Das Konzert mit den Lübecker Philharmonikern, zu dem am 18. Januar 2025 in die MuK eingeladen wurde, war in keiner Hinsicht gewöhnlich. Bereits der äußere Rahmen unterschied sich durch eine lebendige Moderation, die Nina-Mercedés Rühl übernommen hatte. Sie arbeitet unter anderem als Schauspielerin auch am Theater Lübeck.
Zum anderen war nicht das Theater Lübeck selbst Veranstalter, vielmehr allein sein Philharmonisches Orchester. Es wollte einmal wieder auf seine besondere Initiative aufmerksam machen, die vor nunmehr 20 Jahren gegründete „Philharmonische Gesellschaft“. Mit ihr haben die Orchestermitglieder durch zusätzliche ehrenamtliche Arbeit eine Institution geschaffen, die Lübecks Musikkultur in aller Vielfalt stützt. Nicht nur der traditionsreichen Kirchenmusik ist zu helfen, weil die Kirche allein nicht dieses Kulturgut zu tragen vermag. In vielen weiteren Bereichen wurde in den 20 Jahren das Engagement immer effektiver. Dazu gehört vor allem das internationale Orchesterstudio, das zusammen mit der Musikhochschule künftige Orchestermusiker fördert, so auch bei diesem Konzert mit je einem Cello, einem Schlagzeug und einer Harfe.
Moderatorin Nina-Mercedés Rühl
Dann wurde die Patenschaft für das Jugendsinfonieorchester übernommen, das lange Jahre in Lübeck auf sich aufmerksam machte, aber durch fehlende finanzielle Unterstützung nicht weitergeführt werden konnte. Auch den Jüngsten wird etwas geboten, indem ihnen in Kindergärten und Schulen die Orchesterarbeit nahegebracht wird. Neben diesen institutionellen Einrichtungen wird der Konzertbetrieb dort unterstützt, wo der normale Rahmen nicht reicht. Der aufmerksame Besucher kann in den Programmheften immer wieder darüber lesen, wenn besondere Solisten oder Aushilfen angeworben wurden oder Ungewöhnliches aufgeführt wird.
Auf diesem Hintergrund war das jetzige Konzert auch eines, mit dem das Orchester sich im politischen oder sozialen Rahmen engagiert zeigte. Das Anliegen war, (unter dem etwas modernistischen und reißerischen) Label „Musik4all – grenzenlose Klänge“ ein Programm mit Kompositionen zu bieten, die entweder von Frauen geschaffen wurden oder andere „Makel“ trugen. Sinnvollerweise hatte man dafür eine Dirigentin, die schwedische Marit Strindlund, gefunden, der es offensichtlich Spaß machte, dieses besondere Programm in Klang zu wandeln. Sehr feinfühlig folgte sie den stilistisch unterschiedlichen Kompositionen, begeisterte das Orchester, wie das Publikum. Sie erfüllte mit Schwung das zweite Anliegen des Abends, sich „für Vielfalt und gegen Diskriminierung“ einzusetzen.
Pianistin Lauma Skride und Dirigentin Marit Strindlund
Konzerte beginnen oft mit einer Ouvertüre, diese hatte die Französin Louise Farrenc komponiert, die von 1804 bis 1875 lebte. Schon mit 15 Jahren begann sie vor allem Klavierwerke zu schreiben, wurde später Professorin für Klavier am Pariser Konservatorium. Damit wurde sie die erste Frau, die solch ein Amt bekleidete. Erst im Alter von 30 Jahren wandte sie sich der Instrumentalmusik zu. 1834 schuf sie zwei Ouvertüren, später dann noch drei Sinfonien und verschiedene Kammermusiken. In diesem Konzert wurde die Ouvertüre Nr. 1 vorgestellt, ihr op. 23 in e-Moll. Es begann mit einer wuchtigen akkordischen Einleitung, der ein sehr beweglicher und fein instrumentierter längerer Allegro-Teil folgte. Ihr Vorbild war offenbar die Wiener Klassik. Sie entwickelte aber vor allem mit den Holzbläsern ein durchaus romantisches Flair.
Der zweite Beitrag, ein Satz aus einem Violinkonzert, war der historisch älteste, zugleich der einzige von einem Mann komponierte, von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges. Er hat eine abenteuerliche, zugleich vielseitige Biografie, wurde 1745 als Sohn eines französischen Plantagenbesitzers und einer Sklavin senegalesischer Herkunft auf Guadeloupe geboren. Nach Wikepedia war er ein „französischer Geigenvirtuose, Komponist und Dirigent, … war auch Athlet und Fechter und während der Französischen Revolution Kommandeur (Colonel) der Légion des Américains et du Midi, des zu dieser Zeit einzigen Regiments in Europa, in dem schwarze Soldaten dienten.“ Dass er sich nicht nur in Frankreich mit Erfolg gegen Rassendiskriminierung einsetzte, unter der er selbst zu leiden hatte, prädestiniert ihn zur Teilnahme in diesem Konzert, auch dass er offenbar von den Großen der Klassik geschätzt wurde. Er starb 1799 in Paris. Carlos Johnson, der Erste Kapellmeister, spielte, begleitet von seiner Streichergruppe, den Solo-Part aus dem 1. Satz des Violinkonzerts G-Dur. Es war ein sehr klangschönes, mitreißend interpretiertes Werk mit eingängiger Melodik und fein gestaffelter Dynamik, bei der im Solistischen auch die anderen Stimmführer bis hin zum Cello mitwirkten.
