Ivo Hentschel, Foto: (c) Carmen Jasmyn Hoffmann

1. Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker
Auf der Suche nach einem neuen GMD

Nun beginnt sie wieder, die Fahndung nach einem neuen Generalmusikdirektor. Vakant ist der Posten seit Ende der Spielzeit 2016/17. Da hatte Ryusuke Numajiri seinen Vertrag vorzeitig gekündigt. Ein erster Anlauf, einen Nachfolger zu finden, scheiterte auf merkwürdige Art an nachträglich unerfüllbaren Forderungen des Erkorenen. Nur hatte man sich zu früh auf ihn fixiert und die anderen waren futsch.

Den neuerlichen Probereigen eröffnete jetzt Ivo Hentschel, 1976 in Baden-Württemberg geboren, als Dirigent beim ersten Saisonkonzert der Lübecker Philharmoniker (16. und 17. September 2018). Hentschel hat schon einige Erfahrungen, als Konzert- und als Operndirigent, auch international. In der letzten Saison war er Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin und dirigierte dort viel Mozart, die „Entführung“, den „Don Giovanni“ und die „Zauberflöte“, auch Offenbachs „Schöne Helena“. Davor war er drei Spielzeiten am Staatstheater Cottbus, wo er von Mozart, Verdi, Puccini, Donizetti über Offenbach, Weill und Kálmán bis zum Musical breit eingesetzt war und auch Konzerte übernahm. Sein Internetauftritt weist ein weit gefächertes Repertoire aus, bei seinem Bewerbungskonzert allerdings konnte er nur Romantik zeigen, wie es auch bei seinem Probedirigat mit Verdis „Otello“ sein wird, den er Ende Oktober übernimmt.

Sein Bewerbungsprogramm begann mit Romantik pur, mit der Ouvertüre zum „Oberon“. Sie gab dem Konzert zudem das Motto „Im Feenreich der Verwandlungen“. Carl Maria von Weber konnte diese Oper kurz vor seinem frühen Tod gerade noch fertigstellen und sogar in London mit großem Erfolg uraufführen. Sie wird heute selten aufgeführt, nur das Vorspiel, das erst drei Tage vorher fertig geworden war, hört man gelegentlich. Sie fasst die Oper kurz und treffend zusammen.

Solch ein Werk ist ein guter, nobler, dennoch fordernder Einstieg in das Programm. Es fasziniert in seiner Klanglichkeit, mit dem Horn zu Beginn, den weichen Streichern, den huschenden Holzbläsern dazu, dann mit dem geisterhaften Aufzug und den aufjubelnden Violinen, später mit der feinen Klarinettenkantilene. Sie blies Bernd Rodenberg, wie immer stilsicher und beseelt, verlässlich und tonschön. Er soll erwähnt sein, weil dieses Konzert sein letzter „Dienst“ war, wie es im Jargon heißt. Seit 1978 war er in diesem Orchester zu erleben. 40 Jahren sind das, die er an seinem Pult saß und die ihn damit zum Dienstältesten im Orchester machten. Da sei ihm der Ruhestand vergönnt, wenn auch sein Können als Solist vermisst werden wird.

Hentschel lag der romantische Ton, das nahm für ihn ein. Er führte präzise, regte die Musiker zu sensibler Gestaltung an, traute ihnen etwas zu: den Streichern, die hier ungemein behände aufspielen müssen, dem Holz in feinem Gespinst des Klanges und den Bläsern, vor allem dem Horn.

Lukáš Vondrácek, Foto: (c) Irene KimLukáš Vondrácek, Foto: (c) Irene KimIm zweiten Programmteil, dem 2. Klavierkonzert von Franz Liszt, stand naturgemäß der Solist im Interesse. Es war der Tscheche Lukáš Vondráček, zehn Jahre jünger als der Dirigent und Sohn eines Pianistenehepaares. Das Werk begann wieder durch die Holzbläser, die ohne Umschweife das erste Thema formulierten und auch für die Klarinette wieder ein Solo bereithielten. Später mischte sich das Horn ein und das Soloinstrument mit zunächst noch leisen Tonkaskaden, bevor es pathetisch und immer stürmischer wurde. Selten hat man diese Partien so markig und zugespitzt gehört.

Der Dirigent nahm das auf und folgte mit dem Orchester grandios der Auffassung des Pianisten, der mit Kraft die wuchtigen Akkorde herausschleuderte und mit aparter Zartheit die verhaltenen Partien dagegensetzte, vor allem bei dem Solo des Cellos, einem der schönsten in einem Klavierkonzert. Langen Beifall gab es für dieses zwar dichte, doch relativ kurze Instrumentalkonzert. Das brachte im Montagskonzert eine Zugabe, die noch einmal zeigte, dass ein ungewöhnlicher Musiker zu erleben war. Kein kurzes Virtuosenstück beendete seinen Auftritt, sondern der weit gespannte Kopfsatz von Schuberts letzter Klaviersonate in B.

Nach der Pause kam der eigentliche Prüfstein für den Dirigenten, die Spätromantik in Johannes Brahms Dritter Sinfonie in F-Dur. Hentschel kannte die Partitur auswendig und zeigte auch hier ein präzises Dirigat mit fließender Gestaltung im ersten, mit klangbezogener im zweiten, dynamisch differenzierter im dritten Satz. Der Finalsatz erhielt Energie aus der Ruhe, spannte sich bis zur Brillanz im Fortissimo und fand dann in dem ruhigen Schlussteil seinen überzeugenden Abschluss. Mängel in der klanglichen Gewichtung lassen sich damit begründen, dass Hentschel noch nicht mit allen Finessen des Orchesters und des Raumes vertraut sein kann. Der Beifall aber zeigte, dass man sich ihn nach dieser Vorstellung als künftigen GMD vorstellen kann.

NB: Noch ein Nachsatz sei erlaubt. Es war schon sehr souverän, wie sich Solist, Orchester und Dirigent verhielten, als sie plötzlich für gefühlte Minuten im Dunkeln saßen, das Publikum im Hellen. Da wurde die MuK zum Lichtspieltheater. Der Solist kannte seinen Text auswendig, Orchester und Dirigent aber mussten mit sehr schwachem Licht auskommen, ließen sich trotzdem nichts anmerken und agierten munter weiter.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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