Revolution
Konstantin Wecker & Band

Auftritt Konstantin Wecker: Er geht zur Bühnenmitte, putzt seine Brille am Hemdzipfel, setzt sie wieder auf und verliest schmunzelnd von einem knitterigen Zettel ...

 

 

 

„War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
Schrie: ‚Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!‘

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.“

Konstantin Wecker und Lienhard Böhning (Vorsitzender der Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck)Konstantin Wecker und Lienhard Böhning (Vorsitzender der Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck)

Das schrieb Erich Mühsam, selbst Revoluzzer, Anarchist und Pazifist, 1907 und widmete das Lied der deutschen Sozialdemokratie. Konstantin Wecker, der sich alle drei Attribute gleichfalls auf die Fahne schreibt, hat soeben, direkt vor seinem heutigen Konzert mit dem Titel Revolution, den Erich-Mühsam-Preis verliehen bekommen. Dafür bedankt er sich nun bei der Mühsam-Gesellschaft nochmals herzlich – mit der Randbemerkung, dass ja Bob Dylan gestern den Literaturnobelpreis erhalten hätte und nichts, aber auch gar nichts dazu gesagt hätte. Warum? Er war, so Wecker, stinksauer, denn er hätte lieber den Mühsam-Preis gekriegt ...

Ein heiterer Auftakt zu einem packenden Konzert in der fast vollbesetzten Rotunde der MuK. Der stolze Eintrittspreis von knapp 50 Euro hat offenbar nur wenige davon abgehalten, Konstantin Wecker & Band live zu erleben.

Wochen vorher, im Sommer, als vom Mühsam-Preis noch gar nicht die Rede war, wollte es der Zufall, dass Konstantin Wecker plötzlich öfter im Gespräch war. Mein Gegenüber im Büro hörte sich eines Tages mehrere Musikbeispiele an, die mich sogleich in Bann zogen. „Das klingt ja wie Konstantin Wecker“, sagte ich. „Das ist er auch“, war die Antwort, „aber das sind neue Stücke. Kennst du die?“ „Nein, leider nicht“, musste ich zugeben, war aber höchst erstaunt, dass sie den immer noch altvertrauten von vor ca. 40 (!) Jahren stark ähnelten. – Kaum später rezitierte eine Freundin beim Eiscafé draußen auf dem Rathausmarkt mit leicht verklärtem Blick und zu meinem größten Vergnügen ohne zu stocken Strophe um Strophe des Liedes Zwischenräume, nachdem wir etliche andere Stücke derselben Epoche schon gemeinsam angesummt hatten, und ließ damit schlagartig die uralten Zeiten wieder höchst lebendig werden. – Eine Bekannte bekannte kurz vor dem Konzert, sie sei völlig fasziniert, dass zum einen die alten Wecker-Songs, die sie sich gerade noch mal angehört hätte, inhaltlich ja absolut nichts an Aktualität verloren hätten. Als seien sie gerade erst komponiert worden. Das sei doch unfassbar! Und nun sei sie gespannt, ob und wie sich die neuen Lieder von den alten unterscheiden, und von daher sehr neugierig auf das bevorstehende Konzert.

Musik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in ConcertMusik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in Concert

Ja, das scheinen hier und jetzt alle zu sein: Ob er noch der Alte ist? Ob er noch immer so schwitzt? Ob es wohl nicht zu laut wird? Ob wir an der Seite ihn überhaupt mal von vorne sehen können? Meint er das wohl ernst mit der Revolution? – und was der drängenden Fragen mehr sind, die da in beschwingter Vorfreude im überwiegend (spät-)mittel-alterlichen Publikum ausgetauscht werden.