Konzert zum 20. Jubiläum der Philharmonischen Gesellschaft in der Lübecker MuK
Ganz anders klang das nächste Werk, wieder eines einer Komponistin, zudem an diesem Abend eine deutsche Erstaufführung. Komponiert hatte es Dobrinka Tabakova, 1980 in Bulgarien geboren. Als sie 11 wurde, siedelten die Eltern mit ihr nach London um. Mit ihrem Orchesterwerk „Orpheus’ Comet“, das 2017 im Auftrag der BBC entstand, bezieht sie sich auf ein Lehrbuch des altrömischen Dichters Virgil. In „Georgica“, quasi ein Lehrwerk zur Landwirtschaft, beschäftigte er sich im 4. Buch mit den Bienen, deren Gemeinschaftswesen ihm Vorbild für die Staatsbildung der Menschen ist. Deutlich ist das Schwirren eines Schwarms in der Komposition nachgezeichnet, dem eine zweite Klangschicht aus spitzen Akkorden gegenübersteht. Das Nebeneinander verdichtet sich immer mehr zu einem würdigen Hymnus, den die tiefen Blechbläser anstimmen, bis eine hohe Klangfläche sich darüber setzt, sich alles mischt und noch einmal dynamisch steigert. Das Werk endet mit einem breiten, würdigen Finale.
Clara Schumanns einziges Klavierkonzert a-Moll, ihr op. 7, folgte. Es ist wohl das einzige Werk, das wenigstens einigen Hörern bekannt war, denn es gilt als ihr erstaunlich geniales, zugleich ausdrucksstarkes Jugendwerk. Clara, damals noch Clara Wiek, hatte es 1832 bis 1835 komponiert, anfangs 13 Jahre alt. Bei der Instrumentation des dritten Satzes, der zuerst entstand, hatte ihr Robert Schumann wohl geholfen, den ersten und zweiten Satz aber wollte sie selbst in allem gestalten, bevor sie ihn ihrem, späteren Ehemann zeigte. Als Pianistin hatte man Lauma Skride gewonnen, in Riga geboren und in Hamburg diplomiert. Mit großer Ruhe und viel Klangsinn ging sie den zeitweise sehr fordernden Part an, schaffte vor allem den Satzübergängen alles Abrupte zu nehmen. Das „Allegro maestoso“ des ersten Satzes wandelte sie unaufdringlich in die wundervoll singende Romanze (Andante non troppo con grazia). Das Klavier hat hier ein großes Solo und wird erst im zweiten Teil von einem Cello (mit wundervoll sonorem Ton Hans-Chistian Schwarz) begleitet. Auch dieser Satz wird unmittelbar ins vom Piano angeführte Finale (Allegro non troppo) geleitet. Großer Beifall folgte für die Leistung aller.
Violinist Carlos Johnson, Erster Kapellmeister
Mélanie Bonis (1858-1937) hatte in ihrer Zeit noch unter der Diskriminierung der schöpferischen Kraft der Frauen gelitten. Ihren Vornamen hatte sie deshalb zu Mel verkürzt und unter diesem ihre Werke veröffentlich, auch die 1909 herausgekommene Klavierfassung der „Femmes de légend“, acht Charakterbilder mythischer Frauen. Unbekannt ist, wann „Cléopâtre“, „Ophélie“ und „Salome“ instrumentalisiert wurden. Auf jeden Fall hat auch diese „Salome“ im Vergleich zu der von Richard Strauss großen Klangreiz. Man begegnet trotz der Taktwechsel oder der Glissandi, trotz der sich häufig ändernden Dynamik einer verführerischen Frau, aber einer mit nicht so zielstrebiger Verruchtheit.
Die Komponistin des letzten offiziellen Programmpunktes war Florence Beatrice Price. Sie wurde 1887 als Florence Smith in Arkansas geboren, starb 1953 in Chicago. Der Grund, 1927 dorthin zu ziehen, war der ihr und ihrer Familie gefährlich gewordene Rassismus. Sie wurde Amerikas erste afroamerikanische Komponistin. Dass das etwas Besonderes war, trug sie mit Bewusstsein. Das verrät diese Passage aus einem Brief an den einflussreichen Dirigenten Serge Koussevitzky: „Ich habe zwei Handicaps: mein Geschlecht und meine Rasse – ich bin eine Frau, und ich habe schwarzes Blut in meinen Adern.“ In ihrer mitreißenden Musik aber versteckte sie sich nicht. Beide Sätze aus der 1. Sinfonie: der afrikanische Juba Dance und der lebhafte Vierte, ein Allegro im 6/8-Takt, zeugen davon. Hier half das Orchester der Universität (Einstudierung: Söhnke Grohmann), diese Musik vital und klangvoll zu gestalten, damit die Idee des Orchesterstudios noch einmal hörbar zu machen.
Music4all in der Lübecker MuK
Als Zugabe folgte in gleicher Besetzung ein nicht so ganz ins Programm passender Ohrwurm, des Griechen Vangelis „The Conquest Of Paradise“. Das Publikum wurde zum Mitsingen aufgefordert.
Fotos: Hildegard Przybyla