Don Winslow, Foto: (c) Susie Knoll

Don Winslow "Corruption"

Der neueste Roman des amerikanischen Autors Don Winslow ist wohl eine seiner realistischsten Erzählungen und vielleicht auch zugleich sein kritischstes Werk.

Das amerikanische Rechtssystem unterscheidet sich stark von den juristischen Systemen Europas. Es gibt verhältnismäßig wenige Gemeinsamkeiten, die Sicherheitsbehörden der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Ermittlungsmethoden sind mit den unseren nicht vergleichbar. Korruption gibt es allerdings überall – in der Politik, in unserem Wirtschaftssystem, und sicherlich ist ebenfalls unser Rechtssystem durchdrungen von Intrigen, Erpressungen und kleineren wie auch größeren Gefälligkeiten.

Don Winslow hat für den vorliegenden Roman jahrelang penibel recherchiert und wird mit diesem Werk seine Leserschaft erneut überzeugen, allerdings wird die Stadt New York mitsamt ihren staatlichen Behörden, ihrem Rechts- und Sicherheitssystem nicht jubilierend klatschen. Sie kommt in „Corruption“ nicht unbedingt gut weg.

„Corruption“ ist vor allem eins: authentisch, brutal und rücksichtslos faszinierend. Der Mikrokosmos der Stadt New York ist durchdrungen von organisierter Kriminalität, damit einbezogen sind auch die Reichen und Mächtigen dieser Metropole. Geschützt durch Gesetze, durch Systeme sind die wahren Wirtschaftskriminellen fast schon unantastbar. Die wahre Drecksarbeit leisten die Polizei- und Kriminalbeamten auf den dunklen Straßen der Junkies, in den Wohnkomplexen sozial- und krimineller Minderheiten, in den Clubs der Drogenbarone Manhattans. Unaufhaltsam kämpfen diese Männer und Frauen gegen Drogen, Waffenhandel, Prostitution und Menschenhandel und geraten dabei nicht nur in Lebensgefahr, sondern müssen sich oftmals plötzlichen situativen Entscheidungen stellen und in Sekundenbruchteilen reagieren:

Töte oder verhafte ich den Kinderschänder? Sage ich vor Gericht die Wahrheit oder lüge ich, damit der Angeklagte in die Todeszelle kommt oder einer langen Gefängnisstrafe entgegensieht? Erpresse ich Kleinkriminelle, damit diese auf den Straßen unter Lebensgefahr mir als Informanten dienen? Nehme ich annektiertes Geld oder Drogen mit, um meinen Kindern das College zu finanzieren?

Don Winslow erzählt in „Corruption“ von einem Detective mit langer Berufserfahrung, der sich diesen Fragen stellen muss und dessen moralischer Kompass durchdreht. Ein schmaler Grad, ein Tanz auf dem Vulkan – emotional massiv belastend. Don Winslow spricht von den Schreckgespenstern der Beamten, davon, dass sie nach Dienstschluss die Schrecken des Tages nicht in die eigene Familie tragen, allerdings innerlich an dem Grauen zerbrechen. Die Beamten haben zwei Familien: ihre eigene und die fast schon familiäre Bindung zu ihren Kollegen. Letztere bringt mehr Verständnis für die Beamten auf.

„Corruption“ lebt von den Emotionen dieser Beamten, von dem "Judaskuss" an diesen Menschen und legt sehr genau offen, wie käuflich und manipulierbar die politischen Ämter der Stadt sind, und auch das staatliche FBI geht für den Ermittlungserfolg gnaden- und rücksichtslos über Leichen.

Fazit: „Corruption“ ist ein knallharter Copthriller, ein emotionales Feuerwerk. Schonungslos brutal, aber ehrlich. Ein großartiger Thriller mit einem Echo, das noch lange nachhallen wird. Eines der besten Dramen aus der Feder Winslows.

Ich habe selten einen Thriller gelesen, der so schockierend authentisch ist und immer noch nachklingt. Die Leser von „Corruption“ werden sich in den Figuren des Romans sehr schnell wiederfinden und sich nicht nur einmal fragen: Wie hätte ich in dieser Situation gehandelt? Ethisch und moralisch komplex werden hier menschliche Abstürze thematisiert. Die Gier nach Macht und Einfluss und das Flüstern des Geldes lassen die Beamten zu Statisten werden – mit sehr tödlichen Spielregeln. Wer hier satte Actionsequenzen erwartet, wird ebenfalls nicht enttäuscht werden, allerdings treten diese völlig in den Hintergrund, da die Emotionalität der Protagonisten mit immenser und eindringlicher Gewalt auf die Bühne vorrückt und nichts neben sich stehen lässt.

Lobenswert ist Don Winslow mahnender Zeigefinger, wenn er das System durch seine Protagonisten an den Pranger stellt. Der Roman „Corruption“ wird keine Veränderung herbeiführen, er ist ein Mahnmal, ein Zeugnis, vielleicht ein kleines Denkmal für die Beamten, die, mal brutal gesagt, im Stich gelassen werden. Sie werden verraten, erpresst, ausgespielt, weggeworfen.

Don Winslow: Corruption, Droemer HC, 20. Juni 2017, 544 Seiten

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Buchstabe und auf Amazon erhältlich.


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