André Heller mit Foto (Karl Valentin), Foto: (c) Maxim Schulz

Elbphilharmonie
Reflektor-Festival mit André Heller

Die Hamburger Elbphilharmonie veranstaltet seit ihrem Bestehen jährlich ein sogenanntes Reflektor-Festival, ein mehrtägiges speziell kurratiertes Musik- und Kunstprogramm, das von dafür ausgewählten internationalen Stars aus der Musikszene ausgewählt wird. Bisher zeichneten schon Musik-Koryphäen wie Laurie Anderson oder Brian Eno unter anderen dafür verantwortlich.

Dieses Jahr ist vom 16. bis zum 24. März 2024 der österreichische Multimediakünstler André Heller am Zuge, seine grenzenlose Fantasie in ein vielfältiges Programm zu pressen. Der kreative Tausendsassa aus der Alpenrepublik hat schon so einiges auf die Beine gestellt. Er ist nicht nur Sänger, Komponist und Musiker, sondern war auch schon Zirkusdirektor mit chinesischen und afrikanischen Athleten, Gartenarchitekt in Marrakesch, Show-Veranstalter, Operndirektor, Filmemacher, Maler, Autor, und vieles andere.

André Heller / ANIMA, Foto: (c) Stefan LiewehrAndré Heller / ANIMA, Foto: (c) Stefan Liewehr

Besonders in Erinnerung geblieben bei mir sind seine gigantischen Feuerwerk-Shows, die er in Berlin-Tempelhof veranstaltet hatte, und sein Kunstvergnügungspark „Luna Luna“, das er 1987 in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld organisiert hatte. Diese skurrile Ansammlung an Wunderkammern, Spiegelkabinetten, künstlichen Puppen, Stelzengängern, Künstlern und ein besonders absurdes Furz-Orchester waren damals eine Offenbarung an Kreativität und Absonderlichkeiten. Jetzt hatte es in Los Angeles in Kalifornien sogar eine Neuauflage dieses besonderen Projektes gegeben, in der Musikstars wie der Rapper Drake oder Dua Lipa involviert waren und von kunstaffinen Stars wie Leonardo DiCaprio und weiteren Tausenden an Besuchern begeistert gefeiert wurde.

Jetzt darf er sich also in der Hamburger Vorzeige-Institution, der Elbphilharmonie austoben und ein Motto hat er dabei auch: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Dieser dadaistische Spruch voller Philosophie stammt vom Komiker und Autor Karl Valentin aus Bayern und soll als Leitsatz des Reflektor-Festivals stehen. Dementsprechend bringt Heller die unterschiedlichsten Denker, Musiker und Künstler aus der ganzen Welt zusammen. So gibt es gleich zum Auftakt am 16.3. eine Gesprächs-Begegnung zwischen dem Gegenwartsphilosophen Peter Sloterdijk und dem Bariton Florian Boesch. Ausgehend von Franz Schuberts bekanntem Liederzyklus „Winterreise“ werden sie über das Gefühl des Fremdseins sprechen. Gleichzeitig wird auch Hamburgs Konzerthaus in einem neuen Licht erscheinen: Die exzeptionelle Künstlerin Xenia Hausner wird mit Projektionen das Foyer und die Außenfassade in einer Lichtinszenierung erstrahlen lassen. Und drinnen gibt es ein musikalisches Fest der Vielfalt und der internationalen Begegnungen.

Hind EnnairaHind Ennaira

Da wird es gleich im großen Saal der Elphi zu einem rhythmischen Clash von Gnawa-Musik aus Marokko und kraftvoller Qawwali-Musik aus Pakistan kommen. Die junge Sängerin Hind Ennaira aus Essaouria trifft auf das unvergleichliche Sufi-Ensemble um Fareed Ayaz und Abu Muhammad. Dazu stößt noch der Schlagzeuger Famoudou Don Moye, der mit seinem Jazz-Drumming und afrikanisch inspirierten Percussions zu einem Klangbild aus faszinierender Weltmusik beitragen wird. Der 1946 geborene Drummer verfügt über eine riesige Sammlung von Schlaginstrumenten aus aller Welt und kreiert damit seine „Sun Percussion“. Gemeinsam mit dem experimentellen Jazz-Collectiv Art Ensemble of Chicago gelang ihm 1970 der Durchbruch und er spielt dort bis heute äußerst virtuos und in allen Klangfarben. Am 17.3. steht er außerdem gemeinsam mit Christoph Leloil und Simon Sieger auf der Bühne im kleinen Saal der Elphi.

Ebenfalls am 17.3. kommt es im großen Saal zu einem weiteren skurrilen Zusammentreffen der besonderen Art: Der finnische Chor der schreienden Männer „Mieskuoro Huutajat“, die ich schon vor Jahren in einem Dokumentarfilm bei den Nordischen Filmtagen sehen, hören und bestaunen durfte, trifft auf den bulgarischen Frauenchor der „Bulgarian Voice Angelite“, die auch schon einmal in einem isländischen Gewinnerfilm der NFL auftraten, den ich ebenfalls sehen durfte. Während die einen in brachialischem Lärm alles von Nationalhymnen über Kinderlieder und Gesetzestexten auf der Bühne schreiend singen, bringen die Musik der bulgarischen Sängerinnen einen Set aus westlicher Harmonie und mikrotonalen Schwingungen, der sämtliche Folklore-Klischees weit hinter sich lässt, zum Vortrage. Ich bin gespannt!

