Following a Bird, Foto: Olaf Struck

"Creations" – Das Kieler Ballett mit zwei Uraufführungen
Im Tanz – graziler Vogelflug und ein archaisches Ritual

Zwei Darbietungen des Kieler Balletts, zwei Uraufführungen zugleich, begeisterten bei der Premiere am 30. März 2019. Nicht enden wollender Beifall zwang den Schlussvorhang mehrmals in die Höhe, um die Tänzer und die Werke zu feiern.

„Creations“ war der Gesamttitel des Abends, der im ersten Teil „Following a Bird“ präsentierte, eine Tanzschöpfung des Kieler Ballettdirektors Yaroslav Ivanenko, und im zweiten Teil eine des Choreografen und Tänzers Georg Reischl mit dem seltsamen Titel „(h)ruof“. Beide waren von großer Spannung, faszinierten auf unterschiedliche Weise.

Im ersten Teil erstaunten das Raumgefühl und die enorme Beweglichkeit der Tänzer, die viel im Ensemble, in einigen Phasen auch in kleineren Gruppen sich bewegten, aber in jeder Nuance vom Vogelflug inspiriert waren. Wie im dichten Schwarm umflatterten sie sich, ständig in Dichte und Form wechselnd. Das imitierte die verwirrenden Flugbilder, die eine Wolke der Gefiederten am Himmel bietet.

Following a Bird, Foto: Olaf StruckFollowing a Bird, Foto: Olaf Struck

Es sind geheimnisvolle Muster der Schwerelosigkeit, chaotisch anmutend, im nächsten Moment geometrisch in Reihen oder Kreisen geordnet, linear oder in Gassen. Wie das Ensemble das immer neu erfand, raumfüllend oder eng beieinander, war eindrucksvoll. Stemm- und Hebefiguren von erstaunlicher Geschmeidigkeit erstaunten und riefen immer wieder den Eindruck des Schwebens hervor.

In artistischen Sprüngen schienen sich Einzelne den Raum über der Bühne erobern zu wollen, wobei die Oberkörper das Schwingen der Flügel in vielen Varianten nachzeichneten, während die Beine im klassischen Spitzentanz oder im schwerelosen Laufen kaum den Boden zu berühren schienen. Besonders eindrucksvoll war das Bild eines Riesenvogels, der vom Boden sich zu erheben suchte, ein Kopf in der Mitte, links und rechts die weiten Schwingen mit einem Knick durch eine Kette der Tanzenden gebildet.

Following a Bird, Foto: Olaf StruckFollowing a Bird, Foto: Olaf Struck

Ivanenko hatte sich von Musik, die entfernt an Klänge der Minimal Art erinnerte, inspirieren lassen. Vor allem der Italiener Ezio Bosso hatte ihn beeindruckt, zu dessen unaufgeregten Klavierkompositionen die Bilder wunderbar passten. Die gebrochenen Dreiklänge lieferten einen luftigen Grund, über den lichte melodische Linien sich erhoben. Die Pianistin Miyean Eom interpretierte sie im Hintergrund der Bühne, wurde sogar optisch kreisend in das Geschehen einbezogen. Der finnische Akkordeonist Kimmo Pohjonen sowie der in Hameln geborene Max Richter lieferten klanglich, auch elektronisch erweiterte Klangbilder, die beide durch langgezogene, atmosphärisch weiche oder sanfte Kolorite das Schweben beibehielten.

Ganz anders gab sich „(h)ruof“, die Choreografie Georg Reischls. Min Li, der auch die düsteren, fast monochromen Kostüme im ersten Teil gestaltet hatte, nutzte hier stattdessen einen ins Auge springenden Kontrast von Rot für die wallenden Kleider der Damen und Schwarz für die sehr fein gestuften Hosenröcke der Herren, deren bloße Oberkörper darüber das Muskulöse hervorhoben. Beides betonte eine zeremonielle Strenge, die sich in den Tanzformen wiederholte.

(h)ruof, Foto: Olaf Struck(h)ruof, Foto: Olaf Struck

Der eigenwillige Titel, die althochdeutsche Form des Wortes Ruf, erklärte sich dadurch, dass Sprache einbezogen war. Mit stummen, nur weit geöffneten Mündern zunächst, dann mit lauten Rufen wurden die Tanzformen strukturiert. Das und die zur Ekstase führende magische Kraft der Musik hatte beides, Archaisches und Fremdes, unterstrichen durch das so eindringliche wie differenzierte Schlaginstrumentarium.

Die Handlung war eine rituelle, sich steigernde Form, die der schweizerische Perkussionist Vincent Glanzmann in enger Zusammenarbeit mit dem Choreografen erarbeitet hatte. Auch hier war es wieder vor allem eine Ensembleleistung, die einem balinesischen Tanzritual zufolge Frauen und Männer zumeist getrennt gruppierte.

(h)ruof, Foto: Olaf Struck(h)ruof, Foto: Olaf Struck

Die Spannung ließ trotz der Länge von wieder nahezu dreiviertel Stunde nicht nach, da auch hier eine geschickte Bühnengestaltung (mit den Choreografen zusammen Marie Rosenbusch) und zusätzliche Lichteffekte (Carsten Lenauer) das Auge sehr geschickt führten. Der Abend mit seinem naturnahen Geschehen im ersten und seinem agilen Ritual im zweiten Teil hatte begeistert.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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