Die Dada-Künstler Andreas Dorau, Patrick Wengenroth und Gereon Klug mit ihrem Anti-Musical 'König der Möwen', Foto: Brigitta Jahn

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg
Schräg, schrill und grenzenlos

Vom Mittwoch, dem 8. August bis zum Sonntag, dem 26. August 2018 sind wieder einmal die Freunde aller Arten künstlerischer Grenzüberschreitung aufgefordert, den Weg in die Kulturfabrik Kampnagel zu wagen, um sich durch schräge, schrille und skurrile Kreativkost der verschiedensten Genres unterhalten, provozieren, belustigen oder erziehen zu lassen.

Das Internationale Sommerfestival in Hamburg steht seit Jahren für Avantgarde, Globalität, Grenzenlosigkeit, Komplizenschaft und kreative Zukunftsvisionen. Aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, Performance, Bildende Kunst und Theorie werden dazu Künstler/innen eingeladen, die eines gemeinsam haben: Sie entwerfen Stücke, Shows und Diskurse, die auf „Zusammenarbeit auf Augenhöhe (oft im Team oder mit anderen Künsten) setzen, die gegenwartswach und weltgewandt, die grenzüberschreitend zu anderen Medien, Ländern und Kulturen sind und dabei eine transgressive Lust verströmen“. Sommerfestival-Leiter Andras Siebold und seinem Team ist es auch dieses Jahr gelungen, Künstler, Compagnien, Musiker und Theoretiker aus aller Welt nach Hamburg zu locken, um Perspektiven, Visionen und extraordinäre Gegenwartskunst zu präsentieren.

Malpaso Dance Company: Indomitable Waltz, Foto: (c) Judy OndreyMalpaso Dance Company: Indomitable Waltz, Foto: (c) Judy Ondrey

Eröffnet werden die Festwochen durch die kubanische Malpaso Dance Company, also aus einem Land, wo politische Umstände mit sehr starren Grenzen herrschen. Das achtköpfige Ensemble gastiert mit einer Uraufführung, die Kampnagel in Auftrag gegeben hat, erstmals in Europa. Unter der Leitung von Choreografin Cecilia Bengolea wird ein dreiteiliges Stück gezeigt, das auf Arbeiten von Ballett-Erneuerin Aszure Barton und Company Co-Gründer Osnel Delgado zurückgreift. Dazu gibt es Live-Musik vom 6-fachen Grammy Preisträger Arturo O´Farrill, der außerdem eins von vier Festival-Kooperationskonzerte in der Elbphilharmonie geben wird.

Aus New York stammt die Choreografin Elisabeth Streb, die mit ihren „Extrem Action Heroes“ eine Avantgarde-Mischung aus Postmodern Dance, Stunt-Show und Akrobatik präsentieren wird. Ihre Tänzer/innen kommen erstmalig nach Deutschland und wollen auf Kampnagel die Schwerkraft außer Kraft setzen. Ein weiterer Tanz-Höhepunkt des Festivals kommt von der britischen Company Wayne McGregor, die zu den elektronischen Beats der Musik-Futuristin Jlin ein „vor Tanzfunken nur so sprühendes Gesamtkunstwerk“ produzieren will.

Florentina Holzinger: Apollon, Foto: (c) Radovan Dranga Florentina Holzinger: Apollon, Foto: (c) Radovan Dranga

Florentina Holzinger aus Wien bringt mit „Apollon“ eine Cyborg-Freakshow für Hartgesottene inklusive Ballett-Geschichte und einem Rodeo-Bullen auf die Bühne. Die stark feministisch beeinflusste Choreografin gehört mit ihren provokanten, teils pornografischen Arbeiten zu den am meisten kontrovers diskutierten Künstlerinnen, die schon dreimal beim Sommerfestival für Nervenkitzel und Grenzüberschreitung gesorgt hat. Diesmal warnen die Macher: Wer kein Blut sehen kann, sollte zuhause bleiben! Die Bühnenkünstlerin für seelische Abgründe und ekstatische Zustände, Gisèle Vienne aus Paris lässt in ihrem Stück „Crowd“ 15 jugendlich aussehende „Nachtdurchtänzer/innen“ in Slow Motion nach elektronischer Rave-Musik eine quasi-religiöse Ekstase-Party abhalten, um im kollektiven Rausch Momente von Liebe und Gewalt oder Intimität und Aversion zu spiegeln.

