Michel van Dyke, Foto: (c) Andreas Hornoff

Michel van Dyke „Fangt schon mal ohne mich an“
Wenn sich Melancholie von ihrer schönsten Seite zeigt

Vor zwei Jahren habe ich für "unser Lübeck" meinen letzten Artikel verfasst. Seitdem ist viel Wasser den musikalischen Bach heruntergeflossen.

Ich will nicht sagen, dass es in dieser Zeit nichts Hörenswertes für mich gab, doch es reichte scheinbar nicht, um mich textlich dafür auszutoben. Da brauchte ich vor circa einer Woche eine Initialzündung in Form einer Radiosendung, der ich vor dem Laptop sitzend lauschte.

An diesem Abend zu Gast: Michel van Dyke. Ach ja, stimmt - der Name ist mir doch ein Begriff. Schließlich habe ich über zwanzig Jahre CDs verkauft und mich intensiv mit Musik auseinandergesetzt, auch auf der Suche nach den besonderen und herausragenden Alben. Doch genau beschäftigt habe ich mich mit dem in Hamburg lebenden Musiker nie. Das durfte ich erfreulicherweise an diesem Abend nachholen.

Van Dyke ist ein wahres Multitalent. Er ist Songtexter, Produzent, begleitete Künstler wie Annett Louisan und die Simple Minds auf ihren Tourneen. Er gehörte zur deutschen Combo Ruben Cossani und veröffentlichte unter seinen Namen zahlreiche englisch- und später deutschsprachige Alben. Aus Van Dykes Feder stammt auch „Du trägst keine Liebe in Dir“ von der Band „Echt“. Dieser schöne orchestrale „Van Dyke Sound“ findet sich auch in einigen der neuen Songs des aktuellen Albums wieder.

Nachdem in der Sendung einige der früheren Songs gespielt wurden, war ich angefüttert. Es war Zeit für mich, eine neue Rezension zu schreiben: 

„Fangt schonmal ohne mich an“ ist für mich ein wahres kleines Meisterwerk geworden, das genau in die Jahreszeit passt. Muten die Songs zunächst textlich teilweise sehr destruktiv an, schmiegen sich die getragenen Klänge weich in die Gehörgänge und verbreiten eine wohlige Wärme in mir. Zitat: Nur die Angst kommt von allein („Angst“). Ich bin wie hin- und hergerissen und mag mich gegen dieses Gefühl nicht wehren.

Ich stelle mir beim Hören vor, ich sitze im Taxi und schaue aus dem Fenster, während die Lichter sich in den Pfützen auf den Straßen spiegeln. Regentropfen setzen sich an den Scheiben ab. Ich drifte gedanklich in die Songtexte weg und bin einfach mittendrin. Van Dyke setzt sich mit der Welt „da draußen“ und vielleicht auch mit sich selbst als stiller Beobachter auseinander und ich schaue mit ihm zu.

Während ich noch im Song „Geht es dir jetzt besser“ (kannst du wieder schlafen, kannst du wieder atmen - ohne mich) hänge, ist der in Hamburg lebende Künstler schon bei der nächsten Frage „was machst du am Sonntagmorgen?“. Wunderschön, wie die Töne im Laufe des Titels immer getragener werden. Von Streichern begleitet könnte dies einen französischen Filmklassiker aus den 60ern entstammen. Das im Gegensatz zu den anderen Songs fast fröhlich anmutende Instrumentalstück „St. Tropez“ bietet eine kurze Verschnaufpause.



Unglaublich feinsinnige Texte machen dieses Album zu einem Hauptgewinn. Ich sitze jetzt hier und höre beim Schreiben wieder mein aktuelles Lieblingsalbum. Ich mag die melancholische Stimmung, die mich aber nie komplett nach unten zieht. So muss sich Herbst anfühlen und ich bin ergriffen von einem wunderschönen und emotionalen Album. Genau das ist es, was „Fangt schon mal ohne mich an“ für mich ausmacht.

Ich konnte es kaum erwarten, diesen Artikel zu schreiben, doch während ich überlege, wie ich den Text verfasse, bin ich fast ehrfürchtig wegen der auf den Punkt gewählten Worte und merke, dass mir meine passenden Worte dafür fehlen. Ich nehme den Titelsong als Aufforderung und fange ohne dich an, Michel van Dyke. Du hast mich sofort abgeholt.

Die erste Fahrt ist zunächst zu Ende und ich steige aus. Bevor die Tür zugeht, stelle ich fest, dass ich noch etwas vergessen habe. Ehe ich noch darüber nachdenken kann, sitze ich schon wieder im Auto und habe die Tür von innen zugemacht und möchte weiter. Danke für diese 47-minütige, unvergessliche Fahrt.

Michel van Dyke: Fangt schon mal ohne mich an, Recordjet (Edel), Oktober 2019, Amazon

Sabine Vierus
Sabine Vierus
Gebürtige Lübeckerin (1971), seit 2016 die Landeshauptstadt Kiel als neue Heimat gewählt. Ausgeprägte Leidenschaft für Musik seit sie laufen kann. Das umfangreiche Musikwissen hat sie als Kauffrau über zwanzig Jahre im CD-Vertrieb an ihre Kunden weitergegeben. In der Freizeit oft mit der Kamera unterwegs; schreibt einen eigenen Blog. Schwerpunktthemen für "unser Lübeck": Musik- und Konzertrezensionen.

Kommentare  

# Super AlbumH.K. (14.02.2020, 21:16)
Toller Bericht über diesen fantastischen Künstler Michel van Dyke.
Auch ich bin fasziniert von seiner Musik.
Zuerst „Echt“ dann „Ruben Cossani“
Damit hatte er mich !
Jetzt erst habe ich das Album „Die große Illusion“ entdeckt, warum auch immer es nicht auf ITunes zu bekommen ist...
Ich hoffe auf noch viele solch tolle Alben von ihm. Ich bin ein echter Fan geworden

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