Und schon wird die Bühne gerockt, dass es eine wahre Wucht und Wonne ist. Mit von der Partie sind heute Abend die Vollblutmusiker/in: Johannes Barnikel (Piano), Wolfgang Gleixner (Gitarre), Jens Fischer (Schlagzeug) und Fany Kammerlander (Cello), jede/r nach Bedarf aber auch jeweils auf anderen Instrumenten, auch so seltenen wie einer Bass-Ukulele oder ihren Mobilfunkgeräten, die – man höre und staune – zu einer kompletten Band umfunktioniert werden können und damit endlich mal einen wirklich sinnvollen Zweck erfüllen. (Vor lauter Verwunderung und Begeisterung über diesen Gag ist mir inzwischen der dazugehörige Song entfallen. Wie ärgerlich! Er war so gut! Wer kann mir auf die Sprünge helfen?) Die Musici sind wahrhaftig so brillant, dass gelegentlich die Gefahr besteht, die Konzentration vollends auf den Sound zu richten, darin zu schwelgen und darüber die doch ebenso brillanten Textinhalte, wie eh und je poetisch gewandt und bilderreich formuliert und stets gespickt mit Sprachwitz, ein wenig zu vernachlässigen.

Musik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in ConcertMusik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in Concert

Erfrischend neue musikalische Elemente fügen sich unaufdringlich in alte Songs der Liedermacherzeit ein. So wird jetzt beispielsweise Wenn der Sommer nicht mehr weit ist nach jeder Strophe mit diversen südamerikanische Rhythmen bereichert. Kleine musikalische Zitate fließen wie beiläufig hier und da als humorige Einlagen in Bekanntes ein und erheitern das aufmerksame Publikum. Wer nicht ganz vertraut ist mit den Songs der 70er und 80er, wird nicht zu unterscheiden wissen, was hier wirklich brandneu dargeboten wird oder was aus der ersten Blütezeit von Weckers Karriere stammt. Der Künstler ist seinem Stil über all die Jahre treu geblieben und hat sich auch seine unverkennbare Stimme bewahrt, mit dem besonderen, fast zerbrechlich wirkenden Timbre bei zarten höheren Tönen und dem bayrisch gerollten Zungen-R, das der ohnehin schon starken Sprache noch mehr Ausdruckskraft verleiht und allen ChoristInnen zum Vorbild gereichen dürfte. Dazu sein Klavierspiel, das die Wandlungsfähigkeit seiner Stimme in gewisser Weise widerspiegelt, kraftvoll und überbordend auf der einen und lieblich säuselnd auf der anderen Seite.

So kennt und liebt das Publikum sein Idol und taut immer mehr auf in Freude darüber, dass irgendwie doch alles beim Alten geblieben ist und genau das auch jetzt noch ein Genuss ist. Die ersten Enthusiastinnen hält es schon nicht mehr auf den Sitzen. Seitlich zur Bühne wird bereits getanzt, die permanenten Handy-Fotos, die alle dahinter Sitzenden reichlich genervt haben, werden nun direkt am Bühnenrand geschossen, hinter uns wird bei jedem Applaus zusätzlich einmal kräftig gejodelt. Das nervt auf Dauer zwar auch ein wenig, aber eigentlich ist die leicht angetütscherte Dame wohl einfach nur glücklich. Es sei ihr gegönnt.

Musik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in ConcertMusik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in Concert

Hat sich denn gar nichts geändert? Doch. Konstantin Wecker wirkt gelassener, über den Dingen stehend, immer noch mit Biss, aber nicht mehr verbissen. Auch jetzt noch, gewissermaßen als gereifter älterer Herr (laut eigener Aussage) schreibt er Liebeslieder, die ihresgleichen suchen. Die Verliebtheit könnte kaum schöner und glaubwürdiger beschrieben werden als mit den Bildern, die diesem Sangespoeten dazu einfallen und die er in so eingängige, einschmeichelnde Melodien zu verpacken weiß. Gleiches gilt für das Stück, das der Vater für seine beiden 17- und 19-jährigen Söhne verfasst hat, ebenfalls ein Lied voller Liebe und Zärtlichkeit, äußerst anrührend. Unter anderem dankt er darin seinen Kindern, dass sie ihn gelehrt haben, zu geben, ohne zu wollen.

