Stefan Vladar und seine Philharmoniker schafften es, beim Neujahrskonzert 2025 die MuK bis auf den letzten Platz zu füllen und das Publikum rundum zu begeistern – ein hoffnungsfroher Einstieg in ein Neues Jahr. Dabei führte das Programm nicht nur auf vertraute Wege, sondern hob sich angenehm von dem immer Gleichen vergangener Jahre ab.
Es konfrontierte das Gehör diesmal mit Faszinierendem, das vor fast 100 Jahren der Nordamerikaner George Gershwin als pulsierende Lebensart auf Cuba erlebt hatte, als er die Insel mit Freunden besuchte. Das Ergebnis war die „Cuban Ouvertüre“, der erste Programmteil des Abends. In ihr hatte Gershwin den berauschenden Rumba-Klang einer Straßenprozession eingefangen, den jetzt das Orchester und eine Reihe von Schlagzeugern mit viel Effekt in Klang zurückwandelten.
Leonard Bernstein, 1918 geboren, hatte viel von Gershwin, seinem zwanzig Jahre älteren Landsmann gelernt. Er ließ sich vor allem ebenfalls von der Musik und dem Lebensstil eingewanderter Südländer faszinieren. Wie intensiv, beweist neben der späteren „West Side Story“ bereits das 1944 entstandene Musical „On The Town“. „Three Dance Episodes“ daraus wurden Programmpunkt 2. Im ersten Abschnitt, in „The Great Lover“, stellt sich Gabey vor, der junge Hauptcharakter. Naiv ist er, doch voller romantischer Kraft, was Blech und grob betonte Rhythmik herausstellen. Der folgende „Pas de Deux“ dagegen wirkte sensibler, schilderte in einer farbig getönten Sehnsuchtsmusik eine Liebesszene. „Times Square“ schließlich war ein wildes und wechselhaftes Nachtbild mit Saxophonpartien und Klängen von Bongos, Klangstäben oder Maracas – eine stark vom Jazz geprägte Musik.
Faszinierendster Teil aber wurde Gershwins „Rhapsody in Blue“, 1924 „als musikalisches Kaleidoskop Amerikas“ (s. Programmheft) komponiert. Sie ist mit 17 Minuten Dauer kein „großes“ Werk, hat aber 1924 nach seinem Entstehen und seiner Uraufführung eine große Wirkung gehabt. Mehr als zwei Jahrzehnte verspätet gelang ihr das auch in Deutschland, als dort endlich wieder Jazz und all die kernige Musik, die sich diesem Stil nähert, zu hören und zu spielen erlaubt war. Wunderbar, es in diesem Programm zu erleben, zumal der GMD selbst den Solopart übernahm und gleichzeitig dirigierte. Dankbar wurde diese große Leistung beklatscht und mit einer Zugabe beantwortet. Es war das zweite der drei „Preludes“ von Gershwin, eine Art Blues mit hinreißenden Charakter und der typisch schwebenden Harmonik.
Führte der erste Teil in den musikalischen Westen, landete der zweite Teil dort, wo er in „gewohnten“ Programmen verharrt, in Wien. Herrschte daher im ersten Teil vielerlei Rhythmisches vor, beherrschte jetzt eine einzige Taktart die Musik. Es war der Drei-Viertel-Takt und mit ihm der Walzer. Dass jetzt ausgerechnet die „Erste Walzerfolge aus der Oper ‚Der Rosenkavalier‘“ gewählt worden war, den Übergang zu inszenieren, ist sicher kein Zufall. Denn gerade diese Folge verwendet zumeist Musik aus Walzerszenen, die auf Baron von Ochs verweisen. Und er ist nun einmal das Symbol für den Verfall der adligen Welt. Vladar setzt damit an den Anfang des zweiten Teils gerade jene Musik, die unter anderem als ein Abgesang auf den einst feudalen Tanz zu deuten ist. Eine wirkungsvolle Idee ist das, die sich dem Hintergründigen im ersten Teil anschließt.
Dass diese Walzerfolge, 33 Jahre nach Erscheinen der Oper, mehr als nur „populistischem“ Geschäftsgebaren (Richard Strauss unterstellt) ihr Entstehen verdankt, beweist auch der überzeugende Stellenwert, der ihr an diesem Neujahrstag gegeben wurde. Ihr folgte nämlich die impressionistische Klangwelt in Maurice Ravels „La Valse“. In großer Besetzung und mit zwei Harfen und vielerlei Schlagwerk malte er ein aufregendes Klanggeschehen, das den Walzer wie im Rausch an seine Grenzen führte. Dass es an diesem Abend nicht seine sensibelste Interpretation fand, ist wohl dem so breiten Programm geschuldet, das mit Johann Strauß endete, mit seinem immer wieder begeisternden „An der schönen blauen Donau“. Es folgte auch hier als Quasi-Zugabe der unvermeidliche dem Feldmarschall Josef Wenzel Graf Radetzky von Radetz gewidmete Marsch. Er und der Umgang mit ihm ist inzwischen selbst Kulturgut geworden.
Fotos: Hildegard Przybyla