Yuja Wang, Foto: (c) Olaf Malzahn

Yuja Wang und das Orchester St. Petersburg Philharmonic
Zwei Welten prallen aufeinander

Beim SHMF in der Lübecker MuK treffen mit der attraktiven, rundum scharf aufgemachten jungen Chinesin Yuja Wang und einem der ältesten Sinfonie-Orchester zwei Welten aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Die Kluft zwischen ihnen ist nicht nur äußerlich sichtbar, sondern auch hörbar innerlich.

Schon bei ihren ersten Schritten auf die Bühne wird sie von anerkennenden "Oh's!!" aus eindeutig männlichen Kehlen begrüßt. Völlig zu Recht, denn in ihrem raffiniert ausgeschnittenen Glitzerkleid ist sie, selbst wenn ihr das Gehen auf den überhöhten Plateau-Stilettos schwer fällt, eine aufreizend scharfe Erscheinung. Das raffiniert großzügige Rücken- und Bauchdekolleté im pink-blau-lila-glitzernden Abendkleid mit Schleppe unterstreicht ihre ohnehin perfekte Figur. Im Vergleich zu diesem hoch-attraktiven Auftritt wirkt das seit 135 Jahren ehrwürdige Traditionsorchester aus St. Petersburg wie ein schwerfälliges Instrumentarium aus vergangenen Zeiten. Ja, man meint sogar, dass von den ältlich anmutenden Fräcken der Musiker ein leichter Duft von Mottenkugeln herüberweht. Der hochrangige Dirigent Yuri Temirkanov blickt etwas müde und hat – dem Alter geschuldet – einen unsicheren Gang, vergleichbar etwa mit dem des Butlers bei Miss Sophie's neunzigster Geburtstagsfeier.

Yuja Wang, Foto: (c) Olaf MalzahnYuja Wang, Foto: (c) Olaf Malzahn

Diese normalerweise unbedeutenden Äußerlichkeiten sind hier deshalb so erwähnenswert, weil sich die Divergenz zwischen ihnen im Musikalisch-Künstlerischen glasklar fortsetzt. Yuja Wang ist eine Ausnahmekünstlerin und straft alle durch das grenzwertige Outfit entstandenen Vorurteile Lügen. Sie spielt in der MuK das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms, d-Moll. Johannes Brahms hat all seinen schwermütigen Liebeskummer in dieses Klavierkonzert hineinkomponiert und es ist Yuja Wang, die von Beginn an die unterschiedlichen Stimmungen und Gefühlsausbrüche virtuos vortragen kann. Das Orchester gibt der brillanten Solistin kaum den nötigen Rückhalt und wirkt künstlerisch durchgehend altbacken. Die Solistin ist hoch konzentriert, kann sich in sensiblen Phasen einfühlsam zurücknehmen und gleich auch wieder in temperamentvollen Sätzen kraftvoll energisch zupacken. Yuja Wang wird mit der leicht stumpfen Begleitung durch das St. Petersburg Philharmonic nicht glücklich gewesen sein. Vielleicht hat sie dem an sich sehr begeisterten Publikum aus diesem Grund eine Zugabe versagt.

Nach der Pause haben die St. Petersburger mit Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung ein musikalisches Heimspiel zelebriert. Das ursprüngliche Klavierwerk lehnt sich an Gemälde und Zeichnungen des zeitgenössischen russischen Malers Viktor Hartmann an. Die Orchesterfassung stammt von Maurice Ravel, dem das diesjährige Komponistenporträt des SHMF gewidmet ist. Bestens bekannt sind die marschähnlichen Klänge aus Mussorgskys viererlei Promenaden, die später auch von der Rockgruppe Emerson, Lake & Palmer frei bearbeitet worden sind. Das St. Petersburg Philharmonic kann hier professionell auftrumpfen. In den weiteren Bildern werden Hühner- und Kükengeschrei, mörderische Katakomben und zuletzt die Glocken des Großen Tors von Kiew lautmalerisch aufgetragen. Die Zuhörer sind begeistert und werden mit dem kleinen Stück Amoroso aus Prokofjews Ballett Cinderella verwöhnt.


Fotos: (c) Olaf Malzahn


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