Marius Pellesen (Paris), Christin Stanowsky (Helena)

Jacques Offenbachs Operette als Studentenspaß
Verwirrendes um „Die schöne Helena“

Einfach ist sie nicht, die griechische Mythologie. Unzählige Gestalten tummeln sich in ihr mit vertrackten Verwandtschafts- oder anderen Beziehungen. Eine Geschichte aber leuchtet hervor, die der schönsten Frau der Antike, die der Helena.

Dabei ging es bei der ersten der Misswahlen gar nicht um sie. Sie war nur ein Ehrenpreis, aber ein himmlischer, den ein Irdischer bekam. Denn selbst die Göttinnen zankten sich, wem Eris‘ goldiger Apfel, Siegprämie für die Schönste, gebührte. Zeus, der Fachkundige in Sachen weiblichen Liebreizes, hatte sich zu taxieren geweigert, wusste wohl warum. So suchten sie einen Preisrichter bei den Menschen und fanden ihn in Paris, dem trojanischen Prinzen. Aber der war käuflich, wies Heras Bestechungsgabe, die Herrschaft über die Welt, schnöde zurück, auch die der Athene, die nur Weisheit versprach. Begehrenswert war ihm einzig die Liebe der schönsten Frau der Welt, die Aphrodite ihm in Aussicht stellte. Und die war eben nur bei Helena zu finden, einer Verheirateten, was böse endete, wie Homer grandios erzählte.

Das versuchten auch andere. Aber keiner konnte das so locker und leicht wie Jacques Offenbach, was einerseits damit zusammenhing, dass er nur den Anfang der Geschichte anging, zum anderen damit, dass 1864 zwei versierte Bühnendichter ihm halfen. Sie bürsteten die griechische Mythologie nicht marmorn weiß, sondern zogen alles schön braun durch den Kakao, vor allem die Helden mit ihrem aufschneiderischen Getue. Sie entdeckten Burleskes, spitzten alles zur Farce oder Satire zu, hieben auch nach rechts und links, auf Moralhüter ehelicher Treue und die Große Oper zum Beispiel, die sie bei Meyerbeer fanden (NB: Dessen „Afrikanerin“ wird demnächst am Theater Lübeck lebendig!) So führte man damals „Die schöne Helena“ zur Freude und zum Gaudi des Publikums in Paris auf, wobei diesmal die Stadt gemeint ist, die rein gar nichts mit Paris aus Troja zu tun hat.

Bis heute hat man Spaß an Offenbachs Antikensicht, wie die letzte Inszenierung in Bad Oldesloe (vom 21. bis 23. Februar 2020 im Kultur- und Bildungszentrum) bewies. In der Reihe „Junges Musiktheater“ wird dort einmal pro Semester präsentiert, was Gesangseleven auch darstellerisch (sich) leisten können, diesmal eben mit Offenbachs Operettenspaß. Dessen Musik steckte zunächst die Studiosi an, die ihren Spaß daran ungemindert ans Publikum weitergaben. Anfang April werden sie noch einmal an ihrer Hochschule bekunden, wie wunderbar die Geschichte ist, die zum Zündstoff für den Trojanischen Krieg wurde, verzwickt und frivol, voller Anspielungen und genussvoller Ironie.

Das zu verstärken hatte Dominik Wilgendus in seiner Regie die Handlung abgespeckt, ein paar wenige Figuren im Arsenal gelassen, die anderen einsträngig zugespitzt, mehr auf Ulk bedacht. Zudem hatte Robert Roche diesmal nur fünf Musiker zu leiten, auf die das begleitende Orchester geschrumpft worden war, von den 14 Stimmbegabten auf der Bühne abgesehen. Eine Flöte war darunter (Savina Marinova), das Saxophon alt und tenoral (Luyu Niu), die Viola (Clara Petit), eine Gitarre (Martin Schley) und ein Schlagzeug (Coralia-Cordelia Common), zuständig auch für köstliche Geräuschpointen wie Anstoßen und Erdbeben. Solch Minimalismus ist verständlich, vielem im Hochschulbetrieb geschuldet, dennoch erschöpfte sich das instrumentale Farbspektrum nach einiger Zeit, stützte die süffige Melodik Offenbachs nur puristisch.

