Eugenio Leggiadri-Gallani (Bartolo), Wioletta Hebrowska (Rosina), Foto: Oliver Fantitsch

Mädchenraub, Bestechung und weitere Delikte ...
... arrangiert vom Barbier von Sevilla und am Theater Lübeck aufgetischt in Comics und mit viel Gesang

An einem Abend Premiere mit Rossinis „Barbier von Sevilla“, am nächsten eine mit Verdis „Maskenball“ in Kiel – der Italiener Pier Francesco Maestrini ist mit seinen unkonventionellen Inszenierungen im Norden gut im Geschäft.

In Kiel lud er zum „Maskenball“ in einen isolierten Raum, zu deuten als Reservat oder Raumstation, in Lübeck versetzt er den gewitzten Barbier in eine Comic-Welt, für die Joshua Held Zeichnungen und Filmchen schuf. 2015 hatte er das aufwändige Konzept bereits bei der Fondazione Arena di Verona ausgeführt und ließ es in Lübeck am 26. Januar fröhlichen Urstand feiern. In Kiel zeigt man den „Barbier“ in der nächsten Spielzeit. Damit sind alle drei Partner genannt, die bei dieser Produktion kooperieren, da ein Theater allein die Realisation nicht tragen kann.

A. Stadel (Marzelline), W. Hebrowska (Rosina), E. Leggiadri-Gallani (Bartolo), Foto: Oliver FantitschA. Stadel (Marzelline), W. Hebrowska (Rosina), E. Leggiadri-Gallani (Bartolo), Foto: Oliver Fantitsch

Schon vor dem ersten Ouvertüren-Ton sieht man ihn, den guten Maestro Rossini, mit dem Vornamen Gioacchino, deutschen Zungen fast unaussprechlich. (Man könnte ihn durch Giacomo ersetzen. Der Name ist jedenfalls angenehmer zu sprechen und zu schreiben, gehört aber schon Puccini. Aber das ist eine andere Geschichte und die wiederum gehört einem Nachrichtenorgan in Lübeck.) Er, Rossini, liegt in seinem Bett, in lockeren Strichen groß auf eine riesige Leinwand geworfen. Vino rosso, pollo ed une plumeau (mi scusi: un piumino naturalmente!) wärmen ihn und nebenbei erfindet und verwirft er die Melodien für seine neueste Oper, die er einem armen, obwohl schlauen Barbier in die Kehle komponiert. Es sei schon einmal angedeutet, was der später ausheckt – nicht für sich, sondern in Diensten und für Bares. Selbstredend ist ein Adliger mit von der Partie, der sich Almaviva nennt, wenn er nicht als Lindoro auftritt. Ziemlich reich ist er, kann zudem gut singen, was ihn Rossini standesgemäß mit einem Ständchen beweisen lässt.

A. Stadel (Marzelline), T. Konoshchenko (Basilio), E. Leggiadri-Gallani (Bartolo), W. Hebrowska (Rosina), A. Luciano (Almaviva), Foto: Oliver FantitschA. Stadel (Marzelline), T. Konoshchenko (Basilio), E. Leggiadri-Gallani (Bartolo), W. Hebrowska (Rosina), A. Luciano (Almaviva), Foto: Oliver Fantitsch

Es ist der nicht unvermögenden Rosina gewidmet. Sie hat Rossini ebenfalls mit wunderschönen, aber höchst schwierigen Arien ausstaffiert, demzufolge sie Gesangsunterricht nehmen muss. Aber nicht deshalb ist Almaviva hinter ihr her, weshalb aber, bleibt unklar. Nur eins ist sicher: Es ist nicht ihr Geld, das ihn reizt. Davon hat er reichlich, muss er auch haben, um allerlei Personal zu bestechen und das mit Figaros leicht krimineller Hilfe. Wie und warum bleibt jetzt noch verschwiegen, aber das sei noch gesagt, dass es bei Bartolo, dem Vormund Rosinas, anders aussieht, pekuniär vor allem, obwohl Dottore. Zudem ist er noch argwöhnisch und griesgrämig, aber noch gut bei Stimme, weshalb Rossini selbst ihn singen lässt. Er hat es auf Rosinas Erbe abgesehen und betreibt die Heirat mit dem jungen Ding zielgerichtet.

Das nun zu verhindern ist Figaros Aufgabe, wird allerdings für den Grafen, wie angedeutet, ganz schön teuer. Das liegt an den weiteren Personen, die noch mitwirken. Basilio gehört dazu, der Musiklehrer, und dann Fiorello, der Diener, und auch ein Offizier. Und noch eine bekommt eine wunderschöne Arie, doch ziemlich zum Schluss erst. Es ist Marzelline, Bartolos Haushälterin, aber sicher nicht schuld an seinen Verhältnissen. Oder war sie eines von ihm? Denn als er endlich zu Vermögen gekommen ist, darf sie ihm ein Küsschen auf die Wange hauchen. Was das aber für Ursachen hat, kann man bei Mozart hören, der den Barbier schon im Titel „Figaro“ nennt.

Taras Konoshchenko (Basilio), Eugenio Leggiadri-Gallani (Bartolo), Foto: Oliver FantitschTaras Konoshchenko (Basilio), Eugenio Leggiadri-Gallani (Bartolo), Foto: Oliver Fantitsch

Eine schöne Geschichte ist das und grandios von Cesare Sterbini im Libretto dem geheimnisvollen Franzosen Beaumarchais nachempfunden. So richtig unvergesslich machte sie dennoch erst der Italiener Rossini, als er 1816, also vor 201 Jahren, alles im Eiltempo vertonte und aufschrieb, im Bett, wie zu sehen. Dort nun holte Signore Ryusuke Numajiri, als Direttore der Lübecker Philharmoniker zurückgekehrt, das ab, ohne das seine Musiker nicht musizieren konnten, eben die Noten, die musikalischen, nicht die von der Bank. Die spielten oben auf der Bühne eine andere Rolle, wo zunächst Numajiri in vollendeter japanischer Höflichkeit die quasi von Tinte triefenden Noten übernahm und sie über die Rampe hinab zu seinen Musikern in den Graben flattern ließ, bevor er selbst laut stapfend dort ankam und den Einsatz gab.