Das Genre Theater kommt mit sehr skurriler Kost daher: Als musikalische Dramödie bezeichnen die Hamburger/Berliner Dada-Künstler Andreas Dorau & Gereon Klug & Patrick Wengenroth ihr Anti-Musical „König der Möwen“. Es geht um Musik-Subkultur, Identitätssuche und Gentrifizierung – ein subversiver Kampf gegen Musicalisierung und Eventisierung. 

Gisèle Vienne: Crowd, Foto: (c) Estelle Hanania Gisèle Vienne: Crowd, Foto: (c) Estelle Hanania

Als „Nebelabend“ könnte man das Bühnenkunststück „Girl from the Fog Machine Factory“ des Schweizer Bühnenzauberers Thom Luz bezeichnen, eine Arbeit mit Musik, Schauspiel und Nebelmaschinen. Seine eigensinnigen Theaterkompositionen voller Schönheit, zeitloser Magie und nebulösem Theaterzauber wurden bereits zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Eine bildgewaltige Agenten-Story über Politik und Verrat im postkolonialen Malaysia wird vom Bildenden Künstler „Ho Tzu Nyen“ aus Singapur präsentiert, während die Band-Kollektivisten von „Kante“ (Hamburg/Berlin) und „Khoi Khonnexion“ (Kapstadt/Windhoek) mit „Das Haus der herabfallenden Knochen“ Musiktheater über wandernde Folk Tales, Poetry und Märchen aus Namibia, Südafrika und Deutschland vermischen. Der in Amsterdam lebende und in Südkorea geborene Künstler Jaha Koo präsentiert mit seinem eigensinnigen Humor eine tragisch-komische Lecture-Performance mit drei gesprächigen Reiskochern über Freundschaft und Einsamkeit aus der technisierten Leistungsgesellschaft Südkorea. Ein Land, das mit Abstand an der Spitze der Weltstatistik der Suizidrate unter jungen Menschen steht.

Jaha Koo: Cuckoo, Foto: (c) Radovan Dranga Jaha Koo: Cuckoo, Foto: (c) Radovan Dranga

Diese Performance steht genauso im Fokus des diesjährigen Themenschwerpunkts „Heimatphantasien“ wie die Theorie-Konferenz, die sich mit der Renaissance der Konzepte von Heimat und Nation befassen wird, um mögliche und realisierbare Alternativen aufzuzeigen zu einer Entwicklung, die von nationalistischen Tendenzen und Ausgrenzung momentan weltweit geprägt ist (siehe Trump, Orbán, Erdogan und Konsorten).

Das Kapitel Musik hat auch wieder einen bunten Strauß Klassik, Elektro, HipHop, Future-Pop, Intergalaktischen Jazz, Techno, Folk und Hamburger Schule zu bieten. Ich betreibe hier mal ein wenig „Namedropping“, um neugierig zu machen: Blumfeld mit Bandleader Jochen Diestelmeyer (Hamburg), Mouse on Mars (Köln), Lydia Lunch´s Big Sexy Noise (New York), Shara Nova & Aarhus Symfoni-Orkester (New York/Aarhus), Chelsea Wolfe (Sacramento), Sun Ra Arkestra (Saturn), Get Well Soon (Mannheim), Arturo O´Farrill and the Afro Latin Jazz Octett (Havanna/New York), Phanta Du Prince (Berlin/Oslo), John Maus (Austin) und The Last Poets (New York), um nur einige zu nennen.

Niklas Wandt & Wolf Müller, Foto: (c) Ariel Efron Niklas Wandt & Wolf Müller, Foto: (c) Ariel Efron

Dazu kommen natürlich wieder wie alle Jahre der Festival Avant-Garden, Migrantpolitan, die Festival-Akademie, Ferien-Workshops des Summer Camps, Radio Atopia und jede Menge Partys. Also auf nach Hamburg zum Internationalen Sommertheater bei hoffentlich lauschigen Temperaturen und kreativer Kunst der Besonderheit.

Viel Spaß und wir sehen uns, wünscht Holger Kistenmacher!

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel vom 8.–26. August 2018
Das gesamte Programm findet man unter: www.kampnagel.de und telefonisch gibt es Tickets unter: 040-27094949.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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