Kunststätte Bossard, Foto: Michael Chmella

Die Kunststätte Bossard
Ein Juwel in der Lüneburger Heide

Südlich von Hamburg-Harburg, etwa fünf Kilometer von Jesteburg entfernt, liegt die Kunststätte Bossard. Die Anlage wurde zwischen 1912 und 1950 von dem Künstler Johann Bossard und seiner Frau Jutta Bossard-Krull auf einem drei Hektar großen Heidegrundstück errichtet: ein Atelier- und Wohnhaus, der Kunsttempel und eine Gartenanlage mit Monolithenallee und Skulpturenpark. Ein außergewöhnliches Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulpturen, Malerei und Gartenkunst, das bis zum heutigen Tag seine originale Gestaltung bewahrt hat.

Den zentralen Mittelpunkt der Kunststätte bilden das Wohn- und Atelierhaus sowie der im Backsteinexpressionismus errichtete Kunsttempel, der als Stätte der Andacht für durchreisende Wanderer gedacht war. Mit seinem Grundriss von 12 x 12 Metern im Quadrat und einer Höhe von etwa elf Metern sprengt sein unkonventioneller Stilpluralismus alle Architekturstile. Die Fassaden aus Backsteinklinkern dominieren drei vom Boden bis zur Traufe reichende rote Sprossenfenster, die ihre Fortsetzung in den dreieckigen Giebelfenstern der Gauben finden. Ab Sockeloberkante erheben sich Lisenen (Mauerblenden) auf dreieckigem Grundriss mit abstrakten oder figürlichen Plastiken aus bunter Keramik, die, wie die Fenster, von Fenstergauben bekrönt sind. Für die Fassadenwände verwendete Bossard Oldenburger Klinker dritter Wahl, welche dem Mauerwerk eine interessante Strukturierung verleihen. Teils im Hoch-, teils im Querformat verlegt, erzeugen sie je nach Lichteinfall changierende Muster von Braun- bis Blautönen.

Wohn- und Atelierhaus Nordseite, Foto (c) Kunststätte BossardWohn- und Atelierhaus Nordseite, Foto (c) Kunststätte Bossard

Auf der Nordseite liegt der nachträglich angebaute Eingangsbereich. Eine hohe, an Kirchenportale erinnernde Tür aus beschlagenem Kupfer weist den Weg in den sakral anmutenden Innenraum. In ein mystisches Dunkel getaucht, erkennt der Besucher vier hohe, mit Reliefs ummantelte Holzsäulen, welche die Glaskonstruktion des Daches tragen. Wände, Fenster und Glasdach sowie alle Holzelemente sind bemalt. Umlaufende Gemäldezyklen thematisieren den Krieg, Untergang und Aufbau sowie Überlieferungen aus der griechischen Mythologie. Gegenüber der Eingangtür steht ein Polyptychon, ein Altar mit geschnitzter Predella und dreizehn verschiedenen aufklappbaren Bildtafeln, die thematisch mit den Bilderzyklen korrespondieren. Der Fußboden ist mit farbigen Mosaiken belegt.

Im Baustil völlig konträr erweist sich das vor dem Kunsttempel liegende hochgiebelige Wohn- und Atelierhaus. Das aus Backstein errichtete Haus mit den roten Fensterrahmen, den grünen Holzvertäfelungen sowie dem tief heruntergezogenen Dach erinnert an norddeutsche Bauernhäuser. Rot, grün und weiß gehaltene Fassaden greifen die Farben der Heimatschutzbewegung auf, einer in den 1870er Jahren entstandenen Bewegung, die sich für den Erhalt der deutschen Kulturlandschaften einsetzte, insbesondere für die regionalen Bautraditionen.

Innenraum des Kunsttempels, Foto (c) Kunststätte BossardInnenraum des Kunsttempels, Foto (c) Kunststätte Bossard

Der im Süden liegende Eingang führt in die ehemaligen Privaträume des Paares. Zentraler Raum ist im Erdgeschoss die Wohndiele mit Kamin, der sich Küche und Bad sowie ein Durchgang zum ehemaligen Atelier im Vorderhaus, dem Edda-Saal anschließen. Möbelstücke, Türklinken, Teppiche, Fliesen und Geschirr, alle Gebrauchsgegenstände sind nach Entwürfen der Bossards gestaltet. Das Dekorationsschema ändert sich in den Obergeschossen. Das Musik- und Schlafzimmer, die beiden Gästezimmer sowie der Eros-Saal – das Atelier von Johann Bossard – sind mit Abstraktionen, figurativen Malereien aus der nordischen Märchenwelt und Motiven der antiken Mythologie übersät. Die Flurwände im Dachgeschoss fallen dagegen optisch aus dem Bildprogramm: Hier sind die Tapeten von Decke und Wänden mit Figurationen und Architekturgebilden in blauer, schwarzer und weißer Farbe bemalt. Erkennbar sind das kuppelartige Planetarium im Hamburger Stadtpark sowie zahlreiche utopische Brückenkonstruktionen.

Neben dem Eingangsbereich liegt der Zugang zum ehemaligen Klostergarten, wo in einem apsisartigen Vorsprung die nackte Bronzestatue Träumende von Jutta Bossard steht.

Skulpturenreihe, Foto (c) Kunststätte BossardSkulpturenreihe, Foto (c) Kunststätte Bossard

An der Nordseite befindet sich der Haupteingang mit vorgelagertem Vestibül, der in den Edda-Saal führt. Bemalte Sprossenfenster tauchen den Raum in ein diffuses Licht. Geschnitzte Holzpaneele – eine Arbeit von Jutta Bossard – umlaufen den Saal. Hohe, über zwei Etagen reichende Wände und die Decke sind von Johann Bossard mit Themen aus der Edda, der nordischen Götter- und Heldensage bildkünstlerisch gestaltet. Bis in den letzten Winkel! Das Auge des Besuchers findet keine freie Fläche. Wie in vielen seiner Malereien spielt auch hier die mythologische Figur des einäugigen Götterkönigs Odin eine zentrale Rolle. Vielleicht weil Bossard im Alter von elf Jahren das rechte Augenlicht verlor? 

