(c) Bruno Catalano: Pierre David Triptyque

Kunst-Reise
Die 59. internationale Kunst-Biennale Venedig

Endlich war ich mal wieder im wunderbaren Venedig. Ein Jahr mussten die Liebhaber/innen der Biennale zu Venedig warten, bis die 59. Ausgabe der internationalen Kunstschau der Gegenwart an den Start gehen konnte. Corona sei Dank! Dazu kommt jetzt auch noch der aktuelle Ukraine-Krieg, der dafür sorgt, dass der russische Pavillon dieses Jahr leer bleibt.

Der Krieg in der Ukraine hat den Blick auf so manches Werk aktueller Gegenwartskunst verändert. Hinzu kommt erstmalig eine italienische Kuratorin, die das Motto der Gesamt-Schau mit dem surrealistischen Text „Die Milch der Träume“ festgelegt hat. Es werden insgesamt 1.433 Werke von 213 Künstlern gezeigt, wobei 80% der Teilnehmer Frauen sind. Die Kuratorin Cecilia Alemani verspricht sich davon einen Aufbruch in der modernen Gegenwartskunst, gespeist durch die „Kraft der Träume“.

Auch die Goldenen Löwen gingen dementsprechend an Künstlerinnen. Für den besten Nationen-Pavillon wurde die schwarze Britin Sonia Boyce ausgezeichnet, die im englischen Haus die Musik von fünf schwarzen Musikerinnen abfeiert. Für das künstlerische Lebenswerk wurden die Deutsche Katharina Fritsch, die einen riesigen Elefanten präsentiert und die Amerikanerin Cecilia Vicuna für ihre surrealistischen Zeichnungen geehrt.

Ukrainische Installation aus SandsäckenUkrainische Installation aus Sandsäcken

Die Ukraine ist natürlich mehrfach präsent. Zunächst erweckt eine Pyramide aus Sandsäcken das Bild von geschützten Kunstwerken aus der Öffentlichkeit in Kiew, das man aus dem Fernseher kennt. Der nationale Pavillon zeigt eine Arbeit des Künstlers Pavlo Makov, eine Wasser-Bronzen-Installation, die mühevoll aus dem Land geschmuggelt werden musste. „Der Brunnen der Erschöpfung“ hat der Künstler die Arbeit betitelt. Hinzu kommen Zeichnungen und Malerei, die die Gewalt des Krieges, von Vergewaltigungen bis hin zu anderen Albträumen des Krieges thematisieren.

Meine persönlichen Lieblings-Länder-Pavillons stammten u.a. aus Belgien, Südkorea, Ghana, Neuseeland, Hongkong und Frankreich. Mit „Die Natur des Spiels“ zeigt Francis Alys im belgischen Haus Videos von spielenden Kindern weltweit, einfach wunderbar. Südkorea trumpft mit psychedelischer Kunst in Form von computergesteuerten Maschinen-Kunstwerken auf - faszinierend. Das kleine Ghana begeistert erneut durch großartige Malerei und der großen Vision eines geeinten Afrikas. Im neuseeländischen Pavillon wird das dritte Geschlecht thematisiert, das besonders auf Samoa und Tonga zum Lebens-Alltag gehört: In „Paradise now“ werden sogenannte FA´AFAFINE gezeigt, die das Klischee von Mann und Frau in der Südsee in Frage stellen. Im französischen Pavillon schwelgt die algerisch-stämmige Französin Zineb Semira in Jugenderinnerungen und bearbeitet dabei ein französisches Trauma. Die poetische Arbeit zwischen Kolonialismus und kollektiven Träumen sind in herrlichen Interieurs gestaltet, die zum Tanzen, Verkleiden und Schwelgen verleiten möchten.

Pavillon Österreich: Gestaltet von Jakob Lena Knebel und Ashley Hans ScheirlPavillon Österreich: Gestaltet von Jakob Lena Knebel und Ashley Hans Scheirl

Eine Enttäuschung aus künstlerischer Sicht ist der Deutsche Pavillon, in dem sich die Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn einmal mehr am Hitler-Bau abarbeitet, indem sie teilweise den vorherigen bayrischen Bau unter der Nazi-Architektur freilegt. Alles sehr pädagogisch, didaktisch, deutsch. Aber eher langweilig und ohne ästhetischen Genuss. Ziemlich schräg und irgendwie sehr 70er-Jahre-mäßig kommt der österreichische Pavillon daher. Die beiden Trans-Künstler/innen Jakob Lena Knebel und Ashley Hans Scheirl verwandeln das Haus in einen schrill-bunten Kitsch-Spielplatz voller Drogen-geschwängerte Pop-Träume und Identitäten - muss man mögen.

