(c) Tina Schönwald

Prost und los!
Sky Bar

An einem Morgen, an dem ich dachte, ich habe den Schlaf knapp überlebt, zirbelt ein Bild direkt auf meine noch umnebelte Netzhaut: als ich mein Handy anschalte, wohlweisslich, dass ein Handyscreen nicht das Erste sein sollte, was ein bewusst lebender Mensch an einem jungfräulichen Morgen im 21. Jahrhundert als erstes sehen sollte.

Stattdessen sollte ich nach dem Aufwachen mit noch geschlossenen Augen meine Gedanken - ordnend, fokussierend, affirmierend - auf mein Ziel des kommendes Tages richten. Aber ich wische rebellisch mein Samsung on. Eigentlich will ich ja nur die Uhrzeit wissen. Ja, ich habe schon länger bei Ebay ein Auge auf einen Radiowecker von Grundig aus den 80s geworfen, Sonoclock 450. Der hat 5 feststellbare Radiostationen. Ja, ich weiß, dass im 21. Jahrhundert der Verkauf und möglicherweise der Besitz von analogen Radios nicht erlaubt ist.

Ich will's trotzdem. Ich will unabhängig vom Digitalismus sein. Ich will analog! Ich habe wieder einen alten Plattenspieler und genieße den vollen Soundumfang der natürlichen Hertzzahlen, die mich aus meinen alten großen, schweren Boxen regelrecht durchfluten. Keine sauteuren digitalen Soundboxen kommen annähernd daran, ich habe etliche verglichen. Und habe mich immer leise kichernd oder groß augenrollend von diesen Kack-Bluetooth-Boxen weggedreht. Egal ob von Bose oder Marshall, dem heiligen Gral. JBL, Teufel, Denon, egal was, es kam nicht ans analoge ran.

Auf meiner minimalistischen Suche nach kleinerem Equipment kam nur der Rückwurf aufs Altbewährte. Klar, könnte ich jetzt sagen, naja gut, dann hab ich eben nur so Winzboxen rumstehn, weniger beim nächsten Umzug zu tragen und hör' dafür nur den Bruchteil meiner Musik. Nee. NEE. Obwohl ich krass minimalistisch bin, brauche ich meine analogen Riesenboxen und meinen analogen Plattenspieler. Meine Ohren sind nämlich keine Minimalisten. Das dazu. Deswegen will ich auch den Sonoclock 450.

Und kriminell Radio hören, solang es noch möglich ist, bis sie die Frequenzen auch abschalten. Aber weil ich mich noch nicht für einen einzigen 80s Radiowecker entscheiden konnte, wische ich also an diesem Morgen mein Handy an. Und was meine von der Nacht ausgeruhte Netzhaut trifft, ist dieses Bild. Ein Foto mit nicht allzuviel Farben. Eine Blechbude, eine Bar. Aus Wellblech. Ich mag ja Wellblech. Drüber steht „Sky Bar“. An die Blechbude ist eine Tafel gepinnt, von Corona-Bier gesponsert. Nebendran noch eine Riesenbierflasche ebenso von diesem Corona-Gesöff. Und in dem Moment verdichtet sich um mich die Luft. Alle Atome strömen zu mir, als wäre ich ein Abfluss in einem Spülbecken. Merkwürdiges Gefühl, ich habe Schiss und überlege kurz, ob es jetzt Zeit wäre 112 anzuklingeln.

Nach ein paarmal Luftholen und Husten wird mir klar, es ist alles ok. Und wir sind mittendrin, und wir überleben diesen Corona-Kack. Es ist alles eine Manifestation aus allen Partikeln und Pixeln, die sich gegenseitig bedingen, obwohl sie nichts voneinander wissen. Shalömchen, darauf ein Corona, Prost!

Von Tina Schönwald sind jetzt demnächst einige Bilder zu sehn:
8.- bis 10. Oktober 2021, von 10 bis 18 Uhr
Kettenlager, 1. OG auf der Kulturwerft Gollan
Als Teil der LebensArtmesse, Einsiedelstraße 6, 23554 Lübeck

Kulturwerft Gollan: LebensArt Lübeck vom 8. bis 10. Oktober


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