In der neuen, spannenden Ausstellung in den Räumen des St. Annen-Museums geht es um die Vielfalt religiöser Praktiken auf dem afrikanischen Kontinent.
Zu sehen sind 120 Masken, Skulpturen, Amulette und Ikonen, die einen Eindruck der zahlreichen Traditionen von Maskentänzen, Reliquienkulten, Geisterglauben und Ahnenverehrung vermitteln. Auch Einblicke in die weit zurückreichenden christlichen, islamischen und jüdischen Traditionen werden gegeben.
Die Sonderausstellung „Heilige Zeichen – Brisante Objekte“ zeigt Skulpturen von Gottheiten (darunter auch starke, weibliche Göttinnen), Fetische, einen Altar zur spirituellen Energiegewinnung aus der Natur, ein vom Meisterschnitzer Areogun von Osi-Ilorin der westafrikanischen Yoruba gefertigtes Gefäß zum Aufbewahren von Utensilien eines Wahrsagers und Masken, darunter das wertvollste Stück aus dem Nachlass, die Maske eines Insektengottes der Batcham in Kamerun. Dass Afrika auch von einer Fülle islamischer und jüdischer Traditionen geprägt ist und beide scheinbar unversöhnliche Glaubensrichtungen im afrikanischen Volksglauben oft verschmolzen sind, wird anhand der ausgestellten Objekte ebenfalls schnell deutlich: Tafeln der Hausa in Nigeria vereinen Grundlagen islamischer Lehre mit mystischen Symbolen der jüdischen Kabbala, Amulette aus nordafrikanischen, jüdischen Silberschmieden stellen islamische Schutzzeichen dar oder vermengen diese mit ursprünglich jüdischen Symbolen wie dem Davidsstern. Aber auch das Christentum wurde nicht erst durch den Kolonialismus nach Afrika gebracht, sondern blickt in Ägypten und Äthiopien auf eine rund zweitausendjährige eigenständige Entwicklung zurück. Gerade die äthiopische Kirchenkunst regt mit ihren gleichsam vertrauten und unbekannten Formen und Inhalten zu interkulturellen Vergleichen an und macht deutlich, dass das Christentum keine europäische „Erfindung“, sondern buchstäblich eine Weltreligion ist. Daher sind in der Ausstellung beispielsweise eine Reihe äthiopischer Heiligenbilder zu sehen, unter anderem aus der Sammlung des ersten deutschen Botschafters im Land.
„Die Schau rund um afrikanische Religionen in den Räumen des St. Annen-Museums und somit im ehemaligen St. Annen-Kloster zu präsentieren setzt die Idee der sammlungsübergreifenden Ausstellungsarbeit der LÜBECKER MUSEEN sehr gelungen um“, so Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor des Museumsverbundes. „In diesem Ambiente treffen die Zeugnisse christlichen Glaubens der vergangenen Jahrhunderte in Norddeutschland auf die Objekte vieler unterschiedlicher Religionen und Traditionen des afrikanischen Kontinents aufeinander. Ich freue mich, dass unser Museumsverbund auf diese Art eine weitere Querverbindung zweier Häuser und damit eine ungewöhnliche Sichtweise auf das Thema ermöglicht. Gleichzeitig starten wir mit der projektbegleitenden, partizipativen Website ‚Afrika in Lübeck‘ im Rahmen der digitalen Strategie der Hansestadt Lübeck die digitale Ausweitung unserer Arbeit und ermöglichen den themenbezogenen Austausch auch außerhalb der Museumsmauern.“
„Die Fülle religiöser Traditionen Afrikas ist ein kultureller Reichtum, den wir angesichts immer neuer Nachrichten über Armut, Seuchen, Kriege und Terrorismus oft übersehen.“, so Dr. Lars Frühsorge, Leiter der Lübecker Völkerkundesammlung und Kurator der Ausstellung. Doch gerade aufgrund dieser Fülle und der Veränderungen vieler Kulturen durch den Kolonialismus und die Globalisierung könne man zahlreichen religiösen Objekten ihre einstige Bedeutung oftmals nicht klar zuordnen: „Die Erforschung des Nachlasses von Bernd Muhlack wird noch viele Jahre andauern. So geben uns selbst einige der hier gezeigten Stücke noch Rätsel auf. Nicht immer konnte ihre genaue Bedeutung ermittelt oder die Frage geklärt werden, ob die mit ihnen verbundenen Traditionen bis heute fortbestehen.“
Nicht nur wegen ihrer großen spirituellen Macht seien Ritualobjekte höchst brisant. So werfen die ältesten Stücke der Völkerkundesammlung, die im 19. Jahrhundert von Missionaren nach Lübeck gebracht wurden, Fragen nach der Rolle der Hansestadt im Kolonialismus auf.
Website „Afrika in Lübeck“
Zur Eröffnung der Ausstellung am 22. April ist die projektbegleitende partizipative Website „www.afrika-in-luebeck.de“ online gegangen. Auf dieser können Interessierte die multikulturelle Stadtgeschichte Lübecks sowie die historischen und heutigen Verbindungen zum afrikanischen Kontinent erforschen. Sie sind eingeladen, eigene Erlebnisse und Erfahrungen zu Lübeck und Afrika zu teilen und als Text, Bild, Videos oder Sounds auf einer Karte der Stadt zu verorten. Die Seite ermöglicht eine multiperspektivische Auseinandersetzung und einen vielstimmigen Dialog über Afrika und Lübeck. Beiträge können sich auf Orte, Gebäude und Institutionen beziehen. Zu den „afrikanischen“ Orten in der Stadt zählen zum Beispiel historische Gebäude oder Denkmäler, die von der gemeinsamen Geschichte zeugen, aber auch Kirchen und Moscheen, Vereinssitze, Geschäfte, Restaurants oder andere Lokalitäten, die für die heutige Community von Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund relevant sind oder einen anderen Bezug zu Afrika haben.
Ebenfalls präsentiert werden persönliche Erfahrungen oder Erlebnisse in Form kurzer autobiografischer Texte. Dies können beispielsweise Migrationsgeschichten und erste Eindrücke von der Stadt, aber auch spätere Erfahrungen von Integration und Diskriminierung sein. Denkbar sind auch Berichte über Afrika von Lübecker:innen ohne Migrationshintergrund, seien es berufliche Auslandsaufenthalte, ein Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit oder besondere Reiseerlebnisse. Gerne können die Beiträge auch unter einem Pseudonym verfasst werden. Die so gesammelten Inhalte sollen ab September in der dritten Ausstellung „Afrika in Lübeck – eine Spurensuche“ im Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk als hybrides Element präsentiert und im Idealfall später zu einem kuratierten Stadtspaziergang verknüpft werden.
Heilige Zeichen – Brisante Objekte
St. Annen-Museum
Ausstellung bis zum 17. Juli 2022
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr