Foto: (c) Silke Winkler

Mecklenburgisches Staatstheater
Haydns „Schöpfung“ in Schwerin als getanztes Ereignis

Inzwischen ist der Ballett-Freund gewohnt, Tanz zu Musikwerken auf der Bühne zu sehen, die er sich kaum als geeignet vorstellen kann. Joseph Haydns „Schöpfung“ gehört wohl dazu.

Dennoch konnte Gabriele Pott 2014 zumindest die Lübecker im Hafenschuppen überzeugen, dass man dieses Oratorium durchaus kreativ inszenieren kann, selbst wenn man keinen durchgehend „professionellen“ Apparat zur Hand hat. Andere Wege geht Ebnothers Tanzschöpfung in Schwerin. Mit „Ravel“ hatte die Ballettdirektorin in der letzten Spielzeit ein poetisches Experiment zu Musik meist kammermusikalischer Art erschlossen. Jetzt waren die Probleme größer. Drei Solisten, ein vielstimmiger Chor und ein klassisch besetztes Orchester sind vonnöten.

Elena Lucas, Sebastian Kroggel und Tommaso Bucciero, Foto: (c) Silke WinklerElena Lucas, Sebastian Kroggel und Tommaso Bucciero, Foto: (c) Silke Winkler

Und das große Thema, die Erschaffung der Welt, scheint sich zunächst zu sperren, „getanzt“ zu werden, auch wenn seine Musik einen tänzerischen Gestus besitzt, auch wenn die Grundaussage des weltoffenen Klassikers Haydn positiv ist und die Ereignisse plastisch erzählt werden. Sie entstammen der biblischen Genesis und nutzen Psalmen, dazu John Miltons Epos „Paradise Lost“. Die ungeheure Wirkung nach der Uraufführung 1799 in Wien führte dazu, dass das Oratorium weithin in Europa aufgeführt wurde, sogar in Übersee.

Eine Tanzkompagnie mit nur vierzehn Mitgliedern fordert solch Vorhaben extrem heraus. Geschickt sind allerdings die drei Gesangssolisten, die Sopranistin Karen Hübner (Gabriel und Eva), der Tenor Stefan Heibach (Uriel) und der Bassbariton Sebastian Kroggel (Raphael und Adam), in die Choreografie eingewoben, füllen also nicht nur optisch die Bühne. Darüber hinaus bereichern die Solisten zeitweise das Corps de Ballet. Das wirkt keineswegs aufgesetzt, sieht in der Bewegung stimmig aus, wenn sie beim Stehen oder Heben helfen oder sich in eine Gruppe einfügen. Flunn Borg Madsens Bühnenbild ist leicht, doch sehr sinnvoll. Wenige Requisiten genügen, sorgen für Abwechslung, ein Buch etwa, das immer wieder in die Hand genommen wird und auf das Buch der Bücher hinweist, oder ein großer blauer Ball, mit dem sich herrlich Weltkugel spielen lässt.

Foto: (c) Silke WinklerFoto: (c) Silke Winkler

In Schwerin übliche Lichtröhren grenzen, im Rechteck hängend, den Bühnenraum optisch von oben ein. Ein Streifenvorhang schließt den Raum nach hinten ab, senkt sich und hebt sich, ermöglicht wirksame Auftritte. Ein riesiges Tuch, vielfarbig in der Art impressionistischer Malerei gestaltet, schwebt wie ein Ballon herab und wird reizvoll in das Tanzspiel einbezogen. Außerdem ist ein breitgestrecktes, mehrteiliges Wandelement so beweglich, dass es den Bühnenraum immer wieder neu gliedert und neben anderem zur Tafel für die Ankündigung der Tage dient. Und auch der Schmuckvorhang im Theater, 1886 nach einem Gemälde von Ernst Hartmann geschaffen und effektiv angestrahlt, passt sich in seiner klassizistischen Gestaltung der Stückaussage wunderbar an und wird einbezogen.

Es ist nicht die erste Tanzschöpfung zu Joseph Haydns „Schöpfung“, mit der das Staatstheater nun nach Schwerin lockt. Die rührige Ballettmeisterin dort aber findet eine Choreografie, die zum einen ihre Handschrift verrät. Sie ist geprägt durch ein reich gegliedertes Tanzen in ständig wechselnden Formationen, vom Solo bis zur Gruppe. Zum anderen deutet sie Haydns Musik sehr transparent, ohne in bloße Illustration zu verfallen. Das ist zu Beginn abstrakter, wird, je weiter die Schöpfung fortschreitet, sinnlicher. Der Ablauf nach Tagen mit dem jeweiligen Schöpfungsgeschehen gibt einen ausgeprägten Rahmen, der bei Haydn in drei Gruppen zusammengefasst ist. Die erste zeigt, wie an vier Tagen die kosmische und atmosphärische Ordnung der Welt entsteht. Szenen von starker Schönheit gelingen, wenn etwa das Licht geschaffen wird oder sich das Ensemble in geometrischen, die Himmelsordnung spiegelnden Bewegungen vereint.

Fem Rosa Has, Tommaso Bucciero, Maria Pawelec, Maxim Perju, Elena Lucas, Stefan Heibach, Alyosa Forlini, Foto: (c) Silke WinklerFem Rosa Has, Tommaso Bucciero, Maria Pawelec, Maxim Perju, Elena Lucas, Stefan Heibach, Alyosa Forlini, Foto: (c) Silke Winkler

Die zweite Gruppe, die an den Tagen fünf und sechs das Lebendige und Kreatürliche entstehen lässt, bietet viel Humorvolles. Köstlich etwa, wenn Adler, Lerche, Taube und Nachtigall fein charakterisiert werden, bis hin zum Schütteln der Federn, auch wie im Siziliano die Tierarten sich voneinander abheben oder wie die Menschen das Interesse übernehmen. Alles kulminiert schließlich im dritten Teil, in dessen Zentrum das paradiesische erste Menschenpaar steht, Adam und Eva noch vor dem Sündenfall. Aber gerade dieser Schluss birgt mit seiner Glorifizierung des Menschen als Krone der Schöpfung die Gefahr, ins bloß Ästhetische zu verfallen. Die Schweriner Tanzdeutung entgeht dem durch solitären Spitzentanz im Pas de deux des ersten Menschenpaares nicht ganz.

Adriana Mortello unterstützt die Choreografie im ersten Teil durch schwarze Kostüme, die Hände und Beine bloß lassen und den Körper mit silbrigen Linien strukturieren. Aus diesen eng ansitzenden Trikots befreien sich die Tänzer im zweiten Teil wie aus einem Kokon, um Mensch zu werden. Die weichen, simpel fleischfarbenen Hüllen werden dann im abschließenden Teil durch bodenlange, rockartige Zusätze zu Gewändern, die den Tanz optisch wunderbar fließend machen.

Das Ballettensemble, der Opernchor und die Schweriner Singakademie, Foto: (c) Silke WinklerDas Ballettensemble, der Opernchor und die Schweriner Singakademie, Foto: (c) Silke Winkler

Die Mecklenburgische Staatskapelle wurde von Michael Ellis Ingram mit gutem Bezug zur Bühne dirigiert. Er begleitete vom Hammerklavier aus die Rezitative und hatte vor allem im Sinn, den Tänzern eine Grundlage für ihr Tun zu geben. Der Opernchor in den Proszeniumslogen war verstärkt, so dass auch die Musik in respektabler Pracht sich entfalten konnte.

Jutta Ebnothers Deutung von Haydns „Schöpfung“ kam an, begeisterte auch das Publikum in der zweiten Aufführung, zwei Tage nach der Premiere am 16. März 2018. Sie mischte klug moderne und klassische Stilebenen, ausgeführt von einem sehr geschlossen agierenden, sicher wirkenden Ensemble. Zu erleben war eine beeindruckende Tanzleistung, die vermied, dass diese „Schöpfung“ ein rein religiöses Werk blieb, eher staunen machte, wie sich unser Planet und alles Kreative entwickelte und Hoffen machte, dass es so bleibt.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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