufig in Bewegung, öffnet plastische Perspektiven. Ein Wellenbild im Hintergrund des letzten Aktes weckt Erinnerungen an historische Bühnenmaschinerie.

Mercedes Arcuri (Scylla), Valdemar Villadsen (Glaukos), Opernchor, Foto: Olaf StruckMercedes Arcuri (Scylla), Valdemar Villadsen (Glaukos), Opernchor, Foto: Olaf Struck 
Tanz und Musik

Neu im internationalen Regieteam ist der Franzose Bruno Benne. Er ist Spezialist für barocken Tanz und hat mit acht Mitgliedern des Hausballetts eine Tanzsprache entwickelt, die vielerlei Ornamente der Zeit nutzt. Arme und Beine, dazu aufrechte Sprünge geben den Tänzen einen wunderbar leichten und lebendigen, zugleich authentischen Charakter. Zudem hat man für die Orchesterarbeit einen weiteren Barockspezialisten gefunden. Es ist der aus Prag stammende Václav Luks. Sorgfältig hat er mit den Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters gearbeitet, dazu den Klang um historische Farben von hölzernen Querflöten, von Laute und Theorbe, von Cello in Gambenbauweise und barockem Bass im Continuo bereichert. Alles klang durchsichtig, lieferte vor allem für die Tänze leichtfüßige Rhythmen, auch den Sängern einen inspirierenden Hintergrund. Vor allem Skylla nützte das. Mercedes Arcuri sang sie ausdrucksvoll und voller Leidenschaft. Auch ihre Gegenspielerin Circe war mit Tatia Jibladze gut besetzt, auch wenn sie wenig ihre wütenden Koloraturen untermalen durfte, wenn sie bekennt: „Allein die Rache kann die Liebe mir ersetzen!“ Nicht recht begeistern konnte der dänische Tenor Valdemar Villadsen als Glaukos. Seine Stimme ist zwar schön und biegsam, reichte im Volumen allerdings nicht für ein Opernhaus. Der italienische Bass-Bariton Matteo Maria Ferretti, neues Ensemblemitglied, machte gleich in zwei Rollen auf sich aufmerksam. Gefallen konnten auch die Begleiterinnen Skyllas und Circes, Karola Sophia Schmid und Marie Sophie Richter. Weitere kleinere Solopartien waren Chormitgliedern anvertraut. In Ensemblesätzen allerdings konnte sich der Chor nicht von dem kraftvollen Klang trennen, der in romantischen Werken nötig ist.  

Fazit

Kiel liefert mit dieser Wiederentdeckung eine achtbare Inszenierung, die ihre Stärken im Optischen hat. Die Inszenierung ist in sich stimmig, aber eher von Ästhetik bestimmt als von ausdrucksvollen Aktionen, die Sujet und auch die kraftvolle, symbolträchtige Farbigkeit suggerieren. 


Fotos: Olaf Struck

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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