Musik- und Kongresshalle Lübeck
Musikalische Melancholie, die Grundstimmung im 5. Konzert der Lübecker Philharmoniker

Ein besonderes Programm hatte auch das fünfte der Konzerte der Lübecker Philharmoniker (4. und 5. Februar 2024), für das GMD Stefan Vladar im ersten Teil zwei Werke für Streichorchester ausgewählt hatte und im zweiten eines aus der klassischen Moderne, Béla Bartóks „Konzert für Orchester“. Es ist lange Jahre oft aufgeführt, in letzter Zeit weniger. Von den beiden Kompositionen im ersten Teil dagegen war eines recht bekannt, das andere wohl nur sehr wenigen. Aber beide hatten sie irgendwie mit Österreich zu tun, dem Heimatland auch des Orchesterleiters.

Der erste Beitrag, der mit großer Bekanntheit, war eine Komposition des Amerikaners Samuel Barber, sein „Adagio for Strings“. Nach dem Ende seines Studiums und dem Gewinn des Pulitzer-Preises hatte er 1936 bei einem Studienaufenthalt an Österreichs Wolfgangsee ein Streichquartett komponiert, sein Opus 11. Dessen zweiten, den langsamen Satz arrangierte er zwei Jahre später für ein Streichorchester, um es so dem italienischen Stardirigenten Arturo Toscanini zuzusenden, den er bei dem Aufenthalt kennengelernt hatte. In dieser Form führte der es in New York in einem sehr erfolgreichen Rundfunkkonzert auf. Es war der Anfang einer großen Karriere, die diesem Stück widerfuhr. Abgesehen davon, dass der Satz 1967 noch eine dritte Variante erhielt, eine als achtstimmiger Agnus Dei-Chor, wurde die Streicherfassung Dank ihrer großen Ausstrahlung das bekannteste und wirkungsvollste Werk Barbers. Einige Male wurde es als Film-Musik genutzt und als sehr ruhig und kontemplativ wirkendes Musikwerk gern bei Trauerfeiern gespielt, darunter bei der für Albert Einstein, auch bei John F. Kennedy oder der zu den Terroranschlägen am 11. September 2001.

Von diesem feierlichen und nachdenklichen Ausdruck war auch die achtminütige Wiedergabe am Montag geprägt, die sich voll innerer Kraft von Anfang entwickelte. Zunächst einstimmig, dann in sattem Streicherklang eingebettet, wurde das friedliche, dennoch feierlich gespannte Thema vorgetragen. Bewundernswert, wie Vladar in seiner konzentrierten Art diese Wiedergabe entwickelte und zu welchem Wohlklang er die Streicher führte.

Auch der zweite Beitrag begann sehr leise, dunkel und geheimnisvoll. „Melancolia“, etwas mehr als doppelt so lang, hatte der österreich-ungarische Theodor Berger seine vielschichtige Komposition genannt. 1905 war er geboren und fühlte sich trotz musikalischer Ausbildung wie ein Autodidakt. Grund war sein unorthodoxer Stil. Im 1933 komponierten Werk war es ein merkwürdig schweifender Klangstil, bei dem das Orchester oft verschiedene Sphären nutzte. Er muss für die Zeit sehr eigenwillig gewirkt haben. Vladar entwickelte diese reizvolle Art von Klangpolyphonie geschickt, gab ihr etwas Geheimnisvolles. Eine der diversen Klangschichten lag bei einer virtuosen Solovioline. Sie war Carlos Johnson anvertraut, der für seine souveräne Gestaltung großen Beifall erhielt.

Foto: Hildegard PrzybylaFoto: Hildegard Przybyla

Die Interpretation kam an und das Publikum dankte Stefan Vladar dafür. Er hatte damit einen 1992 gestorbenen Landsmann aus der Vergessenheit geholt, dessen Werke viele Dirigenten sehr geschätzt hatten. Kleiber, Karajan oder auch Celibidache gehörten dazu. Aber Berger war nicht nur Komponist, er war zu seiner Zeit auch ein bekannter Dirigent. Er wurde dazu, als er 1932, also mit 27 Jahren, von Wien nach Berlin wechselte. Dort wurde er von Wilhelm Furtwängler als Nachwuchstalent erkannt und gefördert. Man erinnere sich: Furtwängler war von 1911 bis 1915 Leiter der Lübecker Philharmoniker, die damals „Orchester des Vereins der Musikfreunde“ hießen, also Stefan Vladars Vorgänger im Amt.

Nach der Pause stand Béla Bartóks gewichtiges „Konzert für Orchester“ im Zentrum. 1943 entstanden, ist es eines seiner bedeutendsten Werke, obwohl es in äußerst schwerer biografischer Situation in New York entstand. Das Programmheft zitiert einen erklärenden Satz von Bartók aus dem Jahre 1944: „Die Grundstimmung des Werks stellt - vom heiteren zweiten Satz abgesehen - einen allmählichen Übergang von der Strenge des ersten Satzes und der schwermütigen Totenklage des dritten Satzes zur Lebensbejahung des Finales dar.“ Dieser prozesshafte Aufbau war am Montagabend zunächst nicht recht zu erspüren, vor allem deutete sich die offene Lebensbejahung nicht an. Stefan Vladar schien noch zu sehr an den Stimmungslagen des ersten Teils zu haften, obwohl der Gesamtaufbau des Programms sehr stimmig geplant war. Denn der erste Satz, „Introduzione“, knüpft mit seiner melancholischen Klangwelt direkt an den ersten Teil des Abends an. Stefan Vladar wählte allerdings zunächst recht langsame Tempi, mit denen er die vielfältige Faktur zwar präzise herausarbeitete, sich im Allegro-Teil aber noch nicht davon befreite. Der Vorausblick auf die Emotionen der späteren Sätze wollte sich so nicht einstellen. Einiges davon schien dem Orchester auch im zweiten Satz vor Augen zu stehen, bei dem das Giocose im „Spiel der Paare“ schwerfälliger als nötig wirkte. Sehr feinsinnig erklang der „Elegia“ betitelte Satz mit seinen Anklängen an den ersten Satz und den geheimnisvollen Momenten. Mit dem 4. Satz, dem „Intermezzo interrotto“ und schließlich dem rasanten Partien im „Finale“ erreicht das „Konzert“ eine mitreißende Lebenslust.

Das Publikum war begeistert!

Foto: Hildegard PrzybylaFoto: Hildegard Przybyla

 


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