Gleich zu Beginn der neuen Spielzeit kommt ein alter Bekannter in die K6 der Hamburger Kultur-Institution Kampnagel. Sidi Larbi Cherkaoui, einer der berühmtesten und beliebtesten Choreografen der jüngeren Generation, der schon mehrfach erfolgreich in Hamburg gastierte, zeigt seine neueste Produktion: Fractus V.
Der belgisch-marokkanische Tanzstar, mittlerweile Direktor des Königlichen Balletts in Flandern, ist berühmt für seine überraschenden Crossover-Projekte aus allen möglichen Kulturen, Stilen und Genres. Seine „Eastmen-Company“ aus Antwerpen stellt dabei immer wieder die großen Fragen der Menschheit.
Die aktuelle Arbeit des diesmal rein männlichen Ensembles aus fünf Tänzern und drei Musikern kreist dabei um die Frage der Manipulation von Sprachen und Medien. Es geht ihm um die Lehre von der Befreiung des Geistes durch den Körper, sprich um die Lobpreisung des Tanzes. In dem grandios getanzten Stück plädiert Cherkaoui für grübelfreies Genießen. Und für diesen genialen Mix aus HipHop, Tango, Flamenco, indischer Kathak oder asiatische Kampfkunst steht er mal wieder selbst als charismatisches Tanz-Chamäleon auf der Bühne und brilliert in allen Stilen. Untermalt wird dieses choreografische Konzept von drei Musikern, die ihren jeweiligen Folklore-Einfluss aus Japan, Korea und Indien zu einem aufregenden Soundtrack mixen, die diese sinnliche Hommage an die Kraft des Tanzes genial verstärkt – noch täglich bis Samstag, 14.10., jeweils 20 Uhr.
Der zweite Höhepunkt der Saison stammt vom Schweizer Theatermacher Milo Rau, der nicht umsonst zur Zeit als einer der spannendsten Regisseure Europas gilt. Sein Stück „Five easy Pieces“ wurde gerade als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen zum Theatertreffen 2017 eingeladen. Radikal in der Umsetzung, verstörend in der Thematik und simpel in fünf Versuchsanordnungen, an denen nichts einfach ist, präsentiert Milo Rau einen grandiosen Theaterabend. Erzählt wird von Kindern für Erwachsene die erschütternde Geschichte des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, der in den 90er Jahren mehrere Kinder entführt, missbraucht und getötet hat. Und der für unfassbar lange Zeit nicht entdeckt wurde. Schon immer hat Rau in seinen Stücken politisch brisante Themen bearbeitet (zuletzt „Hate-Radio“ über den Genozid in Ruanda), doch diesmal gelingt ihm mit der Umkehr der Rollen – alle Parts werden von Kindern zwischen 8 und 13 Jahren gespielt – eine geniale Provokation durch den Bruch aller Tabus.
Donnerstag, 30.11. bis Samstag, 02.12.2017, jeweils 20 Uhr.
Der nächste Tanztheater-Abend auf der großen K6-Bühne von Kampnagel entführt uns emotional in die Straßen von Marrakesch, in den Alltag dieser bunten, quirligen Stadt mit ihren Gerüchen, Gesängen und orientalischen Traditionen. Die marokkanische Choreografin Bouchra Ouizgen zeigt in ihrer ersten Auftragsarbeit für die größte zeitgenössische Tanzcompany Norwegens „Carte Blanche“ mit „Jerada“ eine Performance, die sowohl die hervorragenden Tänzer und Tänzerinnen des Ensembles präsentiert als auch ihre aufstrebende Fähigkeit als einzigartige Leiterin für Gegenwartstanz beweist.
Donnerstag, 14.12. bis Samstag, 16.12.2017., jeweils 20 Uhr.
Danach folgen im neuen Jahr noch drei absolute Top-Stars der aktuellen internationalen Tanzszene: Akram Khan aus England, Anne Teresa de Keersmaeker aus Belgien und Alain Platel & Fabrizio Cassol, ebenfalls aus Belgien. Der preisgekrönte britische Choreograf Akram Khan präsentiert mit seiner neuesten Show „Until the Lions“ mal wieder sein typisch kraftvolles und dynamisches Tanztheater zwischen Tradition und Moderne. Es beschreibt die Schwierigkeit einer Frau in einer patriarchalen Gesellschaft und ist zugleich eine Choreografie über die Fragilität des Körpers, der Erde und der Menschheit an sich. Unterstützt werden die TänzerInnen durch einen dynamischen Trommelsound, der die Bewegungen akustisch verstärkt und kraftvoll vorantreibt.
Donnerstag, 25.01. bis Sonntag, 28.01.2018, jeweils 20 Uhr.
Die weltweit gefeierte Superstar-Choreografin Anne Teresa de Keersmaker und ihre Company „Rosas“ hat zuletzt in Hamburg die Elbphilharmonie eröffnet, und danach war sie selbst der gefeierte Star bei der ganztägigen Eröffnung der Berliner Volksbühne mit ihrem vielschichtigen Programm aus Performance, Kunst, Musik, Folklore, Tanz für alle, mit Laien, Besuchern und Profis auf dem Tempelhofer Flugplatz. Auf Kampnagel präsentiert sie im März eine Wiederaufführung ihres Stücks „Rain“ aus dem Jahr 2001, das sich so wunderbar leicht anfühlt wie ein rosa Sommerregen. Aber hinter der zarten Oberfläche steckt wie so oft bei Anne Teresa de Keersmaeker eine tiefgreifende tänzerische Auseinandersetzung mit der Musik des Minimalisten Steve Reich. In seinem Stück für 18 Musiker brilliert Reich in all seiner Genialität und Einfachheit, und Anne Teresa lässt ihre 10 TänzerInnen sensibel, präzise und enthusiastisch, aber voller Leichtigkeit zu einem süßen Moment voller Energie mit der Musik verschmelzen. Freitag, 16.03. und Samstag, 17.03.2018, jeweils 20 Uhr.
Um die Auseinandersetzung mit Musik geht es auch immer beim belgischen Choreografen Alain Platel. Gemeinsam mit seinem Musiker und Komponisten Fabrizio Cassol hat sich das Duo nun Mozarts „Requiem“ vorgenommen. Wie schon in der Arbeit „Coup Fatal“, die auch 2015 auf Kampnagel zu sehen war, werden dabei wieder Genre- und Kunstgrenzen eingerissen. Diesmal dürfen Musiker aus Afrika, Arabien und aus dem Westen das klassische Stück durch die Mangel von Oper, Jazz und zeitgenössischer Musik drehen und heraus kommt ein genialer Mix aus Tanz, Schauspiel und Musikalität, in dem ein furios filigraner Abschied zelebriert wird, sagt der Pressetext. Wir dürfen gespannt sein.
Donnerstag, 05.04. bis Samstag, 07.04.2018, jeweils 20 Uhr.
Genügend Brisanz, politische Auseinandersetzung, künstlerische Innovation und tänzerische Qualität auf höchstem Niveau dürfen also erwartet werden, und man sollte sich rechtzeitig Karten für diese besonderen Gastspiele der Superlative für die neue Saison auf Kampnagel besorgen, empfiehlt Holger Kistenmacher.
Kartentelefon: 040/27094949, oder im Internet unter: www.kampnagel.de