Ende 18

Der Strom fiel aus in unsrer Stadt.
Wohl dem, der das erlebet hat!

Selbstredend gab es auch Probleme;
daneben – und das war das Schöne –
entstand für eine kurze Zeit
fast heitere Gelassenheit.
Die Menschen, die die Lage prüften,
entstiegen ihren dunklen Grüften.
Man traf sich draußen vor den Läden,
sprach über potentielle Schäden
und sah wie einst sich ins Gesicht.
Kein Handy tat mehr seine Pflicht.
Es schmolz das Eis, der Kaffee kühlte,
gezahlt wurd’ bar und dabei fühlte
kaum jemand großes Unbehagen.
Im Gegenteil, man hörte sagen,
dies sei ein himmlischer Moment!
(Prompt fiel das Wort „Auszeit-Event“ ...)
Kein Selfie wurde mehr gemacht
und keine Nachricht überbracht
als ganz direkt von Mund zu Mund.
Bald gingen auch Gerüchte rund
von Sabotage, fremden Mächten,
die sich Gott weiß was dabei dächten.
Doch Gott dort oben runzelte
bloß kurz die Stirn und schmunzelte:
„So seid ihr Schäflein zu erreichen
doch fern von hundertvierzig Zeichen!
Abseits vom digitalen Wahn
bricht sich ein Miteinander Bahn.
Welch Wunder wirkt des Stroms Verbannung,
wo’s weltweit fehlet an Ent-Spannung!
Das lässt für Weihnachten mich hoffen.
Wie’s scheint, sind eure Herzen offen
für Tugend, die hier zwar die Not schafft,
doch sei sie Hinweis meiner Botschaft:
Noch immer heißt es ,Fest der Liebe’
und nicht der Likes! Wenn’s nur so bliebe!“

Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

Kommentare  

# Der Strom fiel ausChristina Schmidt (20.12.2018, 18:10)
Tolles Gedicht, trifft genau den Kern der Zeit. Wie oft hetzen wir von einem Ort zum anderen und sehen unser Gegenüber gar nicht mehr. Entschleunigung und Begegnung mit anderen tut uns allen einfach gut. Nutzen wir die kommenden Feiertage dazu einander zu begegnen. Eine gesegnete Weihnacht!

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