Dorn und Röschen – Ein Kändler Light Dinner

Eine Stunde vor Beginn der Vorstellung in der Neuen Rösterei ist der Raum noch leer, aber sämtliche Plätze sind bereits reserviert. Wir drei unwissende Neulinge müssen uns mit inoffiziellen Plätzen zwischen den mit Kerzen und Knabbereien dekorierten Tischen begnügen, was uns nicht weiter stört, insbesondere, da uns der Hausherr persönlich noch mit den im Preis inbegriffenen Getränken versorgt. So sei das hier nun mal, wird uns gesagt, und Hauptsache, das Kabarett werde gut besucht. Das finden wir auch und bleiben noch länger unter uns, denn die anderen Gäste trudeln erst auf den letzten Drücker ein.

Spätestens dann haben wir begriffen, dass wir wirklich zu den Frischlingen hier gehören, nicht nur was unser mit knapp 50 Lenzen doch immerhin auch schon stattliches Alter angeht. Nein, man kennt sich hier, man sieht sich wieder, grüßt sich, sinniert über den Jahreswechsel, man ist endlich wieder vereint zur Kultur im Neuen Jahr, und wir Neuzugänge werden als solche registriert, beäugt und wohlwollend geduldet; schließlich machen wir uns ja bescheiden dünn auf den improvisierten Plätzen.

Endlich ist es für den Hausherrn an der Zeit, als Conférencier die Bühne zu betreten und uns alle willkommen zu heißen zu Kabarett & Kanapee. Pauschal wird geduzt, wir sind ja unter uns, und selbstverständlich kennen wir alle auch schon Dorit Meyer. Wir lieben sie und freuen uns auf ihr neues Programm. Der kleine Lapsus, den Gitarristen Christian Moritz namentlich erst in der Pause zu erwähnen, wird verziehen. Schließlich könnte diese Veranstaltung auch im heimischen Wohnzimmer stattfinden, so denn genug Platz wäre.

Nur mühsam verebbt die muntere Plauderei; daran ändern auch die vielversprechenden Gitarrenklänge nichts, mit denen Christian Moritz nun auf die Darbietung einzustimmen versucht. Dann betritt Dorit Meyer die Bühne bzw. pöbelt erst einmal die Männer im Publikum an („du Nasenloch, du“, „dich kann ich doch mit meinem Intellekt umzingeln“ …), bevor sie in einem munteren Reigen szenischer Darstellungen Werke des „Wowoeten“ Friedhelm Kändler zum Besten gibt. Wer nicht weiß, was ein Wowoet ist, wird am Ende des Abends schlauer sein, auch ohne, dass der Begriff erklärt werden muss. Dabei schlüpft Dorit Meyer mühelos und gewandt von einer Rolle in die nächste. Soeben noch im gelben Friesennerz und schnodderigen Tonfall vom Leder ziehend, wird im nächsten Moment in leichter, elegant-erotischer Abendgarderobe ein oller Stuhl im Tangorhythmus umtanzt, becirct und schließlich aufreizend be-sessen. Diese Kabarettistin liebt die Verwandlung und beherrscht sie, wirkt überzeugend in jeder Facette ihrer komisch-schrägen und teilweise märchenhaften Figuren, die dem überwiegend gereimten Wortwitz Kändlers lebendige Kraft verleihen. Ein Genuss für alle, die Dada mögen, Dorit kennen oder beides. Christian Moritz spielt im neuen Programm mit, nicht nur als klassisch ausgebildeter Gitarrist, der gekonnt untermalt, begleitet, überleitet, sondern bisweilen sogar als Akteur, stets dezent und ein wenig im Hintergrund, aber nie überflüssig.

Es versteht sich fast von selbst, dass das Publikum begeistert und dankbar mitgeht, sogar mitmacht, ja sich nicht einmal vor Einwürfen scheut, wenn ihm die ein oder andere Kunstpause zu lang zu werden droht. Was andernorts peinlich werden könnte, wirkt in diesem Rahmen eher familiär. Und welche Begeisterung kommt auf, als zu guter Letzt das hier schon altbekannte Märchen von Dornröschen (gesprochen wie: „erlöschen“) vorgetragen wird. Darauf hatten alle noch gehofft, und an diesem Abend soll niemand enttäuscht werden. Die Zugabe darf deshalb auch äußerst kurz ausfallen: „Willst du Liebe, dann geh dicht!“ (Oder doch Gedicht?) Und das war’s? Nein, Christian Moritz lässt den Abend mit einem wunderschönen klassischen Gitarrensolo, „Un dia de noviembre“ von Leo Brouwer, sehr sanft und leicht melancholisch ausklingen. Die Lachmuskeln entspannen sich, es darf geseufzt werden.

Wie gut, dass wir uns alle noch im Januar zum nächsten Kabarett & Kanapee wiedersehen. Das Programm wird aber jetzt noch nicht verraten.

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Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

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