Mieskuoro Huutajat, Foto: (c) Mikko TörmänenMieskuoro Huutajat, Foto: (c) Mikko Törmänen

Es folgen weitere absolute musikalische Highlights wie die amerikanische Songwriter-Legende Jimmy Webb am 18.3., der bereits Songs für Frank Sinatra, Barbara Streisand oder The 5th Dimension schrieb. Für Bob Dylan ersann er konkurrenzlose Klassiker wie „Up, Up and Away“ oder „Wichita Lineman“. Jimmy Web steht am 18.3. erstmals auf einer deutschen Bühne und man hat die einzigartige Gelegenheit, diese Singer-Songwriter-Legende live zu erleben.

Tags drauf bestreiten drei verschiedene Vokalensembles das Programm. Bei der „Jewish Music Night“ gibt es sogenannte Piyut, religiöse jüdische Poesie vom „Piyut Ensemble“, das Synagogenmusik, Musik aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten mit spiritueller Weltmusik vermischt. Dazu kommen die „Voices of Yemen“, die mit ihren kraftvollen Rhythmen und Gesängen die mystischen jüdischen Lieder des Jemens vortragen werden und dabei auf eine weitere Truppe aus der Diaspora, junge chassidische Sänger der „Brooklyn Cantors“ treffen werden. Spannend!

Angelique KidjoAngelique Kidjo

Am 21.3. gibt es ein weiteres Gipfeltreffen der musikalischen Weltstars: Die vielfach preisgekrönte Sopranistin Camilla Nylund, die für ihre dramatischen Rollen von Wagner und Strauss gefeiert wird, gestaltet den Doppelabend gemeinsam mit der fünffachen Grammy-Gewinnerin Angelique Kidjo aus dem Benin, die wie keine andere Musikerin westafrikanische Einflüsse mit R&B, Funk und Pop kombiniert. Nylund wird orchestral arrangierte Evergreens aus dem Great American Songbook vortragen. Tags drauf darf der wunderbare Soweto Gospel Choir auftreten, der begründet wurde, um afrikanische Gospelmusik abzufeiern. Auf besonderen Wunsch von André Heller werden sie in Hamburg aber ein besonderes Programm mit Songs von Curtis Mayfield, Marvin Gaye oder Ottis Redding zu Gehör bringen, sowie spezielle Nummern von Prince und Bob Dylan einstreuen.

Weitere Zusammenarbeiten werden am 23.3. zu hören sein: nationale Musiktradition trifft auf Gegenwartsmusik: Die Folk-musikalischen Sängerinnen „Oum“ aus Marokko treten gemeinsam mit „Noura Min Seymali“ aus Mauretanien auf. Einen Spagat versucht der Gitarrist Harri Stoijka: Er mixt Punk, Jazz und Fusion mit Gypsy-Jazz. Er selbst stammt aus einer Lobara-Rom:nja-Familie. Vor wenigen Monaten holte Stoijka die Geschichte seines 2014 verstorbenen Vaters ein: Ein über acht Jahrzehnte verschollenes, handschriftlich verfasstes Büchlein, das dieser im Konzentrationslager Buchenwald verfasst hatte, kam ausgerechnet in der Holocaust Gallery des Imperial War Museum in London zum Vorschein. Mit dem Musiker und Journalisten Robert Rotifer spricht Stoijka in der Elbphilharmonie über die bewegende Geschichte des Fundes. Im Anschluss daran wird in einem furiosen akustischen Set die Unauslöschlichkeit der Rom:nja Kultur im Angesicht von Diskriminierung und Völkermord musikalisch zelebriert.

Harri Stojka, Foto: (c) Sabine HauswirthHarri Stojka, Foto: (c) Sabine Hauswirth

Dazu kommt noch ein Wiener Abend mit österreichischen Musikstars wie Voodoo Jürgens, Nino Mandl, besser bekannt als der Nino aus Wien, dem alpenländischen Superstar Marco Wanda, die Songschreiberin Anna Mabo und die Sängerinnen Tini Kainrath und Ursula Strauss nach Hamburg. Für instrumentale Vielfalt sorgen die Neuen Wiener Concert Schrammeln und das Frauenorchester am 24.3. Das Gesamtprogramm füllen Filme, Gespräche und Portraits berühmter Schriftsteller wie Christoph Ransmayr, Sofie Freud, Peter Fabjan und Andrea Breth. Mein persönlicher Höhepunkt wird dabei noch die musikalische Untermalung eines Orchesters des Filmklassikers „Der große Diktator“ mit Charly Chaplin. Diese und weitere Programmpunkte kann man genau studieren, wenn man sich das Gesamtprogramm des Reflektor-Festivals 2024 unter www.elbphilharmonie.de anschaut. Dort findet man auch Infos über Daten, Namen, Preise und Restkarten.



Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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