Johannes van der Keerkhoff "An den Ufern der Wakenitz"
Ein Lübeck-Roman der ganz besonderen Art

Für einige der bedeutendsten Werke der Weltliteratur fanden ihre Verfasser keinen Verlag – ein Beispiel unter vielen ist ein gewisser Marcel Proust, der das Erscheinen seines vielbändigen Riesenromans selbst finanzieren musste und es dank eines bedingungslosen Grundeinkommens auch tatsächlich stemmen konnte.

Heute muss man kein Kind reicher Eltern sein, wenn man seine Dichtung unter die Leute bringen will, sondern man kann sein Buch bei verschiedenen Verlagen selbst veröffentlichen – ganz egal, wie gut oder schlecht der Text ist. Eine Möglichkeit unter vielen bietet Amazon, bei dem meine Wenigkeit mit meinem satirischen Kriminalroman „An den Ufern der Wakenitz“ Unterschlupf fand.

Ob ich wohl glücklich geworden bin mit diesem Verlag, der doch eigentlich nur eine Druckerei ist? Der erste und gewichtigste Nachteil ist ja der, dass das Buch nur bei Amazon, nicht aber bei dem Buchhändler um die Ecke erstanden werden kann. Ein zweiter und von mir ganz gewiss nicht vorgesehener ist der falsche Titel: Bei Amazon heißt es nämlich nur „An den Ufer der Wakenitz“, also ohne das „n“ am Ende von Ufer. Wer den Titel grammatisch korrekt eingibt, der findet das Buch nicht! Ein echter Makel sind auch einige Druckfehler, so viel gebe ich zu.

Auf den ersten Blick scheint das Buch ein Kriminalroman, denn schließlich geschieht gleich eingangs ein Mord. Aber wer der Mörder ist, das ist dem aufmerksamen Leser eigentlich schon von vornherein klar. Ein wenig kam es mir natürlich schon auf Spannung und Tätersuche an, aber die Porträts der Personen, von denen erheblich viele herumlaufen und Unsinn treiben, waren mir wichtiger. Es sind scharf umrissene Gestalten, teils merkwürdig, aber nie ganz unrealistisch.

Am wichtigsten sind der Kriminalautor Sebastian Lundin und der Direktor einer Privatschule, ein gewisser Dr. Braun – zumindest zeitweise der Chef Lundins, der sich ein Zubrot als Lehrer verdient. Braun, Kandidat der Partei der Schweigenden Mehrheit, ist ein kokainsüchtiger Dummschwätzer, der am Ende des Buches gebrochen und gedemütigt durch Lübeck schleicht, bevor er an der Kanaltrave sich im Drogenrausch an seinen Halluzinationen erfreut. Lundin dagegen ist ein gut gelaunter Tunichtgut – ein echter Gegenentwurf zu dem gravitätischen Direktor und von manchen Lesern als mein Selbstporträt missverstanden.

Es ist eine ziemlich wüste Handlung, durch die uns der Roman führt. Einen ersten Höhepunkt stellen, ineinander verwoben, der grotesk-komische Bordellbesuch Brauns und die sehr zärtliche, wenngleich leider nicht zum Abschluss kommende Begegnung Lundins mit seiner Herzallerliebsten dar; ein anderer die finale Prügelei, als Lundin seine Dame aus den Händen von Verbrechern befreien muss und diese Aufgabe auch dank seiner Hemdsärmeligkeit ganz gut bewältigt.

Viele Passagen und Personen sind aberwitzig – sie sind übertrieben. Aber sind sie schon deshalb allein unwahrhaftig? Ein Beispiel ist das Verhalten des steifen Herrn Lehmann, Lehrer an der Schule Brauns und damit Kollege Lundins: Das ist eine Figur, in dessen Gemeinheiten viele ihre alten Lehrer wiederentdecken werden. Unvergesslich die Ehefrau Brauns, Penelope, eine übergewichtige Künstlerin, die auf überlaufenen Veranstaltungen nackt Teppiche webt, was zwar nicht auf die uneingeschränkte Zustimmung ihres Gatten stößt, wohl aber auf die Begeisterung des Publikums; und dass sich die Legende des Feuilletons, ein gewisser Schaarschmidt vom Ostsee-Kurier, in sie verliebt und ihren Auftritt mit einer Rede einleitet, ist weder ihr Schade noch derjenige des Lesers. Und endlich Emma Blutslich, wie Schaarschmidt beim Ostsee-Kurier angestellt, ein steiler Zahn, in den der Redakteur Hurtig heftig verknallt ist und den er schließlich am Ufer der Wakenitz erobert, ungefähr dort, wo eine Woche zuvor das Mordopfer seine letzten Atemzüge tat.

