Lübecker Philharmoniker mit Brahms 'Requiem' zu Gast in der Lübecker Musik- und Kongresshalle, Foto: (c) Olaf Malzahn

Die Lübecker Philharmoniker
Akustische Händel zwischen Elphi und MuK mit Brahms als Schiedsmann

Irgendwie keck ist es, wenn Lübecker in Scharen in Hamburg einfallen, um zusammen mit ihren Philharmonikern Johannes Brahms, im Hamburger Gängeviertel geboren, in der wundersamen Elbphilharmonie zu zelebrieren, in einem Gebäude, das der Elbmetropole zum Wahrzeichen wurde.

Johannes Brahms in Bronze, Foto: Peng!Johannes Brahms in Bronze, Foto: Peng!(Hier sei standhaft auf die Verniedlichung zu „Elphi“ verzichtet, immerhin ist sie nach langer Bauzeit in der Absicht entstanden, ein dominantes Musikzentrum für den Norden zu schaffen.)

Nicht weniger kühn könnte man nennen, dass für die Lübecker Präsentation ausgerechnet das „Requiem“ gewählt wurde, das für den 33-Jährigen zu einer seiner bedeutendsten Schöpfungen wurde. Sein Zeitgenosse, der Musikkritiker Eduard Hanslick, erkannte seinen Wert und stellte es damals neben Bachs „h-Moll-Messe“ und Beethovens „Missa solemnis“. Auch ein Drittes könnte provozieren. Alle Besucher kamen aus der Stadt, die das Bedeutsame des Romantikers mit ihrem weithin anerkannten Brahms-Institut, dem renommierten jährlichen Brahms-Festival und dem sympathischen Brahms in Bronze weit stärker als seine Geburtsstadt betont. Es ist nicht zu leugnen, dass Lübeck mit all dem der großen Hafenstadt den Rang abläuft.

{banner_here}Mit Werken anderer Komponisten hatten die Lübecker Philharmoniker, bedingt durch wiederholtes Zusammenwirken mit dem geschätzten Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor, in Hamburg bereits in anderen Räumen gastiert, aber nur wenige zusätzliche Zuhörer aus Lübeck mitgezogen. Das war jetzt anders. Allerdings wird die meisten, die in den rund 20 Bussen anreisten, vor allem die Neugier auf das so hoch gepriesene, nun schon fast zwei Jahre alte Konzertgebäude mit seiner ungewöhnlichen Silhouette getrieben haben. Etliche, das ergab sich aus manchem Gespräch, waren bislang noch nicht durch die lange und zugige Eingangsröhre und über die unkommod geschwungenen Treppen in den spektakulären Musiktrichter gestiegen – und mächtig beeindruckt worden. Viel ist über dessen besondere Einrichtungen geschrieben worden, vor allem über das akustisch Einmalige. Doch wird gerade das nach der Sanierung im Mai 2017 immer mehr bezweifelt, objektiviert durch Messungen in der MuK. Durchgeführt hat sie der Münchener Akustiker Karlheinz Müller. Er nennt den Saal „in Norddeutschland das beste Konzerthaus“, dessen „Akustik viel besser als die in der Elbphilharmonie“ sei.

Elbphilharmonie, Foto: (c) Thies RätzkeElbphilharmonie, Foto: (c) Thies Rätzke

Solch eine Reise wie die vom Theater Lübeck beworbene und organisierte versprach nun durch einen direkten Vergleich, bei gleichem Programm und mit gleichen Musikern das einmal selbst zu überprüfen. Das klingt simpel und schlüssig, ist dennoch tückisch, weil immer Erwartungen an etwas Neues Einstellungen färben, wie es auch von anderen gehörte oder selbst gebildete (Vor-)Urteile tun. Verzerrend wirkt z. B. auch der zeitliche Abstand zwischen den Lübecker Konzerten am Sonntag oder Montag, je nachdem was man hörte, und dem in Hamburg erst drei Tage später. Mehr noch entscheidet die Sitzposition gegenüber dem Klangkörper. In der MuK ist es die klassische Kastenform, die ein Brahms sich wohl vorstellte, als er komponierte und instrumentierte. An der Elbe ist es die „moderne“ Rundumsituation, die alle Zuhörer zwar möglichst nahe an das musikalische Geschehen heranbringen will, sie aber steil in die Höhe zwingt, etliche vor oder seitlich, andere hinter das Orchester.

