Das Kieler Theater hat Erfahrung, die intriganten Liebesspiele in Barockopern unterhaltsam zu inszenieren. Zuletzt war es vor einem Jahr Legrenzis „Die Aufteilung der Welt“, jetzt (Premiere: 9. Juni 2019) folgte Claudio Monteverdis „Die Krönung der Poppea“, sein Beitrag zum venezianischen Karneval, den er zum Libretto Giovanni Francesco Busenellos schuf.
Ob die Uraufführung 1642 oder erst ein Jahr später erfolgte, ist - wie so vieles bei diesem Werk – ungewiss und letztendlich für eine neuerliche Aufführung von geringer Bedeutung. Wichtiger ist, dass sie - wie Kiels Version - locker über die Rampe kommt, schlüssig ist und musikalisch ohrgängig sich präsentiert, vor allem aber die Probleme verdeutlicht, die die Oper aufzeigt: Größenwahn und Herrschsucht, Amoralität und Macht der Intrige. Sie sind zeitlos, verbinden die Römer der Zeit Neros mit den venezianischen Mitbürgern Monteverdis und Busenellos oder die Potentaten und ihre Zuspieler in unserer vielfältig verstrickten Welt.
Claudio Monteverdi war 75 Jahre alt, als er mit diesem Werk etwas völlig Neues schuf, eine Oper, die nicht nur dem Adel gefallen wollte. Sie bediente sich erstmals eines Stoffes, der aus dem Realen stammte, nicht mythologisch verbrämter Fürstenlob war. So machte schon der grandios gestaltete Prolog Spaß. Das göttliche Ränke- und Wettspiel zwischen den himmlischen Instanzen für Tugend (Virtù), Glück (Fortuna) und Liebe (Amore) fand in Kiel in einem zunächst merkwürdigen Trümmerfeld statt, offensichtlich zerbröckelnde Reste einstiger Pracht. Maria Spazzi hatte sich das Bühnenbild erdacht, ergänzte im Laufe der Handlung die Bruchstücke durch weitere Teile einer überdimensionalen Statue. Sie zitierte damit den Koloss des Nero, den er sich in die Eingangshalle zu seinem Palast gestellt hatte. Das Symbol der Selbstheroisierung war mit knapp 35 Metern nur wenig kleiner als Amerikas Freiheitsstatue, wenn die nicht auf hohem Sockel stünde und noch Arm und Fackel emporreckte.
Das Überzeitliche war auch durch die Kostüme Daniela Cernigliaros verdeutlicht, und das schon im Prolog. Zunächst trat aus dem Bühnendunkel die Tugend heraus, eine Unbehauste, die sich ihren Platz zwischen den Gipsbrocken suchte. Sie war in schmutzige Lumpen gesteckt, eine urzeitige Mahnerin. Hell wurde es beim Auftritt der Fortuna. Wie eine Harlekina oder Pop-Diva in einem mit Pompons besetzten Kleid wurde sie auf einer Hand hereingeschoben, die den quer liegenden Armstumpf ein Stück weit ergänzte. Dann kam die Amore, nicht in Gestalt des niedlichen mythischen Knaben, sondern in der einer sinnlichen Venus oder Domina im Riemendress und mit Strahlenkrone, die auch Neros Koloss trug. Begleitet war sie von einer Reservistenschar wie für eine Love Parade. Antikes, Barockes und Neuzeit wurden so komödiantisch verquirlt.
Das erwies sich als das Grundkonzept dieser Inszenierung, erdacht von Serena Sinigaglia, dem Haupt der italienischen Regietrias. Sie wollte der Oper Sinnlichkeit zurückgeben, ihr die im Karneval gebotene Leichtigkeit schenken. Sie vertraute dabei dem Text, der genug böses Intrigenspiel, kaltes Machtstreben und grausames Machtgehabe bot. Er schattierte die Liebe vom zärtlichen Hoffen bis zur sexuellen Hörigkeit und präsentierte durch die Virtù und durch den leibhaftigen Seneca Edles, auch philosophisch Durchdachtes, untergrub das zugleich wieder durch den ironisierenden Pragmatismus Arnaltas und Nutrices, der Ammen der machtlüsternen Poppea und ihrer bedauernswerten Rivalin Octavia, der Noch-Ehefrau Neros. All das unterstrich die Regie mit leichter Hand und ordnete die zeitlosen Probleme geschickt mit theatralischen Mitteln den unterschiedlichen Sphären zu. Die römische Antike war mit dem Sujet gegeben. Die Zeit, in der die Oper entstand, wurde durch Elemente der Commedia dell’arte repräsentiert und die Jetztzeit unter anderem durch Verweise auf Mafioses und sexuell Freizügiges.