So konnte der „Barbier von Sevilla” endlich loslegen, seinen Witz auf Lübecks Theaterbühne hören und in Comics sehen lassen. Fast auf den Tag ein Jahr war es her, dass die „Reise nach Reims“, ebenfalls von Rossini, nach dem gleichen Muster das Publikum in Lübeck entzückte. Wie damals haben die Zeichnungen oder besser kleinen Filme auf großer Leinwand zu erklären, zu illustrieren, Verschwiegenes darzustellen, Ortswechsel und Kulissen zu ersetzen. Da wundert sich der Theatergänger schon mal gehörig, auf was für Ideen man so kommen kann und auf was sich alles anspielen lässt.

Eugenio Leggiadri-Gallani (Bartolo), Gerard Quinn (Figaro), Alessandro Luciano (Almaviva), Taras Konoshchenko (Basilio), Wioletta Hebrowska (Rosina), Foto: Oliver FantitschEugenio Leggiadri-Gallani (Bartolo), Gerard Quinn (Figaro), Alessandro Luciano (Almaviva), Taras Konoshchenko (Basilio), Wioletta Hebrowska (Rosina), Foto: Oliver Fantitsch

Rossini selbst taucht auf, immer mal wieder, wie er im Vorspann versprochen hatte, auch seine Kollegen Puccini und Verdi, noch so einer mit dem G-Punkt-Vornamen, auch ihrer aller Interpret Paverotto (ein Schelm, wer das als Rechtschreibfehler liest). Wie Gerüchte sich so verbreiten, wie riesige Saalfluchten mit Gemälden an den Wänden locker über die Bühne zu bewegen sind, wie in Figaros Kopf die Einfälle platzen und was Darth Vader da zu suchen hat, darüber kann man staunen oder, wie wir hier sagen, sich högend wundern. Optisch besonders prägt sich ein, wie Graf Almaviva immer wieder aus seiner Tasche rote Beutelchen holt, womit wir wieder beim Thema, dem kleinkriminellen Hintergrund sind. Sie enthalten die begehrten Goldmünzen, die – nach Figaros Plänen – ihm nützen, endlich Rosina zu besitzen.

Dass manche der Ideen in den Comics weniger zünden, muss das Publikum hinnehmen, schließlich wird auch anderswo stupide eingehämmert, immer wieder. Auch ist die „Reise nach Reims“, weil sie sich auf die Erfahrungen beim „Barbier von Sevilla“ stützen konnte, natürlich agiler, subtiler in den Interaktionen zwischen Comic und den Agierenden. Man muss auch den Künstlern zugestehen, dass sie lernen. Dennoch machte auch die Sevilla-Version Eindruck, nicht zuletzt durch die Sänger, die als Alter Egos der Zeichnungen auftreten, plump und unförmig. Eine Leistung war es, sich in den Kostümen von Luca Dall’Alpi zu bewegen, die feine Gesten verhindern, dafür die Mimik herausfordern.

Taras Konoshchenko (Basilio), Gerard Quinn (Figaro), Wioletta Hebrowska (Rosina), Foto: Oliver FantitschTaras Konoshchenko (Basilio), Gerard Quinn (Figaro), Wioletta Hebrowska (Rosina), Foto: Oliver Fantitsch

Dem Barbier machte das gar nichts aus, so schien es. Gerard Quinn war ihm mit Spaß auf die Schliche gekommen und sein Bariton war wendig genug für diese muntere Partie mit dem aberwitzigen Parlando. Als Graf Almaviva war Alessandro Luciano eingesprungen, dessen sehr anspruchsvolle Chorarie er kurz vor dem Finale con grandezza hinlegte, obwohl er in Ensembles sich weniger Gehör verschaffen konnte. Da hatte er das Nachsehen gegenüber Eugenio Leggiadri-Gallani, dessen Bass leichthin den Raum füllte.

Sein Mündel Rosina, wieder eine Paraderolle für Wioletta Hebrowska, bezauberte alle mit ihrer klangvollen Stimme und den koketten Koloraturen. Die Marzelline war bei der stets spielfreudigen Andrea Stadel bestens aufgehoben. Ihre Arie, ausgerechnet Nr. 13 und kurz vor dem Finale, war ein kleiner Juwel, wenn sie in komischer Verzweiflung von ihren süßen Schmerzen singt, von ihrer Sehnsucht nach einem Mann. Und auch der stets zuverlässige Taras Konoshchenko als Basilio und Thomas Mysliwiec gleich in zwei Rollen (Diener und Offizier) ließen das Plumpe der Figuren durch sehr bewegliche Stimmbänder vergessen.

Gerard Quinn (Figaro), Statisterie, Foto: Oliver FantitschGerard Quinn (Figaro), Statisterie, Foto: Oliver Fantitsch

Sehr sicher gab sich der Chor, und auch das Orchester hielt mit, nachdem alle, auch der Dirigent, sich auf die „neue“ Partitur eingestellt hatten. Manchmal, vor allem in den Tempoverhältnissen, war das Spiel allzu ernsthaft und klang nach prima vista.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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