Bill Viola, Fire Woman, 2005, Foto: (c) Kira Perov courtesy of Bill Viola Studio.

Bill Viola – Installationen
Jedes Werk ist ein kleines Wunder

Der „Rembrandt des Videozeitalters“, wie man den US-amerikanischen Video- und Installationskünstler Bill Viola gerne bezeichnet, verwandelt mit seinen monumentalen Arbeiten anlässlich des 500. Reformationsjubiläums die Hamburger Deichtorhalle in die „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“.

Gleich im ersten Raum, dem kathedralenhaft gestalteten, abgedunkelten Hauptsaal mit Riesenleinwand, wird der Besucher auf sich selbst zurückgeworfen. Feuer und Wasser in Bild und Ton auf einer 10 Meter hohen Video-Installation lassen die Betrachter in Ehrfurcht verstummen. In „Fire-Woman“ steht vor einer gigantischen Feuerwand eine Mönch-artige Person, die sich nach mehreren Minuten langsam nach vorne bewegt, die Arme ausbreitet und in ihr eigenes Spiegelbild fällt. Laut Aussage des Künstlers handelt sich um ein Bild, das ein sterbender Mann vor seinem geistigen Auge sieht. Am Ende zerfällt die spiegelnde Fläche in ihre grundlegende Form: sich schlängelnde Wellenmuster reinen Lichts. Die Flammen der Leidenschaft und des Fiebers haben das innere Auge des Sehers verzerrt und geblendet, so dass eine Begegnung mit dem begehrten Körper nie mehr möglich sein wird.

Bill Viola, Messenger, The Messenger, 1996, Foto: (c) Felix Krebs/Deichtorhallen Hamburg Bill Viola, Messenger, The Messenger, 1996, Foto: (c) Felix Krebs/Deichtorhallen Hamburg

Bill Violas Arbeiten, deren Wurzeln der künstlerischen Entwicklung in den 70er Jahren liegen, stellen die großen Sinnfragen des Lebens. Sie zeigen körperliche Grenzerfahrungen in sinnlicher Schönheit. Immer geht es in den Videos um existenzielle Fragen zu Tod und Geburt, Leid und Schönheit, Liebe, Emotion und Spiritualität. Er kreiert Elemente, die den Betrachter in Kontakt mit seinen Urängsten bringt. Der Seelenkünstler Bill Viola dringt dabei in Dimensionen vor, die extrem privat sind. Seine Technik ist dabei die Videokamera, mit der die Zeit verlangsamt, rückwärts, vorwärts und seitwärts laufen lässt. „Seit Erfindung der Technik von mehr als 300 Bildern pro Sekunde ist es ihm möglich, durch Super Slow Motion-Technik die Seele der Betrachter zu erwecken“, wie Kira Perov, die Partnerin und Geschäftsführerin des Bill-Viola-Studios betont. Die extreme Langsamkeit der Bilder, die häufig nur aus Licht und Farben bestehen, zwingen den Betrachter in eine innere Meditation. „Es ist wichtig, ruhig und konzentriert zu sein, wie in einer Meditation“, lautet sein Credo. Der Künstler schenkt den Besuchern durch seine Kunst „the gift of time“.

Bill Viola, Tristan’s Ascension, Foto: (c) Kira PerovBill Viola, Tristan’s Ascension, Foto: (c) Kira PerovGerade weil eigentlich alle seine 280 Werke, die er bis heute geschaffen hat, einen mystisch-spirituellen Hintergrund haben, eignen sie sich besonders als Beitrag zum 500. Jubiläumsfest der Reformation, wie die Bischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland, Kirsten Fehrs, in ihren Grußworten betont. Seine mit anspruchsvollster Medientechnik gemachten Arbeiten untersuchen Fragen der Spiritualität und Wahrnehmung innerhalb der menschlichen Erfahrung. „Luther hat den Glauben nicht den Priestern überlassen, sondern den Menschen erlaubt, selbst Kontakt zu Gott herzustellen. Genauso sieht es Viola mit seiner Kunst“, erklärt Fehrs das Engagement der Nordkirche für diese besondere Ausstellung. In „Tristan`s Ascension“ (The Sound of a Mountain under a Waterfall), der zweiten großen Arbeit im Hauptsaal, wird geschildert, wie die Seele nach dem Tod im Raum aufsteigt, indem sie erweckt und in einen rückwärts fließenden Wasserfall nach oben gezogen wird. Beide Videoarbeiten sind Teil einer Werkserie von Viola, die einem umfangreicheren, vierstündigen Video zu Peter Sellars Opernproduktion von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ entspringt. Visuell und inhaltlich ist jedes einzelne Werk ein kleines Wunder.

Bill Viola bringt in seiner Kunst Ost und West zusammen, wobei er gleichermaßen von Zen-Meistern, Sufi-Literatur und Altarbildern beeinflusst ist. Christentum, Zen-Buddhismus und Islam und ihre transzendentale und mystische Tradition und Aura liegen bei Viola eng beisammen. Man kann seine Videos als religiös betrachten, muss es aber nicht. Viola überlässt es dem Betrachter, in innerer Einsicht selbst zu urteilen. Ganz gleich wie man seine insgesamt 13 Arbeiten, die in der Ausstellung in Hamburg zu sehen sind, für sich persönlich bewertet, in ihrer Aktualität und Inspiration der spirituellen Dimension in der Kunst der Gegenwart sind sie wegweisend. Mein Tipp für den Besucher ist, sich viel Zeit zu nehmen, um sich in innerer Meditation auf die hoch ästhetischen und archaischen Bilder der Arbeiten von Bill Viola einzulassen, um über die eigenen grundlegenden Fragen des Lebens und der eigenen Existenz nachzudenken.



Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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