Die Othellotorte (ehemals Mohrenkopftorte) in der Auslage bei Niederegger

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan
"Die Othellotorte" – Theater um Niederegger

Welch sprachliche Innovation! Welch Beitrag zur sprachlichen Korrektheit! Welch Beitrag zum Kampf gegen den alltäglichen Rassismus kommt aus der Konditorenküche und entfacht in der örtlichen Presse eine „emotionale Torten-Debatte: Mohrenkopf oder Othello?“

Wir wissen es alle: Statt eines Zigeunerschnitzels bestellen wir jetzt ein Balkan- oder Paprikaschnitzel. Nur die katholische Kirche hat noch nicht gegen die diskriminierende Bezeichnung der Kapuzinerklöße protestiert – aber das kommt sicher noch. Aus dem Negerkuss ist schon in der DDR ein Schokokuss geworden – nur echt mit dem kleinen Zipfel, der ihn vom Klassenfeindnegerkuss der BRD unterschied. Jetzt geht es dem Mohrenkopf, dem tête de nègre, an den Kragen und dem österreichischen Mohr im Hemd sicherlich auch noch. Aus der sprachlich belasteten Mohrenkopftorte, die uns im Halse steckenzubleiben droht, wird eine Othellotorte. Das zergeht im doppelten Sinne auf der Zunge. Beachten Sie das subtile Spiel der Vokale: o-e-o-o-e. Und in der Mitte des Wortes dieses unnachahmliche Doppel-o!

Auf der Torte wechseln sich als Krönung weiße und dunkle Schaumküsse miteinander ab. Die Quote stimmt! Otello und Desdemona! Erinnern wir uns an Verdis Otello: Un bacio, ancora un bacio – schmachtet Otello. Ein Kuss, noch ein Kuss. Die Othellotorte regt an zum gemeinsamen, gleichberechtigten Genuss: ich ein Stück und du ein Stück. Zudem scheint sich mit dem Namenswechsel auch eine Kooperation zwischen dem Lübecker Theater und der Traditionskonditorei anzubahnen. Der Spielplan (Shakespeare, Verdi, Rossini) kann seine Tortenergänzung finden und die Zuschauerinnen und Zuschauer werden sich in der Pause an Biskuit und Vanillecremefüllung delektieren.

Stammhaus des Traditionshauses Niederegger in Lübeck, Foto: Joe KniesekStammhaus des Traditionshauses Niederegger in Lübeck, Foto: Joe Kniesek

Spätestens wenn ich der Othellotorte den weißen oder braunen Kopf abbeiße, überfallen mich Skrupel und Zweifel. Muss, darf ich als Frau nur den weißen Schaumkuss essen oder auch den braunen, männlich kodierten, nach dem Motto: Ich habe dich zum Fressen gern? Darf ich das? Ich komme ins Grübeln. Shakespeares „Othello“ heißt im Untertitel „der Mohr von Venedig“! Ich erinnere mich: Es gab bereits eine hitzige Diskussion, ob die Darsteller des Othello sich auf der Bühne schwarz schminken dürften, ob dies nicht auch bereits ein Anzeichen von Rassismus sei. Und überhaupt: Darf man eine Torte nach einem Mörder benennen, der seine Frau erwürgt hat und sich dann selbst umbringt? Moralisch bedenkliche Torten esse ich nicht. Ich schiebe den Teller beiseite. Beim nächsten Mal bestelle ich Napoleonkuchen, Kaiser-Franz-Joseph-Torte, Esterházyschnitten …

Fotonachweise:
Die Othellotorte in der Auslage bei Niederegger, Foto: Swannü
Stammsitz Niederegger in Lübeck, Foto: Joe Kniesek

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