Tanztheater für Kinder und Jugendliche von Shiao Ing Oei und Stephanie Dalski
Traumhafte Geschichtsstunde mit „Zarina auf dem Zeitstrahl“

Es ist schon merkwürdig. Das Theater Lübeck muss, um Tanztheater zeigen zu können, in Kiel höflich anklopfen oder bei Oper und Musical fremde Kräfte einkaufen.

Jetzt kooperierte es mit der Musik- und Kunstschule Lübeck sowie der Grund- und Gemeinschaftsschule St. Jürgen und der Baltic Schule, um eine Tanzproduktion wenigstens für drei Aufführungen im Programm zu haben. Dabei unterstützte die Michael-Haukohl-Stiftung, deren Anliegen die vielseitige Förderung der kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen ist, dieses Projekt nicht nur „freundlich“, wie es im Programmheft heißt, sondern mit immerhin € 23.100 eher erheblich. Neben dem finanziellen und dem persönlichen Einsatz Haukohls zählt besonders das Ideelle, das Mutmachen, nicht nur Tanz an Schüler heranzuführen, sondern sie ihn selbst ausführen zu lassen, – und das ohne das Vorbild einer kompetenten und berufsmäßigen Truppe, die Lübeck nun schon seit mehr als 20 Jahren „einspart“. 

Dabei ist Tanz ein wichtiges Medium, ohne ihn Musiktheater ein Rudiment. Auch in Lübeck hat er trotz des Vakuums am Stadttheater eine große Zustimmung, wie der Zulauf in Ballettschulen zeigt oder die Existenz eines „Vereins der Ballettfreunde“. Vor allem aber zeigen begeisternde Aufführungen selbst von Kindern und Jugendlichen im Großen Haus, alle drei ausverkauft, dass Tanz überzeugt. Die künstlerische Gesamtleitung hatte Shiao Ing Oei, die in Lübeck seit Jahren mit TanzOrtNord und als Leiterin diverser Kurse an der Musik- und Kunstschule für ihre Kunst wirkt. Weit über 100 Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 20 Jahren, darunter auch etliche Jungen, waren zu führen. Allein das ist eine Großtat. Zusammen mit Alicja Adamska und Birgit Schmidt wurden Choreografien entwickelt, die das Vermögen der verschiedenen Altersgruppen nutzten. Sie schließen Elemente aus Sport und Akrobatik ein. Auch das sinnvolle Nebeneinander von Solo- und Gruppentanz faszinierte, imponierend vor allem beim Finale, bei dem alle auf der Bühne standen.

Die Grundidee für die Handlung ist so einfach wie wirksam. Eine 14-Jährige, getanzt im Wechsel von Mara Hemprich und Louisa van Wees, sitzt an einem Referat zu einem ungeliebten Geschichtsthema und schläft ein. Im Traum reist sie in andere Epochen, will wissen, wie man dort lebte und ob sich Freunde gewinnen lassen. Eine Höhlenszenerie der Steinzeit, das Ägypten von Echnaton und Nofretete, Lübecks Hafen zur Hansezeit um 1365, ein barocker Garten in Frankreich 1702 (fast unsere reziproke Jahreszahl) und ein Nirgendwo im Jahre 2222 sind die Orte. Ein Zeitschlauch, zickig und hilfreich, also mit einigermaßen menschlichen Zügen und Reaktionen (Text- und Hörspielregie: Sascha Mink), hilft ihr, Zeit und Entfernung zu überwinden.

Das Theater sorgte vor allem für eine eindrucksvolle Demonstration seiner Hebebühnentechnik, für Beleuchtung und Ton und für Sprecher. Die Ausstattung mit den unzähligen Kostümen entwarf Stephanie Viola Dalski. Alles verwirklichten die beiden gemeinnützigen Projekte „Das kleine Gewandhaus“ und die „BALI-Werkstätten“. Der Bau der Requisiten, der Steinzeitwerkzeuge und historischen Waffen, erfolgte in Technikkursen der Baltic Schule.

Die Musik spielte das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Ludwig Pflanz. Sorgfältig hatte man die Werke ausgewählt, Klassisches zumeist von Camille Saint-Saëns, Gustav Holst, Léo Delibes und Ralph Vaughan Williams. Die Zeitgenossen Karl Jenkins, Nebojsa Jovan Zivkovic und John Adams lieferten Neobarockes, steinzeitlich Percussives und Minimal-Musikalisches als Zukunftsklang. Das aber mochte, weil zu statisch, nicht gern vertanzt werden. 

Das Publikum war hingerissen, applaudierte viel und zum Schluss lange. Die Mühe war sicher groß, der Erfolg aber überwältigend. 

Fotos: Lutz Roeßler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Kommentare  

# TanzA.Borns (28.03.2017, 10:37)
Kleine Ergänzung erforderlich. Die Sparte Tanz wurde am Theater Lübeck "eingespart", als das Haus grundsaniert werden mußte und es schon in den 90gern zahlreiche Entscheidungsträger gab, die das dafür erforderliche Geld nicht ausgeben wollten. Siehe heute MuK und die jährlichen Haushaltsberatungen. Um das Theater grundsätzlich zu erhalten mußte der "Tanz" als Kompensation geopfert werden. Die Argumente waren dieselben wie heute. Stichworte: elitär, überflüssig, Luxus, können wir uns nicht leisten.......

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