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Musik- und Kongresshalle Lübeck
Die Lübecker Philharmoniker mit Peer Gynt auf Weltensuche

Die Lübecker Philharmoniker sind mit ihrem 6. Sinfoniekonzert auf ein großes Publikumsinteresse gestoßen. Ihr Angebot war Edvard Griegs vollständige Schauspiel-Musik zu Henrik Ibsens „Peer Gynt“.

Unbekannt ist sie, und das ist wiederum sonderbar, weil der „Textdichter“ bei Edvard Grieg die Schauspielmusik in Auftrag gegeben hatte und sie üppig bezahlte. Dennoch wollte Grieg, weil er auch nach ein paar Änderungen nicht mit seiner Partitur zufrieden war, sie nicht gedruckt sehen. Einiges Hin und Her ergab sich, bis rund 100 Jahre später das vollständige Werk in der Gesamtausgabe editiert wurde. Die zwei Suiten daraus waren dagegen lange bekannt und beliebt, übten immer schon großen Reiz aus. Nun aber sollte die ganze Musik zu hören sein, von der das Orchester erwarten durfte, dass sie noch mehr faszinierte. Bewiesen wurde das seit 1988 hin und wieder bereits, nur immer irgendwie aufgrund von Veränderungen. Die Texte etwa wurden neu gestaltet, auch manche Musikstücke. Auf alle Fälle machte sich ein Erzähler unentbehrlich, der die Klippen zwischen Ibsens überschäumender verbaler Fantasie und Griegs feinsinniger klanglicher Landschaft überbrückte.

In Lübeck versprach man im Programmheft, den gesamten Lebenslauf des absonderlichen Helden zu erfassen. Im ersten Teil war es seine „Jugend im Gudbrandstal“ und dann im zweiten sein abenteuerliches Erleben in der weltumgreifenden Fremde oder kurz „In der Fremde und Heimkehr“. Beides hat allerdings nichts mit der Aufteilung des „Dramatischen Gedichts in fünf Akte“ zu tun, wie Ibsen sich sein episches Werk in Versen vorstellte. Dort schweift die Fantasie mehr als abendfüllend umher, war aber lediglich als Lesedrama konzipiert. Vielleicht hatte Ibsen vor, mithilfe von Grieg eine überschaubare Länge zu finden.

Eine Komposition wie immer, als Oper oder sinfonische Musik, hätte dennoch keine Chance, ein eigenes Leben zu führen. Sie wäre immer gegenüber Ibsens schwelgerischem Lesedrama rudimentär geblieben, denn Edvard Grieg (oder beide?) müssten viele Teile anders verknüpfen, anderes opfern. Sinnvoll angeordnet hat alles nur ein Schauspiel mit Musik werden können. Als reines Schauspiel hätte es wieder die Schwierigkeiten gegeben, die das Theater vor knapp vier Jahren zu Saisonbeginn hatte. Ca. eine Stunde und 50 Minuten hatten zwei weibliche und sechs männliche Spieler Zeit, deutlich zu machen, wer nun gerade den Peer verkörperte oder wie er in 80 Jahren altern könnte. Weil das Stück zudem keine obligate Form hat, konnte frei mit ihm umgegangen werden, auch in der Übersetzung.

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Die aktuelle Fassung des Textes und den Ablauf erarbeiteten Musikdramaturg Jens Ponath und der Dirigent. Das war der Este Hendrik Vastmann, in Tartu aufgewachsen und ausgebildet und jetzt GMD in Oldenburg. Im Wortbereich nutzten sie zusätzlich zu Botho Strauss‘ „Fabeln von der Begegnung“ auch die schon etwas ältere Ibsen-Übersetzungen des Galgenlieder-Poeten Christian Morgenstern. Mit ihm vertraut glaubte man einige Male, seinen grotesken Ton zu hören. Wichtiger noch: Die Lübecker Philharmoniker arbeiteten spürbar gern mit und unter dem Dirigenten. Sehr sorgsam setzte er die Partitur um und gab den Musikern viel Zeit, Griegs Farben zu mischen und seine Gestaltung umzusetzen. Nichts wirkte herb und poltrig, alles bedachtsam ausgeführt. Viele Jahre sind es her, als der, der dies schreibt, einen der Bratscher auf einer Reise im Norden traf. Es kam deshalb in die Erinnerung, weil die zufällige Begegnung ganz in der Nähe vom Gudbrandstal stattfand, wo man auch Peer Gynts Spuren hätte finden können. Es war einer der Musiker, der sich innerlich immer besonders dem Land und den Leuten dort verbunden fühlte. Ähnlich wirkte das Spiel auch jetzt, wenn wie am Montag Elisabeth Fricker, an dem gleichen Pult als Bratscherin oder Konzertmeister Khristian Artamanov ihre Soli anstimmten.

Neben dem Orchester wirkten in Lübeck als Solisten ein paar Sprecher aus dem Schauspielensemble mit, eine Opernsängerin und ein Chor. Susanne Höhne bekam die Rolle der ehrwürdigen Aase, die ihren Sohn Peer kannte, unter ihm litt und ihm den Kopf mit einem kräftigen „Du lügst!“ zurücksetzte, nur gegen sein Talent als Geschichtenerzähler nicht ankam. Gut nuanciert klang Ingrid, die untreue und geprellte Braut. Sie hatte Luisa Böse zu sprechen und zu singen, auch die sinnliche Grüngekleidete. Den Peer hatte man Johannes Merz gegeben. Er war schon 2020 einer der Darsteller. Warum wirkte er jetzt so gleichförmig laut? War sein Mikro zu wenig sensibel eingestellt? Der Erzähler und Dovregreis dagegen wirkte angemessener. Heiner Kock sprach ihn gut schattierend und den Situationen angemessen. Unter den Solistinnen bleibt zum Schluss die, die von allen Rängen wunderbar Solveigs Lied herabströmen ließ. Auf Efmorfia Metaxaki war schon immer Verlass! Den Chor und Extrachor hatte Jan-Michael Krüger für alles sicher einstudiert, auch die tüchtigen Säterinnen oder Sennerinnen, wie man sie auch nennen kann. Sie sollten nach Ibsens Vorstellung Peer Gynt zu schaffen machen.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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