Ein fast unscheinbarer Mann betritt die Bühne, geht gezielt auf den Flügel zu und beginnt zu spielen. Leise, das erste Stück seiner 2015 erschienen CD Solo Piano: "My Waltz".
Dann mit kräftigerem Anschlag "Rose". Da ist Ruhe auf den Rängen, soweit man das den CV betreffend schreiben kann, bis die letzten Töne verklungen sind. Freundlicher Applaus, Chris Gall, Anfang 40, wendet sich dem Publikum zu, das „Scheinbare“ gewinnt und es zeigt sich, dass Gall nicht nur mittels 88 Tasten, sondern ebenso charmant mit Worten und bayerischem Akzent Geschichten erzählen kann: der Beginn eines angenehmen, genussreichen Abends. Letzteres natürlich in erster Linie musikalisch. Mit seiner „glänzenden Technik, dem unerschöpflichen Ideenreichtum, vor allem aber seinem unbestechlichen Geschmack” (Süddeutsche Zeitung) ist er mal unerbittlich, da rasen im Geiste Straßenbahnen kreuz und quer durch die Straßen, Autos nebeneinander und aufeinander zu ("Implacable"), mal fließend, so lässt er akustische Klanggemälde entstehen, die an einen klaren Gebirgsfluss mit all seinen unterschiedlichen Strömungen, Wirbeln, Stromschnellen erinnern ("Empty Pale Blue Paper"). Seine rechte wie (starke) linke Hand formen sich ineinander verwebende Figuren und es entsteht eine „besondere Verbindung von lmpressionismus, Minimalismus und Jazz” (Jazzpodium). Fast alle Stücke stammen von seiner oben genannten CD, die meisten aus eigener Feder.
Einzig bedauerlich, dass kein Stück seiner neuen Schallplatte "Studiokonzert" zu hören war, ein außergewöhnliches Werk, das weder im Entstehungs- noch im Produktionsprozess eine Eins oder Null gesehen hat. Die zusammen mit dem Percussionisten Bernhard Schimpelsberger in den Bauer Studios Ludwigsburg live mit bzw. vor Publikum „Direct-To-2-Track” mittels analoger Technik aufgenommenen und auf 180 Gramm Vinyl gepressten fünf Tracks sind nicht nur Referenz für Schallplattenspieler und Stereoanlage, sondern überzeugen durch ihre hohe musikalische Qualität. Der klassisch geschulte Gall greift auch hier sowohl auf die Erfahrung aus mehreren Formationen als auch auf unterschiedlichste Komponisten und Einflüsse abseits des Jazz zurück. Besonders faszinierend ist der Zusammenklang mit dem kongenial aufspielenden Schimpelsberger. Trotz oder gerade wegen der ungewöhnlichen Duobesetzung ist zu hören, dass die beiden gut miteinander können und sich schon lange kennen, wenn auch dies ihre erste gemeinsame Produktion für Musikkonserve ist. Da ist ein wunderbares Aufeinandereingehen zu erleben, dass in einem besonderen melodisch perkussiven Mix mündet. Die erste, limitierte Auflage des bei NEUKLANG verlegten Longplayers ist fast vergriffen und schon jetzt ein Sammlerstück, eine zweite Auflage ist in Arbeit.
So bleibt nur zu hoffen, dass Chris Gall zum nächsten musikalischen Genussabend auf Lübecker Boden von Bernhard Schimpelsberger begleitet wird, ohne dass dieser Wunsch seinen viel beklatschten Auftritt im CVJM schmälern soll!