Als Kinder sangen wir: „Unlängst schrieb ich eine Oper, die war in der Tat ganz proper, denn schon in der Ouvertür kam die schöne Arie für: ...“ „Ganz proper“ wäre hier das Understatement schlechthin: Von Beginn an sind wir ganz hingerissen und, wie es den Anschein hat, mit uns das gesamte Publikum im voll besetzten Hafenschuppen C am Kai!
Oder wie mein Begleiter in der Pause so treffend sagt: „Es gibt Momente, da kann man sich einfach nur glücklich schätzen, in Lübeck zu sein. Und jetzt ist so ein Moment. Ist es nicht toll, dass wir an diesem großen Ereignis teilhaben dürfen!“ – Ja, das ist es. Wir stehen draußen in der Sonne, höchst zufrieden, mit Blick auf die malerische Hafenkulisse an der Trave, mit Getränken und Brezeln in den Händen – und richtig gespannt und mit großer Vorfreude auf den zweiten Teil der Jungen Oper „Luther in love“ von Gabriele Pott (Libretto und Regie: Birgit Kronshage), denn bis jetzt ist Luther noch gar nicht „in love“. Er quält sich ständig mit Selbstzweifeln, auch wenn er vor dem Reichstag zu Worms mit seinen berühmt gewordenen Worten „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ an seinen Schriften festhält. Wann beginnt denn nun die eigentliche Love-Story?
„Luther in love“ ist ein griffiger Titel, insbesondere für junge Menschen, aber die Oper erzählt das Wesentliche aus Luthers gesamtem Leben, zum Teil im Rückblick, bis hin zu seiner Liebe zu Katharina von Bora; sie bildet das ersehnte Happy End der Geschichte. Dass das nicht nur musikalisch, sondern auch erzählerisch spannend gemacht werden kann, beweist diese Oper vom ersten Ton an (der akustisch leider etwas vom Fluglärm des gefeierten Flughafens getrübt wird). Sie gilt als das Herzstück des diesjährigen Projektes der „Kunst am Kai“ und geht ummittelbar zu Herzen, und daran haben diese bezaubernden Kinder, die ihre Rollen mit so viel Überzeugungskraft, Selbstbewusstsein und Enthusiasmus verkörpern, einen großen Anteil, aber selbstverständlich auch die Musik.
Es ist bereits die dritte Jugendoper, die Gabriele Pott komponiert hat, „mal eben so“, möchte man fast sagen – neben den ungeheuren Aufgaben, die dieses so kleine und feine und doch schon immer größer und professioneller werdende Musikfestival mit sich bringt und die ja auch irgendwie gewuppt werden wollen. Im Frühjahr fiel einmal der Satz von Frau Pott: „Ich habe gerade so viel zu tun, ich komme kaum zum Komponieren.“ Und dann entsteht so etwas Herrliches! Das kann eigentlich gar nicht genug gewürdigt werden, ebenso wie die Arbeit, das Werk in nur zwei Wochen mit gut vierzig Kindern und Jugendlichen zur Bühnenreife zu bringen. Eine ganz, ganz tolle Leistung aller Beteiligten und an dieser Stelle ein herzlicher Glückwunsch an alle Mitwirkenden vor und hinter den Kulissen, dass alles so vortrefflich gelungen ist!
Zur Musik: Sie erinnert an vieles (Orff, Lloyd Webber, Bernstein gar?) und ist doch etwas ganz Eigenes, reich an Ideen und Abwechslung, mal rhythmus-, mal melodiebetont, modern und jugendgerecht (nicht nur zum Hören, sondern vor allem zum Wiedergeben), gleichzeitig mitreißend und eingängig, sogar zum Mitsingen angetan, ja, etliche Arien und Chorstücke haben das Zeug, zu Ohrwürmern zu werden. Ist das nicht DIE Kunst am Kai? Musiziert wird diese Uraufführung von Mitgliedern der Lübecker Philharmoniker und StudentInnen der Musikhochschule Lübeck. Im kleinen Orchester, das die Komponistin mit klaren, präzisen und temperamentvollen Vorgaben leitet, sind immer wieder fröhliche Gesichter zu sehen. Das ist, insbesondere bei Profis, gar nicht selbstverständlich, aber eine Wohltat (bei allem Wohlklang)!