Besonders tragfähig war die Nähe zur einerseits derben, doch oft bissigen und schonungslosen Stegreifkomödie, die sich etwa gleichzeitig zur Entstehungszeit dieser Oper in Italien entwickelte. Erstaunlich, wie sich Sprachwitz und Handlungsdrastik dem Parlandostil Monteverdis anpassten, noch mehr, wie sehr etliche der Figuren Busenellos denen der Commedia dell’arte ähnelten. Gleichzeitig nahm diese Nähe dem Operngeschehen seinen herben Beigeschmack, wenn scheinbar die Machenschaften Poppeas zum Schluss belohnt werden, auch Nero sich als eher charmanter Zanni darbieten darf. In der Welt der satirischen Figuren ist so etwas erlaubt, auch die groteske Verkehrung der Sicht, die sich durch Verkleidung und Besetzung von Frauenrollen mit Männern und Männerrollen mit Frauen ergeben. Im Barock waren die Grenzen eh fließend.
Das Kieler Personal spielte da wunderbar mit. Viğdis Bergitte Unsgård, lyrischer Sopran aus Norwegen und seit dieser Spielzeit neu im Ensemble, machte die Poppea mit ihrer schön klingenden Stimme zu einer hörens- wie sehenswerten Figur, indem sie weder die kalte Raffinesse noch die allein gurrende Verführerin betonte. Nero sang die immer wieder für ihren wandlungsfähigen Alt bewunderte Tatia Jibladze. Eine besondere Leistung war, diesen bösen Charakter zu entschärfen, ihn einfach als gewöhnlichen Menschen „erträglich“ zu machen. Seiner Ehefrau Octavia gab die Italienerin Lucia Napoli mit ihrer wohltönenden Stimme ein Mitleid erregendes Wesen. Sie war Gast wie auch Adriana di Paola als zwischen seinen Gefühlen hin- und hergerissener Otho. Sie konnte einen erstaunlichen Alt einsetzen, der selbst in der Tiefe Kraft hatte und damit den schwankenden Otho ungemein lebendig formt.
Geschickt nutzte die Regie durch Doppelbesetzungen, dass sich der göttliche Zwist des Prologs auf menschlicher Basis wiederholt, dass sich göttliche Charaktere und menschliche ähneln. So verkörperte die sich stimmlich immer mehr entwickelnde Caroline Nkwe zunächst die Virtù, dann die Damigella, die sich dem stürmisch verliebten Valletto gegenüber behaupten muss. Der wiederum wurde von Francesca Boncompagni ungemein quirlig gespielt, die zugleich die agile Göttin Amore sang. Auch die dritte, die Fortuna, bekam in der Drusilla, der Hofdame Octavias, eine menschliche Gegenexistenz, von Hye Jung Lee mit feinem, zugleich wunderschönem Sopran gestaltet. Die komödiantische Seite war trefflich mit dem groß aufgelegten Fred Hoffmann als Arnalta und Chiara Brunello als Nutrice besetzt. Unter den vielen Mitwirkenden sei noch Ivan Scherbatyh als Seneca erwähnt. Seine „Gegenrolle“ ist schwierig, verlangt einen abgründigen Bass, der bei ihm aber nur im höheren Bereich kraftvoll klang.
Die musikalische Leitung hatte wie bei der „Aufteilung der Welt“ Alessandro Quarta. Erstaunlich, wie er über die Dauer von fast drei Stunden das Sängerensemble und das Orchester zu sensibler, zugleich schwungvoller barocker Gestaltung animieren konnte. Wieder unterstützten ihn eine große, eigens zusammengesetzte Continuogruppe mit barocken Instrumenten sowie sehr lebendig musizierende Streicher der Kieler Philharmoniker.
Die satirische Seite der Commedia dell’arte machte dieses Krönungsspiel ungemein vielseitig und kurzweilig. Das kam gut an.