Aber natürlich ist der Name Wecker auch weiterhin Programm: Er rüttelt auf! Und ruft tatsächlich auf zur Revolution, zur linken, damit kein rechter Putsch passiert, wobei er sich bemüßigt fühlt, ausdrücklich zu betonen, dass er sich als Pazifist selbstverständlich treu geblieben ist und weiterhin auf absoluter Gewaltfreiheit besteht. Wenn unsere Brüder kommen legt davon klares Zeugnis ab. Nie sei er so stark angefeindet worden wie in den letzten Wochen und Monaten, sagt Wecker. Aber nicht etwa, weil er Widerstand fordert und immer noch die „Anna, Anna, Anna, die Anarchie“ liebt, nein, weil er weiterhin mit Überzeugung für die Willkommenskultur eintritt und dem Hass mit Zärtlichkeit begegnen möchte. Wir sollten wieder mehr mit dem Herzen denken – ein Ausspruch, der auf Petra Kelly zurückgeht, eine frühe Freundin Weckers. Poesie und Musik sollen denen Mut machen, die etwas verändern möchten.

Musik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in ConcertMusik- und Kongresshalle Lübeck: Konstantin Wecker & Band live in Concert

Last not least lautet eine ganz wichtige Botschaft, die uns Konstantin Wecker mit auf den Weg gibt: Wir müssen wieder lernen, zweckfrei zu leben, um damit dem eigentlichen Kern des Seins näherzukommen. Verdeutlicht wird diese Botschaft nicht nur an Ich singe, weil ich ein Lied hab, geschrieben mit 19 Jahren, sondern auch am Beispiel der Rose, die einfach immer wieder in aller Pracht und Vollendung blüht, ohne zu fragen, warum und wofür. In Worte gekleidet hat dies Angelus Silesius („Die Ros’ ist ohn warum, ...“), aber bereits Meister Eckhart sprach vom „Leben ohne warum“ und Meister Wecker hat es vertont: Sunder warumbe – ohne warum! Mitsingen ausdrücklich erwünscht, und das nicht zum ersten Mal. Die Gedanken sind frei durften bereits alle im Saal schmettern, um anschließend zu hören, was Wecker aus dem bekannten Volkslied gemacht hat.

Längst sind wir nach beinahe drei Stunden (inkl. kurzer Pause) im vermeintlichen Zugabenteil angekommen, der sich aber doch eher als eigenständiger dritter Programmteil entpuppt. Die Künstler, so hat es den Anschein, wollen am Ende das Publikum gar nicht gehen lassen. Jeder Song könnte jetzt der letzte sein, wie zum Beispiel Gracias a la vida (Deutsch von Wecker), aber dann kommt tatsächlich noch einer obendrauf, der einen noch treffenderen Schlusspunkt bilden könnte, und noch einer, Buona notte (Deutsch von Wecker), und ganz am Ende, nach zahlreichen Standing Ovations und einem kurzzeitig in der Menge abgetauchten Konstantin Wecker, sogar noch ein fantastisches Gedicht, das vom Leben und unausweichlichen Sterben handelt und vom Sein im Augenblick.

Diese eindringlichen Worte kann ich abschließend nur in der etwas einfacheren Version der Peanuts wiedergeben, die solch philosophische Gedanken auch bereits für sich (und uns) thematisiert hatten: „Eines Tages müssen wir alle sterben“, sagt Charly Brown etwas trüb gestimmt, worauf Snoopy antwortet: „Ja, aber an allen anderen Tagen nicht.“

Gracias a la vida und Dank an Konstantin Wecker & Band für einen beglückenden Abend!


Fotos: (c) Olaf Malzahn

Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

Kommentare  

# Konzert in PaderbornJutta Vogel (19.10.2016, 16:54)
Alles was über das Konzert in Lübeck geschrieben wurde, fand auch in Paderborn statt und es war super, super toll....
Selten so etwas schönes erlebt

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