Johanna Borchert im CVJM Lübeck

"FM Biography" - elektroakustisches road movie
Die fantastische Welt der Johanna Borchert

oder: was Frau mit Stimme, (präpariertem) Flügel und Elektronik alles machen kann.

Johanna Borchert ist eine kurz über dreissigjährige, begnadete Sängerin, schreibt ihre Lieder selbst, begleitet sich auf dem Klavier und ist die Gewinnerin des ECHO Jazz 2015 in der Kategorie "Beste Sängerin national" für ihr Album FM Biography! Sie arbeitet kontinuierlich an ihrer musikalischen Weiterentwicklung und war Stefan Gerdes beim letzten NDR Jazzkonzert im Funkhaus eine Ansage wert. Aber der Hype schien in HL noch nicht angekommen zu sein. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es mitten in der Woche und dazu ganz schön spät war: Nur eine kleine Gruppe Unverdrossener wartete am 22. April 2015, bis die Wahlberlinerin kurz vor halb Zehn im CVJM am Flügel Platz nahm und mit Desert Road, dem ersten Track ihrer oben genannten CD begann.

Johanna Borchert spielt merklich gerne Klavier (ihre Mitstreiter der letzten CD waren in Lübeck nicht dabei), scheint Moll-Tonarten zu mögen und liebt es (elegisch) zu improvisieren. Vielleicht war sie zu Beginn des Auftritts noch nicht so in Form oder traute sich für die späte Stunde zu viel zu. In die abwechslungsreichen Arrangements, bereichert durch Bestückungen des Flügels mit Hölzchen und Bändern, mischte sich ab und an ein rhythmisch nicht passgenauer Anschlag, auch die Intonation klang bisweilen verbesserungsfähig.

Johanna Borchert im CVJM LübeckJohanna Borchert im CVJM Lübeck

Oder war alles so gewollt? Über das Nachhören einiger ihrer Aufnahmen vermute ich, eher nicht. Mag sein, dass ich mich auch nur einhören musste. Jedenfalls schien mir, dass Johanna Borchert im Laufe des Abends immer mehr Sicherheit gewann und als sie zu grooven und mehr zu singen begann - schließlich dank Elektronik (Martin Huch) gar mit sich selbst im Chor quadrophonierte - war alles gut. Und wie sagte ein Gast: „Weniger ist manchmal mehr; großer Ausdruck ist unabhängig von technischer Qualität!“. Womit er nicht die pianistische Qualität schmälern wollte.

Das Konzert war nicht nur akustisch einen Besuch wert - dank Benjamin Schindlers optischer Bilder auch visuell faszinierend. Die ausdrucksstarken Projektionen erschwerten zwar das lohnenswerte Abtauchen in die Musik mit geschlossenen Augen, doch es gibt bestimmt größere Schwierigkeiten. Nach einer Pause, Improvisationen und mehreren Stücken ihres aktuellen Albums war dann mit einem Hörerwunsch (einer Melodie von Yann Tiersen; vorsichtshalber erwähnte der Besucher, dass dieser die Filmmusik zur Fabelhaften Welt der Amelie geschrieben hätte) und einem griechischen Lullaby um halb Zwölf Schluss und das zufriedene bis beglückte Publikum trat mit der klaren und ausdrucksvollen Stimme Johanna Borcherts in den Ohren in die milde Aprilnacht hinaus. Sie hätte gerne noch weiter singen können, wenn da nicht der Wecker am nächsten Morgen wieder zu klingeln drohte.

Johanna Borchert im CVJM LübeckJohanna Borchert im CVJM Lübeck

Johanna Borchert hat in Bremen als Pianistin begonnen. Gut, dass sie zusätzlich den Gesang für sich entdeckte. Ihre stimmlichen Fähigkeiten treffen meinen Geschmack noch mehr als ihre pianistischen. Dies scheinen auch einige Juroren so gesehen zu haben. Am 28. Mai bekommt sie ihre neueste Errungenschaft in der Hamburger Echo Jazz Gala überreicht. Und da werden bestimmt ein paar mehr Leute im Publikum sitzen. Hoffentlich auch bei ihrem nächsten noch nicht terminierten Auftritt in Lübeck, auf den ich mich schon freue (wer es nicht erwarten kann, in der großen Nachbarstadt ist sie bereits am 22.05.2015 zu erleben).

P.S.: Danke an den CVJM, der immer wieder spannende Jazz-Acts nach Lübeck holt und sich traut, die Reihe „Fantastische Musik“ aufzulegen.


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