Der Eindruck eines Wandertheaters stellte sich ein, nicht zum Nachteil der Posse. Schnell und flüssig konnte das Groteske oder Burleske wie eine Harlekinade verwirklicht werden, womit dann auch so ziemlich alle Aspekte komischer Darstellung gebraucht sind (die anderen s. oben oder unten). Die Bühne bot nichts weiter als einen Würfel, der alles sein musste: Thron, Empore, Sessel oder Bett. An den Wänden hingen ein paar Kleider und Masken oder lagen ein paar Requisiten herum. Nur das Licht half bei Stimmungen, während die Kostüme oder Masken sich mühten, auf mehr oder weniger witzige Weise den einen oder anderen Charakter zu verdeutlichen. Wenn dagegen am Strand von Nauplia biedere Bademäntel für Exklusivität sorgen mussten, wirkte das eher wie mittelarmes Schülertheater.

Dem eben genannten Eindruck stand die Ausführung gegenüber. Schon bei Homer und wohl auch in noch früherer Antike wurde das Geschehen ja auch „gesungen“, weshalb Offenbach seinerzeit mit seinen Ensembles und Couplets den Ton der Zeit traf. Die jungen Darsteller jetzt hatten damit gut zu tun, mussten aber nicht nur flott und anspruchsvoll singen und sprechen, auch munter agieren und tanzen, wobei ansehnliche Soli, Chor- und Corps-Auftritte entstanden. Im Singen war besonders Christin Stanowsky alias Helena (2. Aufführung am 22. Feb.) nicht nur schön, auch stimmlich fabelhaft. Das muss auch sein, weil Offenbach, es wurde schon gesagt, persiflierte und zwar die anspruchsvolle Grand opéra. Da müssen seine Parodisten zumindest das leisten, was Meyerbeer hören wollte.

Marius Pellesen (Paris), Christin Stanowsky (Helena) Marius Pellesen (Paris), Christin Stanowsky (Helena)

Auch ihr „Traummann“ Paris, der „in Sachen Schafe machte“, überraschte mit einem gut klingenden Tenor, den ihm Marius Pellesen gab. Großer Opernschmelz erklang dann in beider Traumduett, musikalisch wirklich gelungen, während die Erotik keinen Moralisten erzürnt hätte. Grandios im Spiel, so dass man ihn bedauern wollte, war Martin Tromberg als betrogener Menelaos, ein rechter buffonesker Tenor. Aus der Sängerschar hervorgehoben seien noch Theresa Nitzsche als Bacchis, Helenas Vertraute, dann Kolja Marten mit würdigem Bariton als Agamemnon, der König der Könige. Köstlich und voller Spielwitz gestaltete Zixing Zhang den Achille und der bassige Johannes Pietruska den Calchas mit seinen wirren Prophezeiungen.

Bei so viel Sangeskraft, weil jeder an anderen Tagen eine der Hauptrollen übernahm, waren die Chorszenen von besonderer Kraft, grandios die Griechen in Wut, ein Geschrei, das schon in den Gesängen Homers zur Klangattitüde wurde.

Offenbachs Stück ist mehr als nur Gag, deshalb schwer zu inszenieren. Zudem kann so recht die Parodien von Mythos und Oper nur der verstehen und genießen, der beides einigermaßen kennt und sich deshalb „Bildungsbürger“ nennen lassen muss. Und das ist unzeitgemäß oder verschrien. Mancher Lacher folgte deshalb platter Spielkomik, war auch so angelegt. Dass diese Inszenierung aber ankam, gereicht ihr dennoch zum Erfolg.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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