Foto: (c) Holger Kistenmacher

Neuer temporärer Hotspot der Urban-Art in Berlin Wilmersdorf
WANDELISM

Eigentlich sollte schon zu Ostern Schluss mit lustig sein im grell und fantasievoll umgestalteten Autohaus in der Wilhelmsaue 32 in Berlin, aber die Organisatoren und Künstler der lokalen und internationalen Streetart-Szene konnten den geplanten Abriss des Gebäudes bis dato verzögern. Also gibt es die herausragende Schau „Wandelism“ noch einmal kurzfristig Ende April zum Gallery-Weekend zu besichtigen.

Im Frühjahr 2017 hatte das Projekt „The Haus“ für Aufbruchstimmung und Euphorie bezüglich der Berliner Streetart-Szene sowohl für Macher wie Besucher gesorgt; damals wurde ein komplettes mehrstöckiges Wohnhaus vor dessen Abriss in ein dreidimensionales Kunstwerk verwandelt, haben sich insgesamt 88 Künstler/innen und kreative Kollektive ein ehemaliges Autohaus vorgenommen, um es mit allerlei urbaner Kunst neu zu gestalten, bevor auch dieses Gelände mit neuen Wohnungen bebaut werden soll.

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Im Gegensatz zu „The Haus“ betonen aber die Kuratoren und Macher von „Wandelism“ ihre nicht-kommerziellen Ideale und Ziele am Projekt. Während beim erstgenannten Kunstprojekt strengstens darauf geachtet wurde, dass Besucher keine Fotos und Filme machten (Handys und Kameras mussten abgegeben werden, alle Leute wurden gefilzt), verweisen Szene-Größe „The Schnu“ und Baye Fall, Jerome Graff, Marlon Schatte und Moritz Tonn vom Orga-Team darauf, dass 30 Prozent aller Einnahmen aus Spenden, Führungs-Geldern und Getränke-Verkäufen der AWO-Kita Kinderwald in Mitte zur Verfügung gestellt werden sollen, damit diese von Kindern mit Hilfe von Künstlern verschönert werden kann. Nach Abzug aller Kosten für die Fertigstellung des Projekts werde das Rest-Geld gleichmäßig auf alle teilnehmenden Künstler aufgeteilt. Und natürlich war der Eintritt ins Gebäude frei. So war die Schlange der Besucher am Oster-Samstag auch immens, als ich in Berlin zu Besuch war, um das Projekt mit meinem Freund, dem Kameramann Frank Lehmann, zu besichtigen, der es von Beginn an filmisch dokumentiert hat.

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Das ehemals triste Autohaus-Gelände, das den Künstlern von einer Immobilien-Gesellschaft kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde, bevor die Abriss-Bagger kommen, hatte sich nach kurzer Zeit in einen sehenswerten Tempel urbaner Kunst verwandelt. Riesige Wandmalereien, beeindruckende Auto-Skulpturen, fantasievolle Installationen oder ganze komplett umgestaltete Räume und Treppenhäuser, um nur einiges zu nennen, sind entstanden und interpretieren das übergeordnete Thema: der Wandel der Großstadt. Den Machern und Künstlern geht es um die Reaktion der aktiven Streetart-Szene auf die stetigen Veränderungen in ihrer Stadt. Gentrifizierung und Aufhübschung der Gebäude in Berlin sind der natürliche Feind von Aktivisten wie den „Berlin Kidz“, die mit ihren halsbrecherischen Aktionen dagegen ankämpfen. Die stets maskierten Helden der Hardcore-Abteilung seilen sich von Hochhäusern ab, um ihre bunten Chiffren und Geheimsymbole zu sprayen. Wie man auf ihrer käuflichen DVD, die ich sehr empfehlen kann, sieht, scheuen die Extrem-Künstler auch vor krimineller Aktion wie Turnen und Fußball-Akrobatik auf fahrenden S-Bahnen nicht zurück. Genial, gefährlich, aber leider geil!

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Ihnen, wie allen anderen Künstlern geht es bei dem vieldeutigen „Wandelism“ um die Rückeroberung des öffentlichen Raums, um Freiräume für Kunst, beziehungsweise übergeordnet um die Freiheit der Kunst, auch wenn dafür illegale Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Wer es zum Monatsende nach Berlin schafft, dem kann ich einen Besuch in der grell-grünen Autohalle in Wilmersdorf wärmstens ans Herz legen, denn das Gesamtkunstwerk über zwei Etagen und Keller hat diverse Überraschungen auf Lager. Zum Beispiel sollte man auf jeden Fall mal die beiden sanitären Örtchen aufsuchen – ich sag nur: „schöner scheißen mit Hai-Attacke“ – oder die schwarz-weißen Treppenhäuser durchschreiten. Im ersten Stock kann entspannt geschaukelt werden, während man im Erdgeschoss genüsslich einen, „natürlich“ veganen, Döner futtert. Auch der plüschige Bunny-Ami-Schlitten hat in seinem Inneren so einiges zu bieten. Außerdem darf man noch Street-Dancer, geile Mucke aus der HipHop-Ecke und lecker Speis und Trank erwarten.

Mehr Infos: www.wandelism.com

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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