Noch gravierender ist, dass die Mitwirkenden anders aufgestellt waren. In Lübeck saß der große Chor blockartig eine Etage über dem Podium, sang über das Orchester hinweg. In Hamburg konnten sich die Stimmen besser mit den Instrumenten verschmelzen, weil die Sänger breit und direkt hinter den Instrumentalisten platziert waren. Kurz vermerkt sei, dass das für den Dirigenten von Vorteil war. Seine Blickwege von der Partitur zum Chor benötigten kein Heben des notenschweren Kopfes, ermöglichten besseren Kontakt zu beiden, Chor und Orchester. Und noch eins sei erwogen, dass man sich auch darüber streiten kann, welche Position der Gesangssolisten günstiger sei. An der Trave hatten sie ihre Plätze vor dem Orchester und weit vom Chor entfernt, waren daher mühelos zu vernehmen. In Hamburg sangen sie vor dem Chor und mussten dafür den Schallpegel des Orchesters überwinden.

Die Lübecker Philharmoniker zu Gast in der Elbphilharmonie, Foto: (c) Falk von TraubenbergDie Lübecker Philharmoniker zu Gast in der Elbphilharmonie, Foto: (c) Falk von Traubenberg 

Aus allem ergibt sich, dass ein Vergleich objektiv kaum möglich, darum wohl nicht einmal sinnvoll ist, auch wenn Lübecks Tageszeitung dem durch einen Fragebogen den Anschein geben möchte. Ein paar Eindrücke seien trotzdem bei aller Subjektivität zu formulieren versucht, denn der Ernst, der dieses Werk umgibt, setzte sich an beiden Orten durch. Es fiel auf, dass die Philharmoniker, wenig an unterschiedliche Umgebungen gewöhnt, in Hamburg bei dem Imponiergestus des gefüllten Trichters zunächst vorsichtiger zu agieren schienen, breit und wohlklingend, aber schleppend. Verlässlich dirigierte Andreas Wolf, der Kommissarische GMD, leitete mit guten Steigerungen, verfolgte weniger die Decrescendi und weitere dynamischen Schattierungen. Gerade sie hätten vieles beleben können. So war das Ergebnis zumeist flächig.

Auch dem großen Chor, gemischt aus Profis des Theaters (Einstudierung: Jan-Michael Krüger) und den oben bereits erwähnten Sängern des Hamburger Konzertchores (Einstudierung: Gabriele Pott), bekam die Zurückhaltung des Dirigenten nicht immer. Wunderbar sangen sie, eindrucksvoll schön zu Beginn bei dem tröstenden „Selig sind, die das Leid tragen“. Sehr sicher beherrschten sie auch die dramatischen Partien und Brahms‘ vielseitige Stimmführung, vom Unisono bis zu vielstimmig homophonen oder kontrapunktischen Stellen. Der Dirigent erlaubte allerdings allzu oft ein Fortissimo, das an Elbe wie Trave hart und starr wirkte.

Lübecker Philharmoniker zu Gast in der Lübecker Musik- und Kongresshalle, Foto: (c) Olaf MalzahnLübecker Philharmoniker zu Gast in der Lübecker Musik- und Kongresshalle, Foto: (c) Olaf Malzahn

Der erste Satz war hier wie da sehr ähnlich zu erleben, wie auch die Düsternis im zweiten Satz zu der einem Kondukt gleichenden Passacaglia. Beide Male war das intensiv geformt, wobei, wie beschrieben, in Hamburg die Aufstellung zwischen Chor und Orchester vermittelte, auch eine bessere Hörbarkeit jeder instrumentalen Farbe ermöglichte. Auffällig war das an der Pauke zu erleben, die in Lübeck dort, wo der Rezensent saß, fast im Orchesterklang unterging. Dennoch scheint, dass der runde Gesamtklang in Lübeck besser für diese Art der Musik sich eignet.

Christiane Oelze, Foto: (c) Natalie BothurChristiane Oelze, Foto: (c) Natalie BothurDie Solisten hatten es in Hamburg schwerer. Bewegend bat im dritten Satz der Bariton Detlef Roth „Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss“. Das Dialogische mit dem Chor kam dabei in der MuK besser heraus, wie auch die ruhige Stimmung des vierten wie des fünften Satzes. Vor allem konnte sich Christiane Oelzes Sopran mit ihrem „Ihr habt nun Traurigkeit“ feinsinniger entfalten, war getragen von dem Orchester und den wie aus der Ferne klingenden Sängern.

Der dramatische sechste Satz begeisterte mit seiner Dies-irae-Vehemenz, weniger die beide Male starre Schlussfuge. Dass der die Komposition rundende letzte Satz den Trost brachte, von dem gesungen wurde, war versöhnlicher Ausgang in beiden Hallen. Wenig sagt aus, wo der stärkere Beifall erklang, auch die Entscheidung, wo sich nun die insgesamt bessere Aufführung ergab. Eines ist dem Rezensenten allerdings klar geworden, dass er nach Hamburg nicht fährt, um das gleiche Werk von den gleichen Musikern besser zu hören.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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