Ansonsten haben die Zentral-Ausstellung in den Giardinis und im Arsenale wieder alles versammelt, was Kunst ist: zwischen Malerei, Skulptur, Installation, Video, Foto oder Performance. Viel Dada, Surreales und Künstliches gibt es zu sehen in verschiedenen Zeitkapseln, vom Hexentanz bis zur digitalen, künstlichen Intelligenz. Da werden zum Beispiel torfige Figuren von der nigerianisch-amerikanischen Künstlerin Precious Okoyomon von der japanischen Kletterpflanze Kudzu langsam, aber sicher überwuchert - ein künstlerisches Naturschauspiel, das begeistert. Griechenland präsentiert ein antikes Drama, auf Film gebannt mit Roma-Laiendarstellern, die ihr hartes Leben spiegeln. Chile legt den Fokus auf Torf-Moore, die man wahrlich auf Augenhöhe besichtigen kann, während die Dänin Birgit Jürgenssen bizarre Mischwesen aus Mann und Scampi zeichnet. Dazu kommen riesige schwarze Frauen-Skulpturen der Afroamerikanerin Simone Leigh, die den amerikanischen Pavillon in eine afrikanische Strohhütte umwandelt.

Katharina Grosse bei VittonKatharina Grosse bei Vitton

Und natürlich gibt es neben den offiziellen Biennale-Beiträgen immer noch unzählige Ausstellungen in Museen, Palästen und an anderen Orten: So zeigt Katharina Grosse, die deutsche Spray-Großmeisterin eine neue schillernde Arbeit bei Louis Vitton. Der kürzlich verstorbene Aktions-Künstler aus Österreich, Herrman Nitsch wird mit einer wunderbaren Schau auf Guidecca geehrt. Er zeigt riesige Schüttbilder und blutige Hemden und Altäre in roter Malerei. Raumgreifende Installationen zeigt der britisch-indische Groß-Künstler Anis Kapoor in der Accademia.

Mein absoluter persönlicher Favorit wird aber auf der vorgelagerten Insel San Giorgio gezeigt: der nigerianisch-amerikanische Künstler Kehinde Wiley, der seine „Archaeology of Silence“ präsentiert. Dabei handelt es sich um großformatige, sehr bunte, monumentale Gemälde von schönen, hippen, schwarzen Menschen in Blumen-Interieurs, umgeben von riesigen Bronzen, die ebenfalls schlafende junge Menschen zeigen. Großartig und einzigartig. Selbst wer nur relativ unbedarft durch die wundervollen Straßen und Gassen Venedigs läuft, bekommt jede Menge Open-air-Kunst in Form von Skulpturen und Installation geboten. Da gibt es hyper-realistische Bade-Nixen oder riesige Gorillas und Bären zu sehen.

Kehinde Wiley: Archaeology of SilenceKehinde Wiley: Archaeology of Silence

Wobei ich bei meinem diesjährigen Besuch verwundert feststellen konnte, dass das Wasser in der Lagune auch einmal ruhig daherkommen kann. Denn endlich wurden die riesigen Kreuzfahrt-Schiffe und die protzigen Oligarchen-Jachten aus Venedig verbannt und man bekommt keine nassen Füsse mehr, wenn plötzlich ein sechszehnstöckiges Hochhausschiff direkt vor einem durch den Kanal fährt und das Wasser ansteigen lässt. Super!! Dafür kann man jetzt nach stundenlangen Kunstspaziergängen, bis die Füße qualmen, entspannt an der Wasser-Linie sitzen, einen Aperitif trinken und den Sonnenuntergang bestaunen, ohne dass plötzlich eine riesige Wand durchs herrliche Bild fährt. Ach, Venedig war wieder ganz wunderbar, unbedingt für einen Kunst-Ausflug zu empfehlen. Und dann gibt es ja noch die Glasbläser-Insel Murano, oder man nimmt ein erfrischendes Bad auf dem Lido, und, und, und……

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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