Linkerhand führt eine mit Treibarbeiten in Kupfer bekleidete Flügeltür in eine dunkle Kammer, dem sogenannten Urgebraus. Der überreich geschnitzte Türrahmen, der mit Keramikarbeiten dekorierte Bücherschrank, die alten Eichenstühle sind von Jutta Bossard ausgeführt. Ein mit abstrakten Mustern eingelegter Mosaikfußboden harmonisiert mit den kräftigen Farben der Malereien. Dass Johann Bossard auch ein hervorragender Grafiker und Skulpteur war, zeigen seine kleinformatigen Arbeiten im Ausstellungsraum des Neuen Ateliers. Ende der 1920er Jahre begann er – vielleicht unter dem Einfluss seiner Frau – mit Ton und Keramik zu experimentieren. Hinzu kommen dekorative, dem Jugendstil verpflichtete Zeichnungen und Grafiken, die häufig mit einer an Runen erinnernden Schrift versehen sind. Bossards umfangreiches Œuvre umfasst etwa 7.000 Kunstwerke, von denen nur ein Bruchteil ausgestellt ist.

Nach diesen vielen Eindrücken empfiehlt sich ein Spaziergang durch die riesige Gartenanlage, die, wie sollte es anders sein, ebenfalls einer strengen gestalterischen Planung unterliegt, denn im Einklang mit der Natur sollten Landschaft und Architektur eine kompositorische Einheit bilden. Durch Hecken und Baumreihen optisch strukturiert – wobei Geraden und Blickachsen vermieden werden –, finden sich hier verschiedene Nutz- und Gartenlandschaften. Eine Allee aus Monolithen und Fichten führt zu einem riesigen Findling, der Grabstelle von Johann und Jutta Bossard. Auf dem Hofplatz gegenüber dem Haupthaus stehen fünf Skulpturen, die ihre Fortsetzung in einer Skulpturenreihe mit verschiedenen Plastiken auf gemauerten Ziegelsockeln finden.

Klostergarten mit Bronzestatue Träumende von Jutta Bossard, Foto (c) Kunststätte BossardKlostergarten mit Bronzestatue Träumende von Jutta Bossard, Foto (c) Kunststätte Bossard

Wer war dieser Künstler, der zusammen mit seiner Frau in der Einsamkeit der Lüneburger Heide seine Visionen eines Gesamtkunstwerkes verwirklicht hat? Bossard, 1874 in Zug in der Schweiz geboren, machte zunächst eine Ausbildung als Kachelofenbauer in seinem Heimatort. Nach der Lehrzeit studierte er figürliche Malerei und Bildhauerei in München und Berlin. Ende 1905 nahm er die preußische Staatsangehörigkeit an, eine Voraussetzung für die Teilnahme an öffentlichen Ausstellungen und Ausschreibungen. Zwei Jahre später erhielt Bossard einen Lehrauftrag an der Kunstgewerbeschule in Hamburg, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1944 tätig sein sollte. 1926, mit 52 Jahren, heiratete er seine 29 Jahre jüngere Schülerin, Jutta Krull.

Mit dem Kauf des großen Heidegrundstücks in der Nähe von Jesteburg begann Bossard den Traum eines Gesamtkunstwerkes aus Architektur, Plastik, Malerei, Kunsthandwerk und Gartenbau umzusetzen. Die Idee war nicht neu, sondern entsprach dem modernen Zeitgeist der Lebensreform-Bewegung. Bereits um 1889 gründeten mehrere Künstler im Teufelsmoor vor den Toren Bremens die „Künstlerkolonie Worpswede“. Ein weiteres, von 1899 bis 1914 existierendes Projekt war die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe, finanziert und protegiert vom damaligen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt. In knapp 40 Jahren verwirklichte Bossard seinen Lebenstraum. Zu verdanken ist dies auch seiner Ehefrau Jutta, die ihn zeitlebens tatkräftig unterstützte. Das Ehepaar lebte zurückgezogen in seinem Heidedomizil. Der Künstler mied das gesellschaftliche Leben in Hamburg und scheute die Öffentlichkeit. Die Kritik seiner Frau wies er mit den Worten zurück: „Die Meinen werden mich schon finden.“ Er starb 1950 im Alter von 76 Jahren. Seine Frau überlebte ihn um 46 Jahre. 

Nach dem Tod von Jutta Bossard-Kroll sicherte eine Stiftung den Erhalt der Kunststätte Bossard und ermöglichte die Öffnung der Kunststätte für ein interessiertes Publikum. Das Interesse an diesem in Deutschland einmaligen Gesamtkunstwerk wächst, wie die kontinuierlich steigenden Besucherzahlen belegen. Ein Besuch der Kunststätte Bossard ist überaus empfehlenswert. Der Besucher kann sich an der künstlerischen Symbiose von Malerei, Skulptur, Architektur und Landschaft erfreuen und eintauchen in den Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts.

Kunststätte Bossard

Öffnungszeiten:
März bis Oktober Di. bis So. 10–18 Uhr, von November bis 28. Februar
Sa. u. So. 10.00–16.00 Uhr. Angemeldete Besuchergruppen können die Kunststätte auch außerhalb der Öffnungszeiten besichtigen.

Montags geschlossen.

 

 


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