Zur Inszenierung: Hier wird mit wenigen Mitteln auf clevere Art viel erreicht. Es braucht nicht mehr an Dekoration oder Kostümierung, als da ist. Kleine Accessoires wie zusätzliche Ringe, Tücher oder Ketten bewirken die Unterschiede vom armen Volk zur reichen römischen Kurie. Die Bühnenfläche wird in Tiefe und Breite gut ausgenutzt, die Auftritte aus allen Richtungen, selbst von draußen (glücklicherweise spielt auch das Wetter mit), sorgen für Spannung und Abwechslung. Tänze und Bewegungen sind bereichernd, aber angenehm maßvoll und werden mit kleinen, aber eindrücklichen Gebärden gut auf den Punkt gebracht.
Zu den DarstellerInnen: Vier Erwachsene sind in den sechs Hauptrollen zu erleben, Daniel P. Witte mit überzeugendem, kraftvollem Tenor als Martin Luther, Lisa Ziehm mit ihm ebenbürtigen Sopran als Katharina von Bora, Rebecca Aline Freese im warmen Mezzosopran als Ave von Schönfeld, Lukas Anton, der bestechende Bass-Bariton abwechselnd als Papst, päpstlicher Vertreter und Luthers Vater – Ohrenschmaus und Augenweide alle vier Charaktere, eine für jede Rolle stimmige Besetzung. Hinzu gesellt sich der allgegenwärtige Tod, der erst am Ende ins Abseits gedrängt wird, in seiner Bedrohlichkeit glaubwürdig getanzt von Martina Wüst, die auch die gesamte Choreographie bewerkstelligt hat. Einen kurzen, aber sehr gekonnten Einsatz hat noch die junge Sopranstimme Sarah Paulina Schmidt als Luthers abgewiesene Verlobte Evchen.
Hervorzuheben ist aber allemal dieser großartige Kinder- und Jugendchor des Festivals! Die jungen Menschen singen und tanzen, deklamieren und bewegen sich auf der nur sehr spärlich dekorierten Bühne des Hafenschuppens, als wäre diese immerhin zweistündige Aufführung nicht die erste, sondern schon längst Routine. Es klappt ja alles bestens! Selbst die langen Passagen, die teilweise auf Latein zu singen sind, wirken bereits verinnerlicht und werden souverän vorgetragen, selbst wenn dazu noch getanzt wird. Mag vielleicht nicht jedes Wort bis in die letzten Reihen verstanden werden, das tut gar nichts zur Sache. Ausnahmslos alle sind so diszipliniert und mit Begeisterung bei der Sache, dass sich diese Stimmung sofort aufs Publikum überträgt.
Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz. Witzige Einfälle würzen die bisweilen doch strenge Handlung, insbesondere bei den köstlichen Szenen im Nonnenkloster, die geradezu filmreif wirken. Daher sollte auch – und das ist womöglich der einzige Kritikpunkt an dieser Inszenierung – der Name des Mädchens im Programm Erwähnung finden, das die strenge Oberin so wunderbar darstellt. Ein Naturtalent! Das dürfte und sollte auch gerne bei der Verbeugung der Einzeldarsteller am Ende einmal aus der Masse hervortreten! Prima, kleine Dame! Mach weiter so!
Ganz erstaunlich ist, dass sich die Kleinen mit den Großen so verbinden können, dass sich die wenigen Erwachsenen von den Kindern kaum noch abheben. Nach kurzer Zeit spielen die Generationsunterschiede fast keine Rolle mehr, und so ist es sogar machbar und glaubwürdig, dass ein Chorjunge Luther zuvorkommt, indem er der liebreizenden Ave von Schönfeld (der Name ist Programm) auf Knien einen erfolgreichen Heiratsantrag macht und würdig mit ihr davonschreitet. Luther braucht eine ganze Weile, bis er in Katharina den ihm gewachsenen Gegenpart erkennt, durch den er zur Liebe findet, die ihm bislang gefehlt hat, und durch die er zum wahren Leben zurückkehren und die Furcht vor dem Tod hinter sich lassen kann. „Herr Käthe“ lässt ihm aber auch kaum eine Wahl, indem sie sich, die Hände in die Hüften stemmend, vor ihm aufbaut mit den Worten: „Hier stehe ich. Ich kann auch anders.“ Ende gut, alles gut – in diesem Fall im besten Wortsinn! Beglückte Gesichter auf der Bühne wie auf den Rängen, lang anhaltender Applaus, viele Bravorufe, ein voller Erfolg!
„... und in stillvergnügtem Sinn, summt ein jeder vor sich hin ...“, so endete unser Kindergesang, und so entlässt uns diese rundherum gelungene Junge Oper in den noch sonnigen Septemberabend.
Termininfos: KUNST AM KAI: LUTHER in LOVE (letzte Aufführungen Sa. 9.09 und So. 10.09!)
Fotos: (c) Christoffer Greiß
(Für alle Beteiligten der Aufführung stehen Fotos zum freien Download bereit.)