Dem Geheimnis, wohl nicht der Person Johannes van der Keerkhoffs – vielleicht ein Pseudonym? –, aber wohl doch des unter seinem Namen segelnden Erzählers, kommen wir vielleicht näher, wenn wir Lundins schon fast kultische Verehrung eines gewissen Kajetan von Schlaggenberg näher ins Auge fassen. Schlaggenberg ist eine Figur aus den Romanen Heimito von Doderers, im Grunde sogar dessen anderes Ich, und wie der große Österreicher, so lässt auch van der Keerkhoff mehrere Erzählstränge parallel laufen, die sich immer wieder treffen und gewisse Knoten bilden, deren dramatisches Geschehen dann mehrfach aus verschiedenen Perspektiven und zusätzlich in einem anderen Stil berichtet wird. Abgesehen vom Unterhaltungsfaktor: Dieses Verfahren verleiht dem Geschehen Tiefe.

Ein Lübeck-Roman ist das Ganze noch dazu, denn besonders die Gegend zwischen Wakenitz und Kanaltrave wird sehr genau beschrieben; außerdem kommen noch Israelsdorf, St. Petri und Schlutup vor. Und ein Lübecker Schachverein tritt ebenfalls auf. Mit Bauernopfer Altstadt ist zweifellos der LSV gemeint, den der Roman in seinem ehemaligen Domizil im Schatten der Aegidienkirche beschreibt.

Johannes van der Keerkhoff: 
An den Ufern der Wakenitz, 
CreateSpace Independent Publishing Platform, 2016, 200 Seiten,
Amazon




Lesung: Am 21. Juli um 18 Uhr 30 stellt der geheimnisumwitterte Autor sein Buch im Alten Rathaus in Dassow vor (Lübecker Straße 50). Karten gibt es ab sofort in Dassow, Jens-Voigt-Ring 2, Tel. 038826/974012 Mobil 0176 50015584, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Leseprobe:

Die Emanuel-Lasker-Gasse ist eine der abgelegensten und schäbigsten Straßen der Lübecker Altstadt. Die Häuser sind alt, krumm und verwahrlost. Mißgünstig schielen sie auf ihre Nachbarschaft. Von den Jahrhunderten schiefgezerrte Treppengiebel prangen über Schaufenstern, die wie Höhlen den Passanten angähnen, gelbe Fliesen rahmen barocke Portale, an die sich rostige Räder lehnen, und manche der Katen haben sich ihre spitzen, grün bemoosten Ziegeldächer wie Tirolerhüte tief in die Stirn gezogen. Hier wohnen achtbare türkische Familien und fanden Rentner ein billiges Unterkommen, aber es tummeln sich auch zwielichtige Gestalten im Gewirr der Altstadtgassen.

In einem der schiefsten alten Häuser residiert der renommierte Schachverein Bauernopfer Altstadt. Seine Gäste müssen einen dreckigen Flur durchwandern und einen winkligen Innenhof überqueren, bis sie durch eine schmale Bierschenke das Spiellokal betreten können. An jenem Freitagabend, als die erste Runde des auch für vereinsfremde Teilnehmer offenen Wakenitzpokals ausgespielt wurde, drückte eine schwere Hitze auf die Schultern der Spieler herab – immer noch nach einem glühenden Sommertag, an dem sie wie eine braune Henne über den Dächern gebrütet hatte. Im Spiellokal selbst schien es unerträglich, denn die Gegenwart so vieler Menschen und der starke Tabakkonsum heizten den niedrigen Raum zusätzlich auf. Die Lüftung arbeitete sehr laut, aber auch sehr mangelhaft. Die Rauchschwaden ballten sich derart dicht unter der niedrigen Decke, daß man kaum das andere Ende des nur mittelgroßen Raumes erkennen konnte.

Vorne durchirrte der Kriminalschriftsteller Sebastian Lundin das Labyrinth seiner Partie. Der nicht großgewachsene, stämmige und kräftige Mann, sonst für Königsspringer Israelsdorf in der Bezirksliga aktiv, hatte in seiner leichtsinnigen Art das Brett so in Flammen gesetzt, daß er am liebsten selbst die Feuerwehr gerufen hätte; aber mit diesem Inferno mußte er nun ganz allein zurechtkommen. Die Stellung spitzte sich dermaßen zu, daß schon der kleinste Fehler entscheiden mußte, und weil Lundin nicht nur für kleinste, sondern jederzeit auch für größte Fehler gut war, konnten seine Aussichten so glänzend nicht mehr sein.


Kommentare  

# RechtschreibungStefan Diebitz (13.07.2017, 15:05)
Ich bin mit Herrn van der Keerkhoff oberflächlich bekannt und ein großer Bewunderer seiner Romankunst. Über sein Buch, das ich sehr gern gelesen habe, könnte man noch ganz andere Sachen sagen, vielleicht auch Kritisches, aber was auf jeden Fall irritiert, ist die Rechtschreibung der Leseprobe: Das Buch ist doch in der alten Rechtschreibung verfasst (wie Herr van der Keerkhoff gerne sagt: in der Rechtschreibung), nicht in der reformierten! Wie kommt das?

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