Johanna Borchert, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Klang zwischen den Welten
Interview mit Johanna Borchert

Johanna Borchert hatte seit Erscheinen des Albums FM Biography Ende letzten Jahres schon viele Lorbeeren eingeheimst. So bezeichnete Tom R. Schulz ihr Debüt als Sängerin im Hamburger Abendblatt als epochal: „Daran vorbeizugehen wäre keiner Jury mit Ohren am Kopf verzeihlich gewesen.“

Johanna Borchert selber schreibt die Stilrichtung am ehesten dem Avantgarde-Pop zu, dennoch wurde die Wahl-Berlinerin für Ihr Album FM Biography am 28. Mai 2015 mit dem Echo Jazz in der Kategorie "Beste Sängerin national" ausgezeichnet.

Es ist wohl die Stimme, die als erstes betörend den Raum einnimmt, gleichfalls ist das Album herausragend komponiert, arrangiert und durch großartige Sidemen in Form gebracht. Die Texte inspirieren, die Atmo testet Hifi-Anlage wie Gemüt und selbst nach dem zehnten Hören ist da eine angenehme Mischung aus Neuem, immer wieder Spannendem wie Vertrauten.

Nicolaus Fischer-Brüggemann sprach mit Johanna Borchert kurz vor der Preisverleihung und fragte als erstes, ob sie schon aufgeregt sei:

Johanna Borchert: Noch nicht ganz, es ist so, wie wenn ich Konzerte spiele; die Aufregung kommt erst kurz vorher, glaub ich ... aber vielleicht dieses Mal morgen so mit dem Aufwachen, das könnte auch sein.

NFB: Zur Verleihung ist ja das "Who is Who" vertreten; ich lese Chick Corea, Brandford Marsalis, Lars Danielsson, Pat Matheny ...

JB: Ja, das sind die ganzen Größen, die ich, als ich 18 war und anfing zu studieren, bewundert habe ... (lacht)

NFB: Dem Publikum waren Sie bisher als Pianistin und ggf. Co-Sängerin bei Schneeweiss und Rosenrot bekannt? Wie kamen Sie zum Gesang und wann entschieden Sie sich, die Leadstimme zu übernehmen?

JB: Ich hab' immer Backing-Vocals gesungen in den Bands, die ich hatte, und ich habe immer komponiert für die Bands. Und da waren immer Sängerinnen in diesen Bands, d. h. ich hab immer schon für Sängerinnen Stücke, Songs geschrieben. Und ich habe auch früher im Chor gesungen; singen hat mir immer viel Spaß gemacht. Dann kamen irgendwann Stücke, die nicht mehr so passten zu den Bands und die ich beim Komponieren ja selber immer gesungen hab', um das auszuprobieren, und einfach das Gefühl hatte, das muss ich selber singen, weil ich gerade eine andere Vorstellung habe, wie das klingen soll, wie das sein soll. Und dadurch bin ich dann - auch - zu 'nem Gesangssolisten geworden.

Johanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannJohanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

NFB: Für mich klingt Ihr Gesang unverbraucht, sehr klar, transparent und entsteht und wächst ohne Druck und doch mit viel Kraft ... sehr frei, natürlich und gleichzeitig gekonnt. Hatten Sie neben dem Klavierstudium auch Gesangsunterricht?

JB: Also, ich hatte schon vor dem Studium ein bisschen Gesangsunterricht, weil ich damals eine Alibi-wenns-schief-geht-Schulmusikaufnahmeprüfung in Köln gemacht hatte, da musste man ein Zweitfach haben und da habe ich Gesang gemacht. Aber ansonsten ... im Studium hatte ich ein bisschen Gesangsunterricht ... glaube ich, der größte Unterricht ist, so nah an Sängerinnen dran zu sein und die auch zu begleiten: Da lernt man enorm viel. Und jetzt habe ich seit einigen Jahren schon bei einer Opernsängerin in Berlin, wo alle Berliner Sängerinnen sind, Unterricht. Und die ist großartig.

NFB: Ihre Texte sind kleine poetische Kunstwerke. Es dreht sich, das ist auch bei vielen anderen so, um die Liebe, bei Ihnen um die Liebe in ihrer vielfältigsten Form, Liebe zu und zwischen Menschen, zu einem schlafenden Kind, Liebe zur Natur. Was hat das mit Ihnen zu tun?

JB: Ich liebe die Liebe, ich liebe das Leben. Wenn ich Texte schreibe, entstehen die im Herzen. Als erstes brauche ich einen Impuls ... im Herzen, im Gefühl, ein Thema, eine Inspiration, irgendwas, was mich sozusagen kickt. Und meistens ist es verbunden mit einem Bild. Aber es muss kein konkretes Bild sein, irgendwie wie ein Gefühl wie eine Ahnung, die da so angeflogen kommt und die prickelnd, die spannend ist. Und dann verfolgt man das und dann weckt das das kreative Zentrum und man fängt an, das irgendwie in Worte zu fassen, aber oft auf eine eher poetischere, abstraktere Art. Aber das Gefühl ist ganz stark dazu. Je stärker es ist, je stärker und klarer das Bild, was man da hat, desto leichter fällt es, damit ganz kreativ und auch abstrakter in Worten damit umzugehen. D. h. insofern haben alle diese Texte mit mir zu tun, mit meinem Gefühl und sind in verschiedenen Lebenssituationen und Orten entstanden.

NFB: Zum Start von FM Biography bieten Sie mit Desert Road einen fast psychedelischen, kafkaesken Alptraum. Der ist ja fürchterlich: Immer kommt jemand zu spät ...

JB: Ja, das ist tatsächlich einer meiner persönlichsten Songs, mit dem ich eines Morgens aufgewacht bin. Tatsächlich mit dem Songtext, der ersten Phrase. Das war in einer Zeit von schlimmen Liebeskummer (lacht) und ich bin da nach einer jahrelangen Beziehung, die zu Ende ging, mit diesem Song aufgewacht. Und auch mit einem Bild von Wüste und gleißender Sonne und das ist dann zu diesem Song geworden.

Johanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannJohanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

NFB: Bilder spielen bei Ihnen eine große Rolle, nicht nur in Ihren Texten, auch über Ihre Performance und über Videos? Wie kommen Sie zu den Bildern?

JB: Ich denke, wir sind als Menschen sehr visuelle Wesen. Rein aus Erfahrung ist der Bereich Kreativität im Gehirn ganz stark verknüpft mit der Phase, in der das Gehirn ist, wenn es sehr viel träumt; wenn man so in Halbschlaf gerät, dann kommen viele Ideen und das ist immer kombiniert mit Bildern und hängt sehr nah beieinander.

NFB: Einen nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg Ihrer gelungenen Solo-CD hat ihre Band: Das waren für FM Biography Shahzad Ismaily (Bass Gitarre, Synthesizer Sounds) Julian Sartorius (Schlagzeug) und Fred Frith (Gitarre).

JB: Als erstes habe ich Fred in Kopenhagen kennen gelernt; da hat er gespielt und wir haben zu Studienzeiten einen Workshop mit ihm organisiert und dann hat er uns eingeladen nach New York, dort im Stone zu spielen und mich eingeladen, nach Kalifornien zu kommen und am Mills College zu studieren. Und das hab‘ ich gemacht, so hab‘ ich ihn kennen gelernt. Da ist er auch ein Freund geworden. Und später habe ich Julian Sartorius in der Schweiz bei einem Schneeweiss und Rosenrot-Konzert kennen gelernt und wir haben uns danach unterhalten und er war sehr begeistert und angetan. Ich kannte ihn gar nicht, aber man munkelte so, dass er ein ganz toller Musiker ist.

Und dann haben wir später eine Session ausgemacht und frei zusammengespielt und ich war im siebten Himmel, total inspiriert und begeistert von ihm und uns zusammen und wir wollten unbedingt etwas zusammen machen. Und ich habe ihm vorgeschlagen, ob er nicht Lust hätte, Songs aufzunehmen. Dann hatte ich gleich die Idee, das mit Fred im Trio zusammen zu machen und meinte, es wäre eigentlich interessant, einen Produzenten dazu zu nehmen. Da hat Fred Shahzad vorgeschlagen und den kannte ich witzigerweise schon vom Moers Festival von den Sessions, und so kam das ganze zusammen. Und weil Shahzad auch mit Fred spielt und auch mit Julian, waren das vier Bekannte, die aber in einer neuen Kombination aufeinander trafen. Und das ist sehr schön geworden und passt gut zusammen, find ich.

NFB: Es heißt ja, never change a winning team und nun gibt es ein neues band-line-up: Jonas Westergaard (Bass Gitarre, Synthesizer, Gesang), Peter Meyer (Gitarre), Moritz Baumgärtner (Schlagzeug) und natürlich Sie mit Gesang und Piano. Warum diese Veränderung nach der sehr erfolgreichen CD?


JB: Ja, das war auch nicht geplant; ich dachte in meinem naiven Künstlerdasein, dass ich natürlich mit der Band ganz viele Konzerte spielen werde. Aber diese Band ist in alle Himmelsrichtungen verteilt und dadurch ganz unflexibel. Wir haben ein paar Konzerte gespielt und es war auch gut. Aber es bietet nicht die Möglichkeit, regelmäßig zu proben und die Musik weiter zu entwickeln und es ist immer sehr teuer, da die Flugtickets extrem viel Geld kosten. Und da musste ich mich einfach entscheiden und sagen, das ist nicht, was ich möchte; ich möchte zwar gerne mit diesen Musikern spielen, aber es gibt auch andere sehr gute Musiker, die neue Band ist auch traumhaft, ist auch eine Traumbesetzung. Und die wohnen alle in Berlin und die haben alle Lust zu proben und damit ist das die Variante, die ich vorziehe.

NFB: Sie waren in Vegesack, Kopenhagen, Oakland, leben jetzt in Berlin, um nur ein paar Orte zu nennen. Wo geht Ihre (musikalische) Reise noch hin? Wo sehen Sie sich, nicht nur örtlich in 10, 20 Jahren?

Johanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannJohanna Borchert, Foto (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

JB: 10, 20 Jahre (lacht)... Also, einerseits möchte ich das, was ich hier mit der Platte angefangen habe, Songs schreiben, die auch eher ein breiteres Publikum ansprechen, ja gar nicht mehr richtig Jazz im herkömmlichen Sinne sind, verfolgen und weiter verfeinern, immer tiefer reingehen und immer noch weiter. Das ist die eine Sache, die mich interessiert, in welche Richtung auch immer, ob mit Orchester oder solo oder Quartett. Und dann interessieren mich viele Sachen - jetzt gab es eine lange Phase der Konzentration auf dieses Projekt - aber ich möchte mich auch wieder öffnen können, ich hoffe, dass ich wieder mehr Zeit habe, auch anderen Projekten von anderen Menschen gegenüber wieder flexibel zu sein und hie und da mal ein bisschen mit zu machen.

Was eigentlich eine Sache ist, die unheimlich bereichert und befreiend ist, denn: Man muss einfach nur kommen und kann einfach Musik machen. Aber ein alter Traum von mir - den ich immer wenn ich Solo spiele ein bisschen realisiert habe - ist das Klavier und vor allem die freie Improvisation auf dem Klavier. Das Improvisieren richtig nochmal vertiefen und 'ne neue CD aufzunehmen und vielleicht auch nur Solo zu spielen, vielleicht das auch zu trennen oder die Songs und die Improvisation im Wechsel zu lassen - die Frage ist noch nicht beantwortet. Auf jeden Fall darf diese Seite nicht zu kurz kommen. Wenn ich nur noch als Sängerin, die Songs singt, wahrgenommen werde, dann ist die halbe Johanna nicht dabei.

NFB: Dass Ihnen das Klavier sehr wichtig ist, habe ich in Ihren früheren Aufnahmen und auch Ihrem Konzert in Lübeck erlebt. Und Sie haben es eben schon angedeutet, einfach ausgedrückt ist Jazz improvisierte Musik. Ihre Songs auf FM Biography sind aber mehr gehalten und arrangiert, aber nicht Jazz. Aber Sie mögen keine Schubladen und würden sich am ehesten in der Tradition Singer/ Songwriter sehen.

JB: Mit dem Album! Mit meinen Klavierimprovisationen bin ich eher zwischen Expressionismus und Avantgarde und Jazz und neuer Musik (lacht) ... aber nicht Pop oder Singer/ Songwriter. Ich bin da schon sehr vielseitig. Aber mit FM Biography auf jeden Fall, das ist vielleicht Avantgarde-Pop oder vielleicht könnte man es auch Avantpop nennen.

NFB: Frau